Hendrik Wüst bei Anne Will „Der Weg in die Normalität geht über Achtsamkeit und Vorsicht“

Berlin · Der NRW-Ministerpräsident bekräftigt bei Anne Will sein Votum für eine Impfpflicht ab 18. In der ersten Sendung des Jahres geht es auch um das „Brieftaubenniveau“ in der medizinischen Digitalisierung und die nächsten Wochen mit Omikron.

 Anne Will diskutiert mit ihren Gästen in der ARD über die Omikron-Welle und Probleme und Nutzen einer Impfpflicht.

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen in der ARD über die Omikron-Welle und Probleme und Nutzen einer Impfpflicht.

Foto: Screenshot ARD

Darum ging es

Mit welchem Plan Deutschland ins dritte Corona-Jahr geht ist am Sonntagabend Anne Wills Fokus für ihre erste Sendung in 2022. Zwei Politiker, ein Arzt, eine Journalistin und eine Ethikerin diskutieren über die lückenhafte Datenlage und Variationen zur Impfpflicht.

Die Gäste

  • Hendrik Wüst, NRW-Ministerpräsident (CDU)
  • Helene Bubrowski, Korrespondentin der „FAZ“ in der Parlamentsredaktion
  • Uwe Janssens, Intensivmediziner am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler
  • Alena Buyx, Professorin für Medizinethik und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates
  • Marco Buschmann, Bundesjustizminister (FDP)

Der Talkverlauf

Vor den Bund-Länder-Beratungen zur Omikron-Welle kritisiert Anne Will am Abend in der ARD zunächst das „Durcheinander“ bei Regelungen zu Impfstatus sowie knappen PCR-Test-Kapazitäten – und mit der Diskussion um die Impfpflicht gehe es auch nicht voran. Kein erbaulicher Start ins Jahr, wenn auch Intensivmediziner Uwe Janssens die Einschätzung des Gesundheitsministers von „mehreren Hunderttausend Infektionen“ pro Tag für realistisch hält: „Wir werden in der kommenden Woche wohl die 200.000-Marke knacken.“ Auch angesichts oft milderer Krankheitsverläufe der Omikron-Variante dürfe das Land sich „nicht in Sicherheit wiegen, es wäre verfrüht, sich zurückzulehnen“.

Ethikerin Alena Buyx stimmt dem Mediziner zu: „Wir gehen in eine andere wackelige Phase der Pandemie“, sagt sie und empfiehlt als Strategie: „Kurs halten, wachsam bleiben, aber im Zweifel vorbereiten, wenn das jetzt noch mal schlimmer werden sollte.“ Möglich sei immerhin ein niedrigeres Risiko fürs Gesundheitswesen: „Vielleicht rutschen wir mit einem blauen Auge unter einer wirklich schweren Überlastung durch.“

Als einziger Vertreter einer Regierungspartei hebt Marco Buschmann die bisherigen Erfolge der Ampel hervor: „Wir machen vieles anders“, sagt der FDP-Politiker und lobt: „Wir haben die Delta-Welle ohne neuen Lockdown bewältigt“. Zudem habe man eine der „besten Booster-Kampagnen in Europa“. In anderen Bereichen gibt es aber offenbar Nachholbedarf – etwa bei der Digitalisierung im medizinischen Bereich, der Intensivmediziner Janssens „Brieftaubenniveau“ bescheinigt.

Hendrik Wüst argumentiert, das digitale Problem sei nicht neu: „Wir warten seit 2003 auf die Gesundheitskarte, womit mehr Transparenz geschaffen werde.“ Es gebe dort aber „elend lange Streitigkeiten auch zum Datenschutz“, so der CDU-Politiker, der hofft, „vielleicht macht da nun Corona den richtigen Druck“ für mehr Engagement.

Der Justizminister verspricht in Sachen Digitalisierung Besserung, das werde er gemeinsam mit Wüst und den Ministerpräsidenten auf den Weg bringen. Problem sei seiner Ansicht nach nicht vorrangig der Datenschutz, bestimmte Daten seien einfach gar nicht erhoben worden. Erst jetzt sei etwa damit begonnen worden, in Krankenhäusern den Impfstatus abzufragen.

Der NRW-Ministerpräsident schaut in die Zukunft: Der Expertenrat habe  angeregt, dass die Regierung sich Gedanken zu einer Exit-Strategie machen solle. „Aber der Weg in diese Normalität, die wir alle wollen, geht aktuell wegen steigender Zahlen nur über Achtsamkeit und Vorsicht“, mahnt Wüst. 

Zum komplizierten Thema Impfpflicht haben die beiden Politiker allerdings sehr unterschiedliche Meinungen. Buschmann sieht für eine Impfpflicht für die ab 50-Jährigen die „stärkeren Argumente“, Wüst hält davon wenig: „Auch für eine Impfpflicht ab 18 gibt es gute Argumente“, sagt er. Letztlich müsse man eine  Impfpflicht zu einem Zeitpunkt haben, wo man sie vor dem Herbst umsetzen könne. „Ja, ich wäre für Impfpflicht ab 18“, sagt Wüst, denn auch andere Altersgruppen seien betroffen. Nur müsse man das nun bitte „zügig diskutieren“. Denn die Umsetzung werde vor allem Job der Kommunen, der Einwohnermeldeämter und Kreisgesundheitsämter. „Das wird eine große Aufgabe für die Kommunen“, sagt Wüst. Daher sei es wichtig, den Sommer über Zeit zu haben, Kontrolle und Erfassungen umzusetzen.

Uwe Janssens hat einen anderen Vorschlag: Warum sollen nicht die Krankenkassen einbezogen werden – ein Werkzeug, das schon da sei? Die Praxen seien ohnehin überlastet.

Für einen raschen Weg durch die Politik ist auch Buyx, sie mahnt allerdings eine „gerechte Schadensverteilung“ an und betont, wie wichtig es sei, eine Impfpflicht gut zu begründen. „Wenn man eine Impfpflicht rechtfertigen kann, muss sie sehr hochrangigen Zielen dienen“, sagt sie und gibt Buschmann Recht: Mit Omikron habe das dann nichts mehr zu tun. „Wir dürfen nicht ein drittes Mal im Herbst in eine Situation kommen, dass man Sorgen haben muss, im Krankenhaus nicht ordentlich behandelt werden zu können und ohne dass wieder einschneidende Maßnahmen anstehen.“ Wenn man das ohne Impfpflicht schaffen sollte, sei es umso besser; wenn nicht, lasse sich eine Impfpflicht rechtfertigen.

Für Hendrik Wüst ist die „Impflücke immer noch zu groß“. Angesichts des Drucks auf die Gesellschaft, Kinder und Betriebe, der durch neue Einschränkungen wieder größer werde, plädiert er noch einmal für eine zügige Impfpflicht. „Wir lassen das nicht weiter zu, dass Menschen ihre individuelle Freiheit über die der Allgemeinheit stellen“, sagt Wüst. Es gehe auch um ein Zeichen für jene, die alles richtig gemacht hätten: Maske, Impfung und Booster. „Jetzt sind mal die anderen dran, die sich bisher geweigert haben“, sagt der Ministerpräsident.

Helene Bubrowski findet den Streit zwischen den Parteien nicht hilfreich: Wäre die FDP nicht Teil der Koalition, hätte Olaf Scholz längst eine Vorlage zum Thema vorgelegt, ist sie überzeugt. Eine Gruppe um FDP-Mann Wolfgang Kubicki sei gegen die Impfpflicht, die SPD gebe den Mahner und die Grünen seien vorsichtig. Dann zu versuchen, mit einer Stimme zu sprechen, gebe kein stimmiges Bild ab, sondern „eines, das nicht das Vertrauen der Menschen in die Krisenlösung steigert“.

(juju)
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