"Hart aber fair" zu Lebensversicherungen "Alte Verträge von vor 2005 rentieren sich"

Düsseldorf · Versicherungen sind per se ein schwieriges Thema. Aber wer sich von der Debatte der Experten bei "Hart aber fair" klare Aussagen zur privaten Altersvorsorge erhofft hat, war nachher verwirrter als zuvor.

Das ist Frank Plasberg: Alle Infos zum TV-Journalisten und Moderator
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Das ist Frank Plasberg

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Foto: dpa/Horst Galuschka

Darum ging's

Moderator Frank Plasberg will mit seinen Gästen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Frage nachgehen, ob sich Lebensversicherungen heutzutage überhaupt noch lohnen oder ob es bessere, sicherere Möglichkeiten gibt, fürs Alter vorzusorgen.

Darum ging's wirklich

Nicht vorschnell kündigen oder abschließen. Und: Lesen Sie das Kleingedruckte! Mehr als dieses schwammige Fazit kann man nach der Diskussion von Versicherungs- und Finanzexperten kaum ziehen. Versicherungen sind Vertrauenssache — und genau dieses dürfte danach bei vielen Zuschauern erst recht erschüttert sein, sei es in die Politik, in Experten oder in Versicherungsunternehmen.

  • Ralph Brinkhaus, Finanzexperte der Unionsfraktion
  • Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin
  • Ulrich Schneider, Chef des Sozialverbands "Die Paritätische"
  • Sven Enger, ehemaliger Versicherungsmanager, Buchautor "Alt, arm und abgezockt: Der Crash der privaten Altersvorsorge und wie Sie sich darauf vorbereiten können"
  • Peter Schwark, Geschäftsführer des Versicherungsverbandes GDV
  • Kerstin Becker-Eiselen, Verbraucherzentrale Hamburg

Der Frontverlauf

Ein Mann schließt eine Lebensversicherung ab. Als er diese ausbezahlt bekommt, ist der Betrag deutlich niedriger als erwartet. Er hatte sich an der Summe orientiert, die er im besten Fall hätte bekommen können, wenn sich der Zinssatz günstig weiterentwickelt hätte — und nicht an der Realität, die weniger rosig war. Die tatsächliche Summe verstecken Versicherer gerne in Sternchen-Bemerkungen am Ende jährlicher Schreiben, die nicht wenige wohl wie Moderator Frank Plasberg ungelesen abheften — bis zum nächsten Jahr. Die Beträge können sich bis zu 40 Prozent unterscheiden, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Selbst sie als Expertin kommt beim Versuch, Lebensversicherungen im Dialog mit Moderator Plasberg einfach zu erklären, ins Stocken.

Peter Schwark, Geschäftsführer des Versicherungsverbandes GDV, sagt, dass in den neunziger Jahren sieben bis acht Prozent Rendite realistisch waren. Doch durch die Intervention der Europäischen Zentralbank seien die Renditen quasi auf Null zusammengeschrumpft — ohne dass die Versicherer etwas dagegen tun könnten.

Schönwetterprodukt?

"Sind Lebensversicherungen ein Schönwetterprodukt, aber sobald es reinregnet, läuft es nicht mehr?", will Moderator Plasberg von Sven Enger wissen. "Den Eindruck kann man gewinnen", sagt der ehemalige Versicherungsmanager. Enger hat das Buch "Alt, arm und abgezockt: Der Crash der privaten Altersvorsorge und wie Sie sich darauf vorbereiten können" geschrieben und warnt vor dem Abschluss einer Lebensversicherung, dem Crash der Branche und vor Altersarmut. Er könne die Enttäuschung von Kunden, die viel weniger herausbekämen als sie erwartet hatten, nachvollziehen.

Ralph Brinkhaus, der Finanzexperte der Unionsfraktion, sagt, dass zwar nicht alle, aber zu viele Versicherungen ihre Produkte schlecht erklärt und trotzdem verkauft hätten. Viele Käufer hätten sich fälschlicherweise auf den Höchstwert verlassen. Er appelliert an die Zuschauer, sich die "kryptische" Jahreserklärung genau anzuschauen. Noch besser wäre es seiner Meinung nach, würden die Versicherer ihre Produkte im Stil der "Sendung mit der Maus" erklären. "Und ich weiß von den Kollegen, die die Sendung machen, wie schwierig so etwas ist", schiebt Plasberg nach.

Ulrich Schneider, der Chef des Sozialverbands "Die Paritätische" sagt, seine Kunden könnten sich Lebensversicherungen ohnehin nicht leisten, weil sie nicht genug Geld verdienten, um etwas zur Seite zu legen. Bei denen, denen es etwas besser gehe, seien im Monat vielleicht 200 Euro für die Altersvorsorge machbar.

Die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl sagt klarer als die meisten an diesem Abend, was Sache ist: "Alte Verträge, die vor 2005 abgeschlossen wurden, rentieren sich, sind steuerfrei, solche alten Verträge sollte man nicht kündigen." Bei den neuen Verträgen sehe die Sache anders aus. Diese würden sich allenfalls vielleicht rentieren, wenn diese eine staatliche Förderung enthalten, und selbst dann müsse man sich den Vertrag noch genau ansehen.

Schwark, der die Versicherungsbranche vertritt, hält die Kernthese von Enger für Panikmache, um die Auflage des Buches hochzutreiben. Dessen Thesen würden dem Faktencheck nicht standhalten — und der Versicherungsverband habe auf der Website gerade einen Faktencheck zu Engers Buch veröffentlicht. Auch Moderator Plasberg warnt Enger, fragt, ob dieser sich seiner Verantwortung bewusst sei, wenn er solche Thesen in den Raum stelle. Dieser bejaht. Schwark betont mehrfach, dass die Versicherer nicht nur die versprochenen Beträge, sondern auch ein Vielfaches darüber hinaus bereithielten, und dass es Stresstests gebe, um die Versicherer zu prüfen.

Am Beispiel eines Briefes der Versicherung Generali, wo eine Kundin dazu überredet werden sollte, "kostenlos" auf ein anderes Produkt zu wechseln, spricht die Runde eine klare Warnung aus: Dies könne bedeuten, dass der Versicherer die Versicherten aus alten Verträgen, die bessere Konditionen haben, herausdrängen wolle, etwa, weil sich manche Firmen komplett aus dem Geschäft mit Lebensversicherungen verabschieden wollen. Auch der Verbandsvertreter sagt: "Man soll lieber nicht einmal getroffene Vorsorgeentscheidung ändern."

Auch das Geschäft von Run-off-Gesellschaften, die Versicherungsverträge mit allen Rechten und Pflichten übernehmen, kommt eher schlecht weg. Das Geschäftsmodell ist kompliziert und bisher ist unklar, wie sich dies langfristig auf den Versicherungsmarkt und vor allem für die Versicherten auswirkt.

Schäfer, der seine Riester-Rente gekündigt hatte, fühlt sich bestätigt: "Ich habe gelernt - wer jetzt noch eine Kapitallebensversicherung kauft, ist selber schuld". Bei einem so komplexen Produkt mit einer so langen Laufzeit sei Vorsicht geboten. "Ich bin nach dieser Diskussion noch mehr Fan der gesetzlichen Rentenversicherung, als ich es vorher war." Der Verbandsvertreter Schwark will dieses vernichtende Urteil nicht auf seiner Branche sitzen lassen, das sei "Panikmache".

Anja Kohl springt Schäfer bei. Sie ist ebenfalls skeptisch in Bezug auf private Versicherungsprodukte, zumal es um eine große Zahl von Kunden geht, die solche Verträge abgeschlossen haben: "Neun Millionen Verträge sind vom Run-Off betroffen!" Schwark echauffiert sich, will sie kaum ausreden lassen, obwohl sie ihn mehrfach darum bittet.

Ärgerliche Plattitüde

Mit einem überheblichen "Frau Kohl ist sehr emotional" versucht der Unionsvertreter Brinkhaus Kohl das Wort abzuschneiden — ein peinlicher wie klischeehafter Satz, den Männer gerne heranziehen, wenn sie die angeblich emotionaleren Frauen in Diskussionen zum Verstummen bringen möchten, weil ihnen die Argumente ausgehen. Die Börsenexpertin ist und bleibt ruhig und kontert zu Recht: "Ich bin nicht emotional, ich bin faktisch."

Anstatt als Moderator ärgerliche Plattitüden wie die von Brinkhaus zu entlarven, legt Plasberg sogar noch nach, bietet der Kollegin unnötigerweise Beruhigungstropfen an. "Ich bin nicht aufgeregt, ich weiß doch, was ich gelesen habe", wiederholt diese erneut. Während die Herren am Tisch sich echauffieren und schwadronieren dürfen, wird Kohl abgewürgt.

Nicht wenige der Zuschauer werden sich die Sendung bis zum Ende angeschaut haben, um etwas über Alternativen zu erfahren. "Gold, Casino, Aktien…?", witzelt Plasberg. Und bringt als einziges Beispiel Schweden, wo 27 Angestellte einen Fonds mit 15 Prozent Rendite betreuen und 44 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Das ist beeindruckend. Aber für deutsche Zuschauer schlicht nicht relevant.

(sbl)
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