TV-Nachlese zu „Hart aber fair“ „Es ist doch gar nicht so, dass Diplomatie und Waffenlieferungen sich widersprechen“

Köln · Neunmonatige Panzerwehen, das Muster der Selbstabschreckung und das Rezept, mit dem Putins Russland Erfolg hat: Bei „Hart aber fair“ überbieten sich die Gäste mit Bildern vom Krieg.

Die Gäste im Talk bei „Hart aber fair“ am 13. Februar 2023.

Die Gäste im Talk bei „Hart aber fair“ am 13. Februar 2023.

Foto: WDR

Bei „Hart aber fair“ geht es am Montagabend um das Thema „Putins Überfall, Europas Albtraum: Ein Jahr Krieg und kein Ende in Sicht?“.

Die Gäste:

  • Vassili Golod – Journalist
  • Gesine Dornblüth, Journalistin
  • Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments
  • Amira Mohamed Ali (Die Linke), Fraktionsvorsitzende
  • Hans-Lothar Domröse, ehemaliger Nato-General
  • Andrij Melnyk, Vize-Außenminster der Ukraine
  • Ina Ruck, Journalistin in Moskau

Darum ging’s:

Um Waffenlieferungen, Friedensverhandlungen, westliche Strategie und russische Propaganda.

Der Talkverlauf:

Nach der Ausstrahlung des Dokumentarfilms „Krieg im Leben“ ist der Journalist Vassili Golod gefragt, der den Film gedreht hat. Moderator Louis Klamroth lenkt das Gespräch entsprechend zunächst auf die Menschen in der Ukraine. „Ich habe die Ukraine noch nie so geeint erlebt wie 2022 und jetzt gerade“, sagt Golod, der als Korrespondent in der Ukraine arbeitet und früher einmal Teil unserer Redaktion war.

Ebenfalls eingeladen ist – man darf inzwischen wohl sagen: nach alter Sitte für Talkshows mit Kriegsthematik – ein pensionierter General. „Da kommt eine gewaltige Front auf uns zu“ sagt der Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse, der bereits anderswo vor einer großen Frühjahrsoffensive Russlands gewarnt hatte. Dabei führt er die Menge an an Kriegswaffen an, die Russland in die Ukraine bringt, sowie den Einsatz und die Ausbildung von Reservisten.

Beim Blick nach Russland soll die Journalistin Gesine Dornblüth über gesellschaftliche Veränderungen sprechen. „Weite Teile der Gesellschaft sind zwar keine fanatischen Kriegsbefürworter, sie sind aber apathisch und mischen sich nicht ein.“ Kurzum: Dornblüth glaubt, der Krieg habe dort gar nicht so viel verändert – „weil die Grundproblematik viel tiefer liegt, noch aus Sowjetzeiten“. Damit meint sie unter anderem die fehlende Aufarbeitung von Gewalt in der Stalin- und Sowjet-Zeit, die sie bereits in einem Buch analysiert hat. Auch heute noch gelte in Russland in vielen Bereichen: „Wer Gewalt anwendet, profitiert.“ Das gehe bis hin zur Entkriminalisierung von häuslicher Gewalt, sagt Dornblüth.

Die SPD-Politikerin Katharina Barley bringt die europäische Sichtweise ins Spiel. „Das war ja ein Angriff nicht nur auf die Ukraine, sondern auf die Art, wie wir leben und auf die europäische Einheit“, sagt die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments. Waffenlieferungen sind ihrer Ansicht nach keine Symbolpolitik gewesen, sondern wichtig für die ukrainische Verteidigung, ebenso wie die humanitäre Hilfe wichtig für die Bevölkerung sei. „Deutschland ist da natürlich immer bei den größten Gebern dabei“, sagt Barley.

Die Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali schaut indes nicht auf das, was bislang erreicht wurde – sondern das Gegenteil. „Was nicht erreicht worden ist, ist dass der Krieg endet“, sagt sie.

Mohamed Ali sieht allein die Ankündigung von Waffenlieferungen als Auslöser für Eskalation. Die Franktionsführerin der Linken kritisiert ein mangelndes Engagement für Friedensgespräche bei der Bundesregierung. Die einzige Vertreterin dieser Linie in der Runde klingt klar und geradeheraus, bis Klamroth danach fragt, ob sie der Ukraine lieber keine Waffen geliefert hätte.

Darauf folgt eine zunächst fruchtlose Diskussion über Friedensgespräche, die im Verlauf der Sendung immer wieder zu hitzigen Wortgefechten führt, bei denen teils nichts mehr zu verstehen ist. Den ersten Applaus bekommt die SPD-Politikerin Barley: „Wenn man sagt, man will Waffenstillstandsverhandlungen führen, heißt das halt: Man sagt zu den einen, hört auf anzugreifen, und zu den anderen sagt man, hört auf, euch zu verteidigen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze.“

Barley betont zudem, die Ukrainer müssten selbst entscheiden, wie sie dagegen vorgehen wollen. Und mit Blick auf den von Mohamed Ali geforderten Waffenstillstand sagt die SPD-Politikerin: „Aber die Ukrainer wollen das nicht.“

Erfolglos versucht Mohamed Ali, einen Unterschied zwischen dieser Diskussion und der von ihr aufgeworfenen Frage zu machen, wohin immer weitergehende Waffenlieferungen führen.
Mohamed Ali sagt, es habe gute Gründe, dass Deutschland zuvor prinzipiell keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete geliefert habe. Zudem vermisst die Linken-Politikerin den druckausübenden Effekt auf Russland, was ihr dann ebenfalls Applaus einbringt.

Der Moderator verstärkt dies nun mit einer Erhebung, derzufolge nach Ansicht von 58 Prozent der Befragten die diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung nicht weit genug gingen. Mohamed Ali legt nach. „Auch führende Militärs sagen: Die Ukraine kann Russland militärisch nicht besiegen.“ Deshalb sieht sie einen diplomatischen Weg zum Ende des Kriegs durch Waffenlieferungen in immer weitere Ferne gerückt.

Das wiederum wirft die Frage auf, ob und welche Landverluste die Ukraine denn nach Ansicht der Linken-Politikerin hinnehmen solle. Das beantwortet Mohamed Ali nicht. Stattdessen verweist sie auf eine Initiative des brasilianischen Staatschefs Lula: Er fordere die Einrichtung eines internationalen Formats, bei dem auch China mitwirke – und damit ein Land, das wirtschaftlich für Russland eine große Rolle spielt.

„Da gebe ich Ihnen recht“, sagt nun der Ex-General Domröse, „aus meiner Sicht fehlt eine politische Strategie.“ Das gelte auch für andere Problemzonen wie etwa Nordkorea. Aber in puncto Ukraine gehe es zunächst um die Verteidigung: „Ich sehe nicht, dass Herr Putin aufgibt.“

Gleichzeitig warnt der Militärexperte davor „in das Muster der Selbstabschreckung“ zu verfallen. Angesichts der Sorge vor einem Atomwaffeneinsatz will Domröse zwar nichts ausschließen, hält diesen aber für unrealistisch. Ein Grund dafür sei, dass Russland dadurch mit China einen seiner letzten Getreuen verlieren würde. Auch der Gegenschlag würde „fürchterlich“ ausfallen. Mohamed Ali bezweifelt indessen, dass Putin solche Folgen bedenkt. Schließlich hätten auch viele Menschen geglaubt, er würde von einem Einmarsch in die Ukraine absehen.

Aus der Ecke grätscht schließlich die Journalistin Dornblüth dazwischen. „Es fehlt hier ein zentraler Punkt in der Debatte“, sagt sie. „Es ist doch gar nicht so, dass Diplomatie und Waffenlieferungen sich widersprechen, sondern sie müssen sich ergänzen.“ Bald darauf beendet sie eine weitere in Talkshows gern episch ausgewalzte Debatte gleich im Ansatz: „Ich glaube, ob Putin sein Gesicht verliert oder nicht, ist nicht die Frage.“

Der aus Kiew zugeschaltete ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk kommt fast umgehend zu seiner Sicht auf die Diplomatiefrage. „Ob wir es wollen oder nicht: Dieser Krieg kann nur auf dem Schlachtfeld beendet werden“, meint er. Was die Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali vorschlage, klinge zwar harmlos. „Aber haben Sie die neuen Schulbücher gesehen, wo Gebiete wie Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk bereits Teil der Russischen Föderation geworden sind?“ Einem Verhandlungsteam gegenüber müsse Russland dann ja entscheiden, Teile des Landes abzugeben, „das wäre ja Landesverrat“, so Melnyk.

Mit einigen deutschsprachigen Büchern im Hintergrund erinnert er auch optisch an seine Zeit als Botschafter in Berlin, während der er angesichts seines Hangs zur Provokation zum Talkshow- und Boulevardliebling wurde. In dieser Sendung liefert er nun Formulierungen wie „Panzerwehen, die neun Monate gedauert haben“ und „wir fordern ja nicht das Blaue vom Himmel“.

Auch von dem Eindruck, die Ukraine würde direkt nach Lieferungen immer höhere Ansprüche stellen, will Melnyk nichts hören. Er verweist darauf, dass Kampfflugzeuge bereits auf der Wunschliste standen, die die Ukraine im März 2022 an die Bundesregierung geschickt habe. Allerdings drückt er sich davor, die Länder zu nennen, die angeblich zu Kampfjetlieferungen bereit seien. Davon hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskjy gesprochen.

Die Journalistin Dornblüth stellt klar, sie glaube durchaus, dass Putin gestoppt werden könne. „Putin testet den Westen“, sagt sie. „Und es ist nicht so, dass wenn ihm klare Kante gezeigt wird, dass Putin dann automatisch weiter eskaliert.“ Auslöser dafür seien nicht die Waffenlieferungen. Auch ohne sie würde Putin Panzer in die Ukraine schicken.

Golod spinnt indes an Mohamed Ali gewandt den Gedanken an Folgen eines Waffenstillstands weiter. In den russische besetzten Gebieten würden dann vermutlich weiter Kinder deportiert und russische Pässe verteilt, sagt er. „Ein sofortiger Waffenstillstand beendet nicht den Krieg, sondern er friert den Zustand ein, den Russland sich gewaltsam erkämpft hat auf dem Staatsgebiet eines demokratischen Staates.“

Nach einer weiteren Runde Durcheinanderreden versucht Golod, mit Nüchternheit dagegenzuhalten. „Putin hat in den vergangenen Jahrzehnten keinen Staat angegriffen, der militärisch stärker ist als er.“ Domröse springt ihm bei und erklärt an Mohamed Ali gewandt, die Waffenlieferungen seien dazu gedacht, eine militärische Ausgangssituation für Verhandlungen zu schaffen.

Beim Thema „Sanktionen“ berichtet die Europapolitikerin Barley, Russland würde nun Waschmaschinen aus aller Welt kaufen, um deren Computerchips auszubauen, da diese sanktionsbedingten Mangelware geworden sind und für die Rüstungstechnologie fehlten. Die Idee hinter den Sanktionen sei nicht, der russischen Bevölkerung zu schaden, sondern gezielt da anzusetzen, wo es um den Krieg gehe. Barley spricht sich zudem dafür aus, eingefrorene Gelder für die Ukraine-Hilfe zu benutzen.

Die aus Moskau zugeschaltete Journalistin Ina Ruck berichtet, dass die Bevölkerung die Sanktionsfolgen durchaus zu spüren bekäme, aber sich dadurch ihre Einstellung zum Krieg nicht geändert habe. In russischen Talkshows werde fast täglich gefordert, die Ukraine als Staat vom Erdboden zu löschen. Nur dann, so werde es in russischen Medien dargestellt, gebe es Frieden. „Verhandeln ist hier überhaupt keine Option“, sagt die Russland-Korrespondentin. „Das wird gar nicht diskutiert.“

Weil die Kritik am Krieg oder an der Armee in Russland zur Straftat geworden ist, die mehrere Jahre Haft nach sich ziehen kann, habe sich auch die Arbeit ausländischer Journalisten verändert. Von Selbstzensur wolle sie nicht sprechen, sagt Ruck. Doch müsse sie darauf achten, nicht die Menschen zu gefährden, die sie interviewe. Kameras würden auch ohne Fernsehteam in Moskau überall hängen – zur Überwachung.

Der Journalist Golod, der Familie sowohl in der Ukraine als auch in Russland hat, bestätigt diese Eindrücke. Er habe gedacht, dass die Stimmung mit dem Einmarsch kippen würde, oder nach Butscha. Doch die russische Propaganda sei stärker. „Diese Emotionalität kombiniert mit Desinformation, das ist das Rezept, mit dem Putins Russland Erfolg hat und die Kontrolle hält“, sagt Golod.

(peng)
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