„Tatort – Abbruchkante“ Das abgebaggerte Leben

Köln · Der Kölner „Tatort“ spielt im rheinischen Braunkohlerevier und erzählt vom Schmerz des Heimatverlusts. „Abbruchkante“ ist eine rheinische Tragödie mit lauter unglücklichen Menschen, und Kommissar Ballauf steht im Zentrum.

Konrad Baumann (Jörn Hentschel) ist einer der Verdächtigen, der einen Grund hatte, den Arzt in einem Tagebau-Dorf zu töten.

Foto: dpa/Martin Valentin Menke

In Alt-Bützenich scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Nur noch wenige Menschen leben dort, die anderen sind weitergezogen, ins neue Dorf. Denn Alt-Bützenich mit Häusern, gewachsener Struktur und der stolzen Kirche sollte dem Tagebau weichen. In ihren neuen Häusern haben die Menschen aber kein neues Glück gefunden, und da die Entscheidung gefallen ist, dass ihr Dorf nun doch nicht abgebaggert wird, wollen einige zurück.

Auch der Arzt Dr. Christian Franzen hat sein altes Haus noch nicht verkauft, trotz seines Eigenheim-Palasts mit geraden Rasenkanten, Betonwänden und frei stehendem Küchenblock. Franzen ist – wie der Rheinländer sagt – „ein fieser Möpp“ und liegt eines Morgens erschossen in seiner ehemaligen Wohnung. Und daher müssen sich die aus Köln aufs Land gereisten „Tatort“-Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) mit den üblichen Verdächtigen rumschlagen: einer unglücklichen Ehefrau und nun Witwe. Einem Vater, der um sein Kind trauert. Einem Rentner, der sein Haus nicht zurückbekommt. Und einem jungen Mann, der ebenfalls einen geliebten Menschen verloren hat. Der Fall „Abbruchkante“ ist eine rheinische Tragödie mit lauter unglücklichen Menschen, die an ihrem Leben und den getroffenen Entscheidungen zu zerbrechen drohen.

Verantwortlich dafür sind in diesem Fall von Regisseur Torsten C. Fischer und den Drehbuch-Autoren Eva und Volker A. Zahn vor allem die Entwurzelung und der Heimatverlust. Das Dorf als Gemeinschaft wurde auseinandergerupft, durch die Umsiedlung sind nicht nur in der Landschaft tiefe Gräben entstanden. Nicht jedem gelingen das Zurücklassen und der Neuanfang an einem anderen Ort in einem neuen Zuhause. Hinzu kommen persönliche Traumata durch Schicksalsschläge. Und der gute Herr Doktor scheint für einige verantwortlich gewesen zu sein.

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Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Auch beim Thema Kohle ist die Welt in Gut und Böse aufgeteilt. Den Tagebau bezeichnet Schenk als „Klimakiller-Loch“, das Bergbau-Unternehmen wird immer nur als „der Konzern“ genannt, dessen Sicherheitsdienst durch die Straßen rast. Alt-Bützenich ist zwar verlassen, aber charmant mit Bauernhof. Neu-Bützenich modern, seelenlos, mit Schottergarten und vielen Zäunen. Für die Dramaturgie wird hier ein komplexes Thema verdichtet. Wie es sich wirklich anfühlt, wissen nur die Menschen, denen der Tagebau die Heimat nahm. Und auch bei ihnen gibt es gewiss nicht nur die eine Meinung.

Reizvoll ist „Abbruchkante“ aber nicht als Öko-Krimi, sondern aus anderen Gründen: Da ist die Pensionswirtin Karin Bongartz (Barbara Nüsse), die Alt-Bützenich nie verlassen hat und in ihrer Einsamkeit gestrandet ist. Und als Gegenpart ist da Max Ballauf, der mit der nicht zustande gekommenen Beziehung zu Lydia hadert und ebenfalls sein Leben als Single in Frage stellt, wenn Schenk abends zu Frau und Sauerbraten düst und ihm so unter die Nase reibt, dass auf ihn nichts wartet.

Gedreht wurde im Rheinischen Revier. Für die Szenen aus dem verlassenen Dorf arbeitete das Team laut WDR in Kerpen-Manheim, Erkelenz-Keyenberg, Erkelenz-Kuckum und Köln-Fühlingen. Manheim wird dem Tagebau Hambach weichen müssen. Kuckum und Keyenberg sollten im Loch von Garzweiler verschwinden, sind aber seit Oktober 2022 gerettet. Köln-Fühlingen passt nicht wirklich in die Reihe und ist wohl auch nicht die beste Werbung für den Ort. Die Bilder vom Tagebau entstanden im Wald am Tagebau Hambach im Ort Moschenich der Gemeinde Merzenich und in Elsdorf. Die Szenen aus „Neu-Bützenich“ wurden unter anderem in Manheim-Neu gedreht.

„Tatort – Abbruchkante“, Das Erste, So., 20.15 Uhr