Team Wallraff Undercover in der Pflege: Allein und eingenässt

In der neuen Ausgabe der investigativen RTL-Reihe "Team Wallraff" ermittelten Reporter in der Pflegebranche. Einige Szenen sind schwer auszuhalten. Einen Shitstorm im Internet wird es wohl trotzdem nicht geben.

Team Wallraff undercover in der Pflege
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Das "Team Wallraff" hat sich nach zwei spektakulären Folgen zum Einstieg erfolgreich etabliert. Nachdem es Missstände bei Zalando und Burger King aufgedeckt hatte, recherchierte nun eine Reporterin undercover in deutschen Pflegeheimen. Namensgeber und Reporter-Pate Günter Wallraff selbst verkleidete sich als russischer Rentner, um Betrugsmethoden im ambulanten Pflegedienst aufzudecken.

RTL macht das sendertypisch. Es wird oftmals reißerisch dramatisiert, verkürzt und inszeniert. Dennoch zeigt sich auch in dieser Ausgabe, welch aufklärerischen Wert die Reihe besitzt: Undercover-Reporterin Pia Osterhaus dokumentiert menschenunwürdige Zustände in einem gut bewerteten Münchner und Berliner Seniorenheim, an Wallraffs russischer Figur Waldemar B. Lässt sich beobachten, wie Pflegedienste systematischen Sozialbetrug am Steuerzahler organisieren.

Unerträglicher Gestank

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Wallraffs Schützling Osterhaus hat sich als Praktikantin Diana in den Betrieb eingeschleust und wird schnell mit Aufgaben konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet ist. Sie verabreicht Medikamente, weiß nicht, was sie in Notfällen tun soll, kann den Geruch nach Fäkalien in manchen Zimmern kaum aushalten.

Der Umgang mancher ihrer Kollegen mit den Alten macht ihr noch mehr zu schaffen. Überforderte Pflegekräfte gehen mit hilfsbedürftigen Alten um wie mit Vieh. Es fehlen nicht nur Geld und Pflegemittel. Es mangelt vor allem an Zeit.

Eine Pflegerin filmt mit dem Handy

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Foto: afp, SAUL LOEB

In einem Fall filmt eine Pflegerin mit dem Handy eine Bewohnerin, die gestürzt ist und sich dabei absurd verrenkt hat. Eine 92-Jährige beklagt sich, dass sie seit drei Stunden im durchnässten Bett sitzt, doch sie muss warten. Keiner hat Zeit. Alles dreht sich um die Aufgabe, irgendwie fertig zu werden, nur selten um den Menschen. "Ich hab keine Lust, zehn neue Wunden zu haben", schimpft eine Pflegerin, als ihre Kollegin einen angeblich krebskranken Alten mit einem knochentrockenen Handtuch zu fest abrubbelt.

Die mit versteckter Kamera gedrehten Szenen sind schwer auszuhalten. Das liegt vor allem an der Undercover-Methodik: Die versteckte Kamera liefert verwackelte Bilder. Über Stimmen ist ein Filter gelegt, der sie verzerrt. Gesichter sind gepixelt. "Hier ist es nicht lebendig", jammert eine alte Frau im Rollstuhl. All das erinnert an Motive des Horrorfilms.

Anerkennung für das Personal

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Foto: dpa, fg vbm lre

Doch das "Team Wallraff" macht nicht den Fehler, allzu pauschale Kritik zu üben. "In diesem System sind alle Opfer. Pfleger müssen vor Überforderung geschützt werden und Pflegebedürftige vor überfordertem Personal", bilanziert Osterhaus.

Mehrfach schildert sie, wie überlastet das Personal ist. Stets am Limit, immer in Hetze, chronisch überlastet. Drei Pflegerinnen müssen am Morgen 37 Menschen versorgen. Pro Bewohner bleiben bei der Morgenpflege siebeneinhalb Minuten, rechnet die Reporterin vor. Umso mehr lobt Osterhaus Pfleger, die immer noch Zeit, Geduld und Liebe investieren.

Gewaltiger Kostendruck

Der Fehler steckt im System. Der Kostendruck in der Pflegebranche ist immens. Schon an Centbeträgen wird auf Kosten der Bewohner gespart. Drastisch belegt das ein Vorfall im Heim in Berlin: Dort versucht das Haus, einen Norovirus zu vertuschen, der eigentlich ans Gesundheitsamt gemeldet werden müsste. Die Behörden müssten die Station sonst dicht machen, doch für solche Fälle gibt es keine Reserven. Erst als sich der Medizinische Dienst ankündigt, reagiert das Haus. Räume werden hektisch geputzt, nachträglich Pflegeberichte verfasst, vorschriftsmäßige Aushänge an die Tür gehängt.

Als Osterhaus nach ihren Beobachtungen Beschwerde einlegen will, stößt sie auf weitere Fehler im System. Erst nach Tagen erreicht sie jemanden bei der Beschwerdestelle. Die aber kann keine Bestätigung für die Vorwürfe finden. Das liegt nicht nur daran, dass das Pflegeheim die Fassade nach außen hin aufrecht erhält. Sondern auch daran, dass sich Verdachtsmomente nur schwer beweisen lassen.

"Lukratives Verbrechen" in der ambulanten Pflege

Auf bemerkenswerte kriminelle Energie stößt hingegen Günter Wallraff bei der Recherche im ambulanten Pflegedienst. Er gibt vor, ein sprachunfähiger russischer Rentner zu sein. Seine angebliche Tochter verhandelt mit einer Frau namens Olga vom Pflegedienst über das weitere Vorgehen. Sie verabreden einen vorsätzlichen Betrug.

Es geht um Pflegezuschüsse, 1300 bis 1600 Euro monatlich, finanziert durch den Steuerzahler. "Das lukrativste Verbrechen, das man sich derzeit in Deutschland vorstellen kann", berichtet der Berliner Bezirksbürgermeister Stephan van Dassel über seine Erfahrungen in dem Bereich, der laut Wallraff überwiegend innerhalb geschlossener ethnischer Gruppen stattfindet. "Das ist ein Verbrechensmarkt, der völlig risikofrei ist und dabei gewinnbringender als Drogenhandel." Angeblich liegen mehr als 140 Anzeigen gegen verschiedene Pflegedienste allein bei der Staatsanwaltschaft Berlin Mitte vor.

Dreist und routiniert

Selbst Wallraff zeigt sich erstaunt, mit welcher Dreistigkeit der so genannte Pflegedienst vorgeht. Atteste werden gefälscht, eingeweihte Ärzte bescheinigen dem eigentlich fitten Wallraff einen Schlaganfall, Inkontinenz, Pflegebedarf. Vor dem Besuch der städtischen Prüfer unterzieht Olga den Rentner einem regelrechten Training. Waldemar soll lernen, möglichst langsam und gebrechlich mit dem Rollator zu laufen, soll über Schmerzen klagen, wenn er die Arme über Schulterhöhe hebt. "Dieses perfide System des Betrugs hat selbst mich überrascht", sagt Wallraff. "Es ist nahezu grotesk, wie dreist und routiniert die Betrüger hier vorgehen und wie die Ämter mit System ausgetrickst werden."

Einen Shitstorm wie im Fall Zalando oder Burger King wird die Reportage aber vermutlich nicht auslösen. Die Missstände in der Pflegebranche werden schon seit Jahren beklagt. Geändert hat sich nur wenig. Auch, weil viele Häuser nach ihren Möglichkeiten gute und treusorgende Arbeit verrichten. Die schwarzen Schafe sind von außen nur schwer auszumachen. Die Missstände ereignen sich hinter verschlossenen Türen.

(pst)
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