Interview mit Günter Wallraff Enthüllungsjournalist sucht Insider

Düsseldorf · Mit seiner RTL-Sendung "Team Wallraff" feierte der 71-jährige Aufklärer Günter Wallraff ein Comeback. Neue Folgen sind in Vorbereitung. Ein Interview mit Günter Wallraff.

Team Wallraff undercover in der Pflege
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Sie waren mit Ihrer RTL-Sendung "Team Wallraff" oft Quotensieger. Worauf führen Sie den Erfolg zurück?

Günter Wallraff Soziales Unrecht und prekäre Arbeitssituationen rücken stärker ins Zentrum, weil immer mehr Menschen davon betroffen sind. Es gibt ein neues soziales Interesse, ich würde sogar fast von einem sozialen Gewissen sprechen. Das merke ich an den Zuschriften, unzählige eindringliche und nachvollziehbare Hilferufe, die zeigen, dass in unserer Gesellschaft Land unter herrscht. Die Abstiegsängste nehmen weiter zu, die Aufstiegschancen ab. Die ganz Reichen werden immer reicher und die Verarmenden zahlreicher. Unser Land befindet sich in einer Zerreißprobe. Das ist mit der Grund, warum Menschen solche Beiträge goutieren, insbesondere, wenn sie selbst davon betroffen sind.

Wird im Fernsehen vielleicht zu wenig aufgeklärt, zu wenig aufgedeckt?

Wallraff Der Reiz liegt darin, dass man so nah dran ist. Bei uns arbeiten hochmotivierte, gewissenhafte junge Kollegen, keine Sensationsjournalisten. Dazu kommt Ernsthaftigkeit zusammen mit lang andauernden Projekten. Die künftigen Folgen sollen aber nicht so eng getaktet sein, es soll mehr Zeit bleiben für die Nacharbeit. Es melden sich unmittelbar so viele Menschen, denen man dann nicht helfen kann.

Werden Ihre Themen von vorneherein auf Betroffenheit oder Publikumswirksamkeit abgeklopft?

Wallraff Es sind symptomatische Fälle, die sehr viele Menschen betreffen. Damit kann man in einer ganzen Branche etwas bewirken. Es sind Themen, bei denen Änderungen passieren müssen, wo der Staat oder die Gesellschaft eingreifen sollte. Nach der Altenpflege-Folge meldeten sich Menschen bei mir, die fragen, wie sie sich ehrenamtlich einbringen können.

Diskutieren Sie vorab mögliche negative Auswirkungen einer Sendung? Im Falle der Burger-King-Reportage leidet nicht nur der angeprangerte Lizenznehmer, sondern das gesamte Unternehmen.

Wallraff Wir haben nicht damit gerechnet, dass das so einen Sturm und so eine unmittelbare Reaktion der Konsumenten auslöst. Allerdings fängt Gesamt-Burger-King in Deutschland jetzt an, Verantwortung für die Situation der Mitarbeiter zu übernehmen. Mir haben viele dankbare Filialleiter geschrieben. Da haben wir etwas erreicht. Dass sich das auf ganz Burger King auswirkt, ist jetzt nicht unbedingt in unserem Sinne, aber bewegen musste das Unternehmen sich.

Würden Sie da beim nächsten Mal anders rangehen, vielleicht eine Firma nicht benennen?

Wallraff Brecht hat gesagt: "Das Verbrechen hat Namen, Anschrift und Gestalt." Wir haben es in der Reportage deutlich gemacht, dass es um die 90 Filialen der Yi-Ko Holding geht. Aber Burger King ist in der Hauptverantwortung, die haben es geschehen lassen. Wir haben sie in die Pflicht genommen, jetzt übernehmen sie die Verantwortung. Die werden sich grundlegend ändern müssen. Und genau das wollen wir erreichen: dass sich Grundlegendes ändert.

Sie sind bei RTL gelandet. Würden Sie einen kritischen Aspekt der Unterhaltung unterordnen?

Wallraff Nie, auf keinen Fall. Das machen die Öffentlich-Rechtlichen teils schon. Unsere Reportagen sind konsequent faktisch aufgearbeitet, der Unterhaltungsaspekt steht im Hintergrund.

Der Erfolg Ihrer Sendungen kann auch Nachahmer animieren, mit ähnlichen, journalistisch unausgereifteren Formaten auf Zuschauerfang zu gehen.

Wallraff Die Methode darf nie Selbstzweck werden, die Persönlichkeitsrechte müssen gewahrt werden. Wenn das andere vordergründig imitieren, fällt das auf sie zurück. Ich selbst bin an einem Punkt, wo ich es nicht mehr alleine schaffe. Ich brauche eine Gruppe, die meine Aufgabe übernimmt, nicht journalistisch, sondern um einzelnen Menschen zu helfen. Über die Hälfte meiner Arbeit sind solche Hilfestellungen und Beratungen, alles unentgeltlich. Ich ertrinke im Elend, wenn sie so wollen. Ich suche eine gemeinnützige Stiftung, die meine Arbeit im großen Stil übernimmt. Das, was bei mir aufläuft, hat Ausmaße angenommen, da braucht es eine große Organisation.

Der Enthüller steht auch in der Kritik: Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" hat gemeldet, dass Sie 2010 zwei Vortragshonorare von McDonald's angenommen haben.

Wallraff Ich sehe nichts Verwerfliches darin, Honorare, die andere in der Regel für sich beanspruchen, an eine wegen ihrer Meinungsäußerin gekündigte Betriebsrätin weitergeleitet zu haben oder für gemeinnützige Stiftungszwecke zu verwenden. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. McDonald's kann durchaus wieder auf den Prüfstand kommen. Ich bin absolut unabhängig, auch RTL gegenüber. Manche Leute können sich einfach nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die anderen helfen, ohne Vorteile für sich in Anspruch zu nehmen.

Wann geht's bei RTL weiter mit dem "Team Wallraff"?

Wallraff Das besprechen wir jetzt. Es sind bereits Reporter unterwegs, aber es braucht noch einige Monate, bis die Geschichten gereift sind.

Jörg Isringhaus führte das Gespräch.

(jis)
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