Gehörloser bei „Let’s Dance“ Tanzen, ohne Musik zu hören

Köln · Gehörlosigkeit und Musik sind kein Widerspruch: Der „Let’s Dance“ -Kandidat Benjamin Piwko ist taub und beweist trotzdem Taktgefühl. Gehörlose können Musik und Tanz über andere Sinne erfahren. Und sie schauen genau hin.

 Der gehörlose Benjamin Piwko tanzt mit Profi-Tänzerin Isabel Edvardsson.

Der gehörlose Benjamin Piwko tanzt mit Profi-Tänzerin Isabel Edvardsson.

Foto: TVNOW / Gregorowius

Benjamin Piwko könnte ein Zuschauerliebling werden. Bei der RTL-Live-Show „Let’s Dance“ macht der 38-Jährige mit und kämpft gegen 13 andere Paare um den Titel. Bei der Kennenlern-Show in der vergangenen Woche erhielten er und seine Partnerin Isabel Edvardsson über die Anrufe der Zuschauer und das Urteil der Jury ein sogenanntes Direktticket. In der regulären Show am Freitagabend wird das Tanzpaar automatisch in die nächste Runde gewählt.

Standard- und Lateinamerikanische Tänze dürften dem Hamburger nicht leicht fallen – so nimmt man zumindest an: Der Schauspieler und Kampfkunstsportler ist der erste gehörlose Kandidat bei der Show. Dass auch Gehörlose gut tanzen können, zeigte bereits Kassandra Wedel vor drei Jahren. In der ProSieben-Tanzshow „Deutschland tanzt“ belegte die 35-jährige Schauspielerin den ersten Platz. Wedel und Piwko kennen sich: Sie standen für den Tatort „Totenstille“ (2016) zusammen vor der Kamera.

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Gehörlose Tänzer können Musik und Rhythmus nicht hören. Benjamin Piwko sagt, er habe trotzdem großen Spaß. Die Choreografie erlerne er durch seine Partnerin – in der Show treten die Teilnehmer jeweils mit einem Profi-Tänzer an. Isabel Edvardsson ist mehrmalige deutsche Meisterin und war bei der RTL-Show schon Jurorin. „Sie zeigt mir die Bewegungen, die ich dann nach­tanze“, sagt Piwko. „Auf der Tanzfläche orientiere ich mich später an ihr. Dadurch, dass ich nicht hören kann, bin ich sehr darauf sensibilisiert, die kleinsten Körperbewegungen zu registrieren.“

Diese Fähigkeit wendet er wohl auch in seinem Beruf an: Der Kampfsportler hat mit seiner eigenen Technik schon eine Spezialeinheit der US Navy unterrichtet. Bei „Let’s Dance“ legt er Wert darauf, keine Sonderbehandlung zu erfahren. „Nur als man mich gefragt hat, was meine Lieblingsmusikstücke sind, war ich etwas überfragt“, sagt er. „Ich weiß ja nicht, wie sie klingen.“ Allerdings sei ihm durch den jeweiligen Liedtext auch die Stimmung eines Liedes bekannt. „Da kann ich mich dann trotzdem gut einfühlen – auch wenn ich es nicht höre.“

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Foto: RTL

In der Auftaktshow hatte Piwko zwar einen Gebärdendolmetscher dabei. Mit den Jahren hat er sich aber auch das Lippenlesen beigebracht. Sein Gehör hat der Hamburger schon mit acht Monaten durch eine Virusinfektion verloren. Trotzdem hat er Sprechen gelernt – über die Kehlkopfschwingungen seiner Sprachlehrerin. Denn Gehörlose sind aufmerksame Beobachter: Klänge nehmen sie über Schwingungen und Vibrationen wahr.

Anne Carnevali ist Sonderpädagogin an der Bochumer Schule am Leithenhaus, eine Förderschule mit Schwerpunkt Hören und Kommunikation. Dort unterrichtet sie unter anderem gehörlose Kinder im Fach Musik. „Unser Musikraum hat einen Schwingboden“, sagt sie. „Darauf steht die Musikbox, und die Kinder fühlen die Vibration, die bei den einzelnen Instrumenten entsteht.“ Ihre Schüler lässt Carnevali barfuß oder auf Socken über den Boden laufen. Da bei Gehörlosen ein Sinn wegfällt, sagt sie, seien andere Sinne stärker ausgeprägt. „Meine Schüler können fühlen, wie ich Klavier spiele, und wenn ich den Gong schlage, kitzelt es sie“, sagt die Lehrerin. Auch unter Gehörlosen gebe es solche, die ein Gefühl für Takt haben und sich gut dazu bewegen – und andere, denen das Tanzen nicht so gut liegt. Eben genau so, wie das bei Hörenden der Fall ist.

Piwko macht bei „Let’s Dance“ seine ersten Tanzversuche überhaupt. „Als Kind habe ich mit meiner Cousine mal ein wenig ,herumgehampelt’“, sagt er. „Aber das hilft mir jetzt natürlich nicht.“ „Deutschland tanzt“-Gewinnerin Kassandra Wedel ist hingegen ausgebildete Lehrerin für Hip-Hop-Tanz – und Hip-Hop-Musik hat intensiven Beat und Bass. 2012 wurde sie Deutsche Meisterin und Weltmeisterin im Solo und Duo der inklusiven Meisterschaft.

Auch wenn es Partys und Konzerte für Gehörlose gibt – Anne Carnevali glaubt, dass dennoch viele gehemmt sind, sich in der Öffentlichkeit zu Musik zu bewegen. Der „Let’s Dance“-Kandidat Benjamin Piwko könne insofern für andere ein sehr großes Vorbild sein.

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