Impf-Talk bei „Illner“ „Der 5:0-Pieks gegen Mönchengladbach ist auf jeden Fall schmerzhafter“

Düsseldorf · Moralgedöns, Vorbilder und immer noch kein Freedom Day: Bei „Maybrit Illner“ diskutieren die Gäste über Joshua Kimmich, den Umgang mit Ungeimpften und das Ende des Ausnahmezustands.

 Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 28.10.2021.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 28.10.2021.

Foto: ZDF

Das Kernthema des Talks bei „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend lautete „Kein Schutz, keine Freiheit – Lockdown für Ungeimpfte?

 Die Gäste:

  • Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg
  • Boris Palmer (Grüne), Oberbürgermeister von Tübingen
  • Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats
  • Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe
  • Sibylle Katzenstein, Ärztin
  • Johannes B. Kerner, Moderator

 Darum ging’s:

Um den Umgang mit Ungeimpften und künftige Corona-Maßnahmen.

 Der Talkverlauf:

Den ersten Aufhänger für eine Diskussion liefern der Profi-Fußballspieler Joshua Kimmich und seine Beweggründe gegen eine Impfung. „Herr Kimmich ist ein sehr guter Fußballspieler, aber das macht ihn nicht zum Impfexperten“, sagt Peter Tschentscher. Der Hamburger Bürgermeister und Mediziner zeigt sich zwar verständnisvoll gegenüber etwaigen Fragen zur Impfung. Aber er empfiehlt, in der öffentlichen Debatte nicht so viel Gewicht auf diejenigen zu legen, die noch nicht geimpft seien. Schließlich habe sich der Großteil der Bürger längst für die Impfung entschieden habe, in seinem Bundesland etwa läge die Quote bei den Über-18-Jährigen bei 86 Prozent.

Auch Johannes Kerner signalisiert Kimmich gegenüber Milde. Der Fußballer habe sich bei seiner Einschätzung vergaloppiert, sagt der Sportmoderator. Dabei gebe es aber eine unerwünschte Nebenwirkung: Kimmich leiste einem kleinen, aber umtriebigen „querdenkenden Teil der Bevölkerung“ Vorschub. Eine kleine Stichelei hat Kerner auch in petto: „Der 5:0-Pieks gestern gegen Mönchengladbach ist auf jeden Fall schmerzhafter und nebenwirkungsreicher als jede Impfung.“ Kerner verweist darauf, dass Hochleistungssportler sogar besonders anfällig seien, weil sie angesichts ihrer extremen Körperbelastung ein so genanntes „open window“ für das Virus darstellten. Umso mehr wundert es den Sportexperten, dass ein von Medizinern umgebener Fußballspieler wie Kimmich so schlecht informiert sei.

Moderatorin Maybrit Illner wirft provokant Rückschlüsse nach dem Motto „Wer sich nicht impfen lässt, ist schlecht informiert, also dumm“ in die Runde. Diese Argumentationskette lehnt Alena Buyx entschieden ab. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats betont, es gebe dafür viele Gründe – von Verwirrung über Falschinformationen bis hin zur ideologischen Überzeugung.

Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer hat ein gewisses Verständnis für „Trotzreaktionen“ angesichts von Maßnahmen wie 2G-Regeln, die er als „verdeckten Impfzwang“ empfindet. Kurz darauf ändert er aber seine Meinung und gibt Buyx nach deren Einwand recht. „Eine Impfpflicht ist ein ganz harter Eingriff in die Grundrechte“, sagt die Medizinethikerin. Vor einem solchen Schritt seien andere Maßnahmen unbedingt nötig. Palmer ergänzt: „Und mit Anreizen und Überzeugung geht es besser als mit Druck.“

Auch die Ärztin Sibylle Katzenstein ist der Ansicht, es habe wenig Sinn zu versuchen, Ungeimpfte von der Gesellschaft auszuschließen. Damit erreiche man viele Menschen gar nicht, denn: „Die sind schon ausgeschlossen.“ Katzenstein bezieht sich dabei etwa auf Obdachlose oder Langzeitarbeitslose, die ohnehin nicht ins Restaurant oder Fitnessstudio gingen. Die Ärztin plädiert deshalb für einen interdisziplinären Austausch zwischen Ärzten und Sozialarbeitern, um die Hintergründe zu verstehen, die für den ungeimpften Teil der Bevölkerung Alltag sind. Vorbilder spielten bei den Impfentscheidungen ihrer Patienten keine Rolle, weder Ungeimpfte wie Fußballer Kimmich noch Geimpfte wie Gesundheitsminister Jens Spahn. „Dieses ganze Moralgedöns muss raus aus der Diskussion“, sagt Katzenstein.

Dann wendet sich das Gespräch der politischen Seite zu. Der SPD-Politiker Tschentscher würde die „epidemischen Notlage nationaler Tragweite“ lieber bis Ende des Jahres beibehalten, statt sie im November zu beenden, wie es bei den Ampel-Gesprächen signalisiert wurde. Tschentscher begründet dies zum einen damit, dass er die Lage im Herbst zunächst beobachten möchte, zum anderen mit der Rechtssicherheit der Schutzkonzepte. Der Grünen-Politiker Palmer ist anderer Ansicht. Maßnahmen wie Schulschließungen oder ein „kompletter Lockdown“ seien doch gar nicht absehbar, sagt er. „Die Balance zwischen Freiheit und Gesundheitsschutz muss gewahrt bleiben.“

Buyx findet problematisch, welches Signal von einer Aufhebung ausgeht. „Für die Bürger klingt das nach Freedom Day, und das ist es ganz klar nicht.“ Erst der 20. März sei dafür angepeilt, alle Maßnahmen zu beenden. Palmer meint, Buyx unterschätze die Bürger: „Das ist doch jetzt nicht so kompliziert“, sagt er: „Die Notlage ist vorbei, aber es ist immer noch ernst.“ Von dieser klaren Aussage ist Buyx wiederum begeistert und empfiehlt den Satz für die öffentliche Kommunikation.

Unterdessen liefert der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit die passenden Informationen für Bedenkenträger. Es sei zwar richtig, dass bei neuen Impfstoffen seltenere Nebenwirkungen oft erst später entdeckt würden. Das beruhe aber nicht auf einem Zeitfaktor, sondern auf der Anzahl der Geimpften. Und im Falle der Corona-Impfstoffe gäbe es bereits Milliarden Geimpfte. Das heiße: „Auch seltenste Nebenwirkungen bei den Corona-Impfungen sind bekannt.“

Mit Blick auf den Winter sind für Schmidt-Chanasit drei Punkte entscheidend: Man müsse den Pflegenotstand beheben, zweitens niedrigschwellige, hochwertige Testangebote da machen, wo eine wirkliche Gefährdung vorliege – also nicht für den Supermarktbesuch, aber etwa für pflegende Angehörige – und allem voran Auffrischungsimpfungen für die Über-60-Jährigen durchführen, und zwar so schnell wie möglich. In diesem Punkt wendet die Ärztin Katzenstein ein, dass dies mit den Empfehlungen für Impfzeiträume nicht zusammengeht: „Die meisten sind noch keine sechs Monate geimpft.“

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