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Harald Schmidts ungewollte Biografie Lebenslauf aus zweiter Hand

Düsseldorf (RP). Harald Schmidt (45) hat jetzt auch eine Biografie - eine, die er nicht wollte, von einer Biografin, die er nie empfangen hat. Warum dann so ein Buch? Weil echte Fans in ihrer Verehrung für "Dirty Harry" vor nichts zurückschrecken.

"Das Seitenschiff" der katholischen Kirche St. Johannes in Nürtingen "ist gänzlich abgetrennt - in weiser Voeaussicht für Zeiten spärlicheren Besuchs". Pfarrer Wolfgang Sedlmeier zelebriert jedoch selbst den Hausfrauengottesdienst am Donnerstagmorgen "gelöst, freundlich und ohne falsche Betulichkeit". (Aha.)

"Das Hölderlin-Gymnasium verfügt schon lange über ein eigenes Symphonieorchester, das bis nach Kanada geladen wurde." (Sieh an.)

Und "niemand hat Grund, die ,Nürtinger Jazztage` zu belächeln, für die sich auch renommierte Musiker wie Aziza Mustafa Zadeh oder David Friedman nicht zu schade waren". (Wie schön für die "Nürtinger Jazztage".)

Was das alles mit Harald Schmidt zu tun hat? Die Beschreibungen aus der Heimatstadt des Entertainers sind willkommene Seitenfüller - Seiten eines Buches, das mit dem Etikett daherkommt, die erste Biografie über den König der "Late Night"-Show zu sein, aber eigentlich eine Mogelpackung ist. Die Journalistin Mariam Lau, sechs Jahre lang Kulturredakteurin bei der Berliner "taz", hat das kuriose Werk verfasst.

Grenze zur Peinlichkeit

Ein biografisches Buch über einen gerade mal 45-Jährigen zu schreiben, ist eine Sache. Aber eine Biografin, die von der dargestellten Persönlichkeit nicht einen einzigen Gesprächstermin eingeräumt bekommt, ja noch nicht einmal Material in irgendeiner Form? Klingt irgendwie nach einem Unterfangen, das an der Grenze zur Peinlichkeit entlangschrammt.

Die Autorin macht keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, von "Dirty Harry" abserviert worden zu sein, als sie sich um Termine bei ihm bemühte. "Weder raffinierte Tricks noch Winkelzüge wollten verfangen", schreibt sie in ihrem Vorwort und leistet damit bereits auf Seite neun den Offenbarungseid. "Harald Schmidt gab Interviews landauf landab - nur eben nicht bei mir. Eine Biografie, so wurde mir bedeutet, sei mit seiner Unterstützung absolut nicht zu machen. Er wolle ,ein Geheimnis` bleiben."

Warum, so fragt sich der irritierte Leser, hat die 1962 in Teheran geborene Frau sie dann trotzdem geschrieben? Offensichtlich, weil sie in erster Linie ein glühender Fan ist - hingerissen von dem Produkt, als das sich Schmidt seit nunmehr sieben Jahren in seiner Show inszeniert. Und ebenso hartnäckig wie erfolglos in dem Bemühen, endlich einmal näher an die Persönlichkeit hinter der schillernden Fassade heranzukommen, an der sich schon so viele Journalisten die Zähne ausgebissen haben.

"Ich musste ihn einfach verehren", schreibt Schmidt-Fan Lau allen eigenen Erfahrungen zum Trotz. Der Leser muss es nun ausbaden: Er wird quer durch Schmidts frühe Wirkungsstätten wie die Kirchenmusikschule Rottenburg geschleift, erfährt dabei, dass die Ausbildung für externe Studenten vier Semester dauerte und Themen wie "Deutsche Gregorianik" oder "Hymnologie" umfasste. Auch wer wissen will, ob der von Schmidt in einem Gedicht beschriebene Nürtinger Maientag eher ein Erntefest oder doch ein Züchtigungsritual darstellt, kann einiges dazu bei Mariam Lau nachlesen. Er könnte aber genauso gut auf die Internetseite der Stadt blicken, wo Schmidts Verse ebenfalls zu finden sind.

Schnipsel aus Interviews

Biografische Äußerungen des Protagonisten in Mariam Laus Buch sind lediglich zusammengetragene Schnipsel aus Zeitungsinterviews oder Fernsehauftritten. Dennoch scheint klar zu sein: So wenig wie die Autorin sich davon abhalten ließ, die "Biografie" zu schreiben, werden sich echte Schmidt-Fans davon abhalten lassen, sie zu lesen. Sie haben sich längst daran gewöhnt, dass ihr Held sein Privatleben unter Verschluss hält, allenfalls erklärt, er sei schrecklich langweilig. Dennoch sammeln sie akribisch alles, was sich über ihn und seine Sendung in Erfahrung bringen lässt - meist auf unzähligen Fansites im Internet. Jetzt können sie sich das Ganze gebunden ins Regal stellen.

Es klingt so paradox wie Schmidts Showkonzept, Biederkeit zum Kult zu stilisieren: Vielleicht sind am Ende ja doch alle zufrieden. Die Autorin, weil sie als erste eine Schmidt-Biografie verfasst hat, die Fans, weil sie ein weiteres Sammelobjekt erwerben können - und Schmidt selbst, weil er nichts von sich preisgeben musste und dennoch von seiner "Biografin" etwas bekommen hat, das er schon vor drei Jahren in einer Äußerung über sein Verhältnis zu Mitarbeitern als eine Art Einstellungsvoraussetzung formuliert hat: "Ich erwarte Anbetung."

Peter Korn

"Harald Schmidt - eine Biografie", Ullstein-Verlag, 18 Euro

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