TV-Nachlese "Hart aber fair" Und immer wieder die Flüchtlingsfrage

Düsseldorf · In "Hart aber fair" sollten drei Politiker und zwei Journalisten darüber debattieren, ob "starke Kandidaten und starke Wahlergebnisse" ein "Warnruf" für Angela Merkel seien. Heraus kam eine neuerliche Debatte über die Zuwanderung.

Wahl in Österreich 2017: Jubel über das Ergebnis bei ÖVP und FPÖ
7 Bilder

Wahl in Österreich: Jubel bei ÖVP und FPÖ

7 Bilder
Foto: dpa, hds lis fgj

Darum ging's

"Der Rechtsruck in Österreich, was bedeutet der für uns?" — darüber will Moderator Frank Plasberg mit drei Politikern, einem deutschen Journalisten und einer österreichischen Journalistin kurz nach der Wahl im Nachbarland diskutieren.

Darum ging's wirklich

Statt um die möglichen Folgen des Rechtsrucks von Österreich für Angela Merkel und ihre Politik vor dem Hintergrund der Koalitionsverhandlungen ging es — wie so oft — um den Themenkomplex Zuwanderung, Flüchtlinge, Obergrenze. Auch nach mehrmaligem Nachfragen verweigert sich Edmund Stoiber einer klaren Antwort, was die CSU aus den Ergebnissen in Österreich lernen könnte.

Die Gäste

  • Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident und ehemaliger CSU-Parteivorsitzender
  • Alexandra Föderl-Schmid, Journalistin der "Süddeutschen Zeitung" und bis Mitte 2017 Chefredakteurin und Co-Herausgeberin der österreichischen Tageszeitung "Standard"
  • Matthias Platzeck, ehemaliger Ministerpräsident des Landes Brandenburg 2002-2013 und ehemaliger SPD-Parteivorsitzender
  • Boris Palmer (B'90/Grüne), Oberbürgermeister von Tübingen
  • Peter Zudeick, Politischer Korrespondent und Buchautor

Frontverlauf

Österreich könnte mit dem 31-jährigen Sebastian Kurz bald einen Regierungschef haben, der halb so alt wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist, rechnet Moderator Frank Plasberg zum Auftakt der Sendung salopp vor. Bei den Wahlen erzielte die konservative ÖVP unter der Führung des derzeitigen Außenministers Kurz mit 31,6 Prozent das beste Ergebnis. Die sozialdemokratische SPÖ bekam mit 26,9 Prozent Wähleranteil knapp mehr Zuspruch von den Wählern als die rechtspopulistische FPÖ mit 26 Prozent. Der amtierende Außenminister Kurz ist bekannt dafür, für alle Probleme seines Landes den Zustrom der Migranten verantwortlich zu machen.

"Was kann die CSU daraus lernen?", will Plasberg von Stoiber in Bezug auf das Wahlergebnis in Österreich wissen. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident holt darauf erst einmal zu einer längeren Beschreibung der Probleme infolge der Zuwanderung in Deutschland aus. Auf Nachfrage Plasbergs redet er sich erst recht in Rage. 60 Prozent der AfD-Wähler seien Protestwähler, sagt Stoiber. Man habe vor allem die kleinen Leute verloren, die sich bei der Flüchtlingsfrage nicht mitgenommen fühlten.

Während die AfD in Bayern der CSU viele Stimmen abjagen konnte, kam die AfD bei der Landtagswahl in Niedersachen am Sonntag mit knapp über sechs Prozent auf ein im Vergleich zur Bundestagswahl schlechtes Ergebnis. "Was machen die Niedersachen besser?", fragt Plasberg den politischen Korrespondenten und Buchautor Peter Zudeick, der an dem Abend mit den schonungslosesten Antworten auf sich aufmerksam macht.

"Die bekommen das weniger mit als die Bayern", sagt dieser in Bezug auf das unterschiedliche Ausmaß der Zuwanderung je nach Region. In der AfD gebe es zwar einige "Fast-Nazis, Immer-noch-Nazis und Beinahe-Nazis", sagt Zudeick weiter, "aber das ist ja nicht die Masse." Die Mehrheit der AfD-Wähler identifiziert er als "Modernisierungsverweigerer", die sich in ihren Ängsten nicht wahrgenommen fühlen. "Wir müssen die Sorgen der Leute verstehen", fordert er.

Die frühere Chefredakteurin der österreichischen Zeitung "Standard" und Journalistin der "Süddeutschen Zeitung", Alexandra Föderl-Schmid, kennt durch ihre Tätigkeit in Deutschland und Österreich beide System gut und trägt dadurch viel zur Debatte bei. Sie sagt, dass eine Diskussion, wie sie gerade in Bezug auf die AfD in Deutschland stattfinde, in Österreich schon vor 30 Jahren geführt worden sei, nämlich nach dem Aufstieg des Rechtspopulisten Jörg Haider in den achtziger Jahren.

Die Frage, ob man Vertreter solcher Parteien in Fernsehprogramme einladen solle oder nicht — auf das Wahlergebnis habe dies in Österreich keine Auswirkung gehabt, sagt Förderl-Schmid. Einen Unterschied sehe sie beim Wählerprofil: Die rechtspopulistische FPÖ sei "hip" bei jungen Wählern, während die AfD doch eher von Älteren gewählt werde.

Matthias Platzeck, ehemaliger Ministerpräsident des Landes Brandenburg und ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, erweist sich als Stimme des Gewissens am "Hart aber fair"-Abend. "Die Achse hat sich in Österreich schon länger verschoben", sagt er sorgenvoll und meint nach rechts. Er bedauere zutiefst, dass linke Gesellschaftsentwürfe nicht Konjunktur zu haben schienen.

Von Boris Palmer von Bündnis 90/Die Grünen kommt Rückendeckung für Sebastian Kurz. Er finde Aussagen von Kurz, die das Publikum per Einspieler hört, nicht rechtspopulistisch, das könne man dem österreichischen Jung-Politiker nicht vorwerfen. Damit erntet er Zustimmung von Edmund Stoiber, den Plasberg und Föderl-Schmid darauf erneut in die Mangel nehmen. "Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen, die CDU ist schuld, dass die CSU jetzt in Bayern verliert?", fragt die Journalistin. "Die Frage der Begrenzung der Zuwanderung, das ist für mich der Schlüsselbegriff", sagt Stoiber.

Kurz nach dem Schulterschluss mit seinem grünen Tischnachbarn greift er den Grünen-Spitzenpolitiker Cem Özdemir an, der noch immer nichts von einer Begrenzung der Zuwanderung hören wolle. Das nutzt Föderl-Schmid für einen erneuten Vorstoß: "Wenn die Begrenzung da wäre, wäre das Ergebnis der CSU besser?" "Mit Sicherheit", sagt Stoiber ausnahmsweise direkt. "Ich glaube, dass viele Menschen in Bayern sauer sind, dass Seehofer immer als bayerischer Löwe gesprungen ist und als Bettvorleger in Berlin gelandet ist", kommentiert die österreichische Journalistin. Dafür erntet sie viel Applaus und grinsende Gesichter im Publikum.

Zudeick nennt die "Obergrenze" von 200.000 Menschen pro Jahr, auf die sich CDU und CSU kürzlich einigten, einen "pflaumenweichen Formelkompromiss". Nach dem Motto: "Wir streben an, 200.000 aufzunehmen, aber weisen niemanden ab." Dadurch sei nichts erreicht, weil die Fluchtbewegung nicht aufhören werde.

Platzeck hat inzwischen genug von der Themaverfehlung. "Schon seit einer halben Stunde geht das Gespräch über die Obergrenze", kritisiert er. "Wenn wir es nicht schaffen, zu konkreten Fragen auch konkrete Lösungen anzubieten, wird die Folie der Flüchtlinge über das Maß genutzt." Er höre zum Beispiel oft, dass sich die Leute Sorgen über die Bezahlbarkeit von Wohnungen machten. "Das ist bei uns nächste Woche das Thema", wirbt Plasberg.

Platzeck sieht den Wahlerfolg von Kurz kritisch: "Es gibt etwas hinter der Sprache, damit werden Stimmungen und Gefühlslagen erzeugt", sagt er. "Ich mache mir Sorgen, was in unseren Ländern in den letzten Jahren passiert ist, am Ende eine Stimmung in der Bevölkerung erzeugt. Den Geist kriegen wir gar nicht mehr in die Flasche. Wir haben Beispiele, dass das in unseren beiden Ländern schon einmal funktioniert hat." Das sei seine Sorge, wenn er von der Achsenverschiebung spreche. "Wir müssen um die Würde eines jeden Menschen kämpfen und dürfen nicht zulassen, dass er in eine Kiste kommt, und die Gefahr sehe ich inzwischen in unserem Land, und dagegen werde ich mich auch weiterhin wehren."

Ähnlich wie Platzeck mahnt Zudeick: "Wir müssen aufhören, alle Probleme auf die Flüchtlingspolitik zu schieben." Das unterstützt auch Stoiber und fügt hinzu: "Die Flüchtlingsfrage erschlägt alles." Das Problem müsse aus dem Mittelpunkt der Gespräche herausgenommen werden, um auch andere soziale Probleme zu lösen.

Zum Abschluss diskutiert die Runde über einen Facebook-Eintrag von Boris Palmer, in dem dieser schreibt, dass er sich unwohl fühlte, als er in der Bahn junge Männer ausländischer Herkunft ohne Fahrkarte sah. "Ist man dann ein Rassist?", fragt er in dem Post provokant. Palmer sagt, er habe damit eine Diskussion auslösen wollen, Zudeick und Platzeck kritisieren seine Methode. "Da kommt die archaische Fremdenangst hervor", sagt der Buchautor über Palmer. Die Journalistin Föderl-Schmid ist ebenfalls kritisch, bezweifelt, dass man über ein solches Medium eine ernsthafte Diskussion führen könne. Palmer kontert: "Ich glaube schon, die sozialen Medien sind der Marktplatz der Politik der Gegenwart."

(sbl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort