So war der „Tatort – Abbruchkante“ „Sie können sich gar nichts vorstellen, Sie sind aus Köln“

Trostlosigkeit und Traurigkeit im Tagebau: Der Fall „Abbruchkante“ thematisiert den Verlust von Heimat, der Menschen sogar zu Mördern macht – zumindest im Kölner „Tatort“. Ein Kommissar hat das große Ganze aber noch nicht verstanden.

 Zwei, die den Unterschied machen: Karin Bongartz (Barbara Nüsse) zeigt Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) alte Fotos und schwelgt in Erinnerungen.

Zwei, die den Unterschied machen: Karin Bongartz (Barbara Nüsse) zeigt Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) alte Fotos und schwelgt in Erinnerungen.

Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin/WDR/Martin Valentin Menke

Worum ging es? Die Kölner Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) müssen im Kölner „Tatort“ raus aus der Stadt aufs Land, ins Rheinische Braunkohlerevier. In Alt-Bützenich – einem Ort, der eigentlich abgebaggert werden sollte und nun gerettet ist – wird die Leiche des Dorfarztes gefunden. Dr. Franzen liegt erschossen in seinem alten Haus. Verdächtige gibt es zum Glück viele. Der Arzt behandelte seine Frau schlecht, verweigerte alten Nachbarn die Rückgabe von deren alten Häusern und muss auch in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen haben, die Menschen das Leben kosteten. Es gibt also viel zu klären für die beiden Ermittler. Wegen Schenks Liebe zu alten Autos stranden sie in dem überwiegend verlassenen Dorf, und vor allem in Ballauf löst die Einsamkeit aus, dass er sich mit seiner eigenen Existenz auseinandersetzt.

Wie war es? Der Fall „Abbruchkante“ ist eine rheinische Tragödie mit lauter unglücklichen Menschen, die an ihrem Leben und den getroffenen Entscheidungen zu zerbrechen drohen. Im Zentrum standen nicht der Klimawandel und die Energiewende, sondern die Frage, was der Verlust von Heimat, das erzwungene Neu-Ankommen mit Menschen macht. Und da gibt es immer welche wie Dr. Franzen, die sich damit leicht tun und vielleicht noch ihren eigenen Vorteil daraus ziehen. Und es gibt Schnitzler Senior, der womöglich zu alt ist zum Verpflanztwerden und eine fatale Entscheidung trifft, mit der er am Ende allein klar kommen muss. Die Feindbilder sind in „Abbruchkante“ klarbenannt. Der Konzern bestimmt und verfügt über das Schicksal des Dorfes. Schenk bezeichnet den Tagebau als „Klimakiller-Loch“, kachelt aber fast jeden Tag mit einem amerikanischen Oldtimer aus Köln herbei und pustet mit seiner Spritschleuder Abgase in die Luft. Ballaufs Kritik daran weist er zurück: Er solle sich nicht über „sein Baby“ aufregen. „Da hat schon Clint Eastwood drin gesessen.“ Das große Ganze hat Schenk noch nicht verstanden. So tun sich alle schwer in diesem „Tatort“ mit dem Abschiednehmen von Altem, Bekanntem und Vertrautem. Und wenn es auch nur, wie in seinem Fall, ein altes Auto ist.

Die beste Szene Als die Kölner Kommissare Pensionswirtin Karin Bongartz (Barbara Nüsse) sagen, sie sei sicher froh, dass ihr Dorf doch stehenbleibe, setzt sie zu einer eindringlichen Abrechnung an mit diesen Männern, die viel fragen, aber wenig verstehen. Die Leichen ihrer Vorfahren seien ausgebuddelt, das Dorf habe keine Infrastruktur mehr – „das ist ganz super, danke sehr.“ Und: „Sie können sich gar nichts vorstellen, Sie sind aus Köln.“ Das Zusammenspiel der beiden Figuren ist der Höhepunkt der Folge.

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Der beste Satz Ballauf ist auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich sowohl der Pensionswirtin als auch Schenk gegenüber erklären, warum es bei ihm in der Liebe nicht klappt – vor allem, weil es da doch Lydia (Juliane Köhler) gibt. „Ich habe die schon gewollt“, sagt Ballauf. Aber die Aussicht, „dass so mein ganzes Leben abbaggert wird und ich nach Neu-Ballauf ziehen muss. Da habe ich Schiss bekommen.“

Wo wurde gedreht? Gedreht wurde im Rheinischen Revier. Für die Szenen aus dem verlassenen Dorf arbeitete das Team laut WDR in Kerpen-Manheim, Erkelenz-Keyenberg, Erkelenz-Kuckum und Köln-Fühlingen. Manheim wird dem Tagebau Hambach weichen müssen. Kuckum und Keyenberg sollten im Loch von Garzweiler verschwinden, sind aber seit Oktober 2022 gerettet. Köln-Fühlingen passt nicht wirklich in die Reihe und ist wohl auch nicht die beste Werbung für den Ort. Die Bilder vom Tagebau entstanden im Wald am Tagebau Hambach im Ort Moschenich der Gemeinde Merzenich und in Elsdorf. Die Szenen aus „Neu-Bützenich“ wurden unter anderem in Manheim-Neu gedreht.

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