Jörg Schönenborn erinnert sich an den Brandanschlag "Der Tatort wurde zum Jahrmarkt"

Solingen · Als sich der Brandanschlag in Solingen vor 25 Jahren ereignete, war Jörg Schönenborn, heute WDR-Fernsehdirektor, als einer der ersten Fernsehreporter vor Ort. Seine Erinnerungen schreibt er hier auf.

Brandanschlag in Solingen vor 25 Jahren - ein Rückblick
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Brandanschlag in Solingen vor 25 Jahren - ein Rückblick

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Foto: Kempner Martin

Ich werde den stechenden Geruch nie vergessen. Als ich am Tatort eintraf, war der Brand weitgehend gelöscht. Aber der Geruch hat mich an den folgenden fünf Tagen, die ich als Reporter an der Unteren Wernerstraße verbracht habe, begleitet.

Er ist besonders intensiv, als die Polizei Reporter in die Ruine lässt und wir über verbrannten Hausrat und Kinderspielzeug stapfen. Er ist da, als die Überlebenden zurückkehren und die Fassung verlieren. Und als Johannes Rau kommt, der nach meinem damaligen Gefühl als einer der wenigen die richtigen Worte gefunden hat.

Solingen ist meine Geburtsstadt, dort bin ich aufgewachsen. Mir war schnell klar, was der Anschlag für den Namen der Stadt bedeuten würde. Bis dahin standen Rostock, Hoyerswerda, Hünxe für grausige Taten. Bis dahin waren vor allem Asylbewerber Ziel der Gewalt. So wie heute hatte Deutschland auch vor 1993 viele Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber aufgenommen, fast drei Millionen in zwei Jahren.

In Solingen waren die Opfer aber nicht gerade zugezogen, sondern längst heimisch - türkische Gastarbeiter, die ein Haus gekauft hatten. Und als sich die erste Wut auf die Täter gelegt hatte, wurden auch die Versäumnisse der Gesellschaft klarer: Die Gençs hätten damals längst dazugehören müssen und waren doch noch Fremde. Und wurden deshalb Opfer von Hass und Gewalt.

Als Reporter gibt es für mich aber noch einen anderen Blick zurück: 1993 war die Medienlandschaft noch sehr unschuldig. Der Tatort war kaum abgesperrt und wurde so zu einer Art Jahrmarkt. Wir Journalisten mit Kameras, dazu Betende und Trauernde, Neugierige, Links- und Rechtsradikale - sie drängten sich direkt vor dem niedergebrannten Haus.

Das war ein unwürdiges Spektakel, es wurde skandiert, Steine flogen. Je mehr wir gesendet haben, desto größer war der Anreiz, diese Bühne zu nutzen. Für mich als Journalist heute undenkbar.

Der 29. Mai 1993 war der Tag eines verheerenden Mordanschlags. Aber er markiert auch den Beginn von Nachdenken und gesellschaftlicher Veränderung. Deshalb ist es so wichtig, heute zurückzublicken.

(RP)
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