Interview mit WDR-Intendantin Monika Piel "Gottschalk war ein wichtiges Experiment"

Düsseldorf · WDR-Intendantin Monika Piel spricht im Interview über die Europameisterschaft, Thomas Gottschalk, die Hörfunkreform und die ARD-Talkstrecke.

 WDR-Intendantin Monika Piel hält die Sendung "Gottschalk live" für ein wichtiges Experiment.

WDR-Intendantin Monika Piel hält die Sendung "Gottschalk live" für ein wichtiges Experiment.

Foto: dapd, Mario Vedder

Werden Sie bei der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine einen Schwerpunkt auf die politischen Begleitumstände legen oder beschränken Sie sich auf "Waldis Sportclub"?

Piel Schon als klar wurde, dass die Ukraine einer der Austragungsorte ist, hat das zu großen Diskussionen bei uns geführt, ganz unabhängig von der aktuellen Lage von Julia Timoschenko. Die politische Situation in der Ukraine wird deshalb auch zentraler Bestandteil unserer Berichterstattung in den nächsten Wochen und Monaten sein.

Wie müssen wir uns das vorstellen: Sagt der Sportreporter im Stadion dann "Dieses Tor fällt übrigens in einem unfreien Land"?

Piel Nein, wir werden das trennen, wir wollen die Fans ja auch nicht verärgern. Neben den Sportreportern sind unsere Korrespondenten-Teams in Warschau, Moskau und der Ukraine gut vorbereitet. Länder wie die Ukraine machen eine falsche Rechnung auf, wenn sie glauben, sich durch ein Großereignis wie die EM positiv darstellen zu können. Es führt zum Gegenteil.

Gilt das auch für Aserbaidschan, wo nach Düsseldorf der "Eurovision Song Contest" in diesem Jahr stattfindet?

Piel Ich bekomme jetzt schon Briefe des aserbaidschanischen Botschafters, warum wir so kritisch über sein Land berichten. Als der Sieger vor einem Jahr feststand, war mein erster Gedanke, ob Baku wohl ein guter Austragungsort ist. Aber das entscheiden nicht wir, sondern die Europäische Rundfunk-Union.

Dank Stefan Raab hatte der Song Contest zwei goldene Jahre, jetzt findet es hinter dem Ural statt mit einem deutschen Beitrag, den kaum einer kennt. Kommt der ESC an sein Ende?

Piel Man muss — gerade auch vor dem aktuellen Hintergrund — in der Europäischen Rundfunk-Union in der Tat bezüglich der Teilnehmerländer darüber nachdenken, ob der Wettbewerb noch zeitgemäß ist. So lange wir dabei sind, sind wir verpflichtet, ihn zu übertragen, egal, wo er stattfindet.

Würden Sie das Urteil "nicht mehr zeitgemäß" inzwischen auch über die Sendung "Gottschalk live" fällen?

Piel Ich fand, dass das ein wichtiges Experiment war. Ich kritisiere immer, dass beim Fernsehen generell wenig Mut da ist, etwas Neues zu machen. Wir haben etwas gewagt, es ist schief gegangen. An Gottschalk sieht man, dass wir in einer völlig anderen medialen Welt als noch vor 20 Jahren leben. Unser Publikum erwartet, dass die erste Sendung perfekt ist. Hat sie erkennbare Mängel, dann ist es ganz schwer, diesen ersten Eindruck zu revidieren und das Publikum zurückzugewinnen. Früher hatte Harald Schmidt bei uns 20 Sendungen mit niedriger Einschaltquote lang Zeit, sich zu entwickeln, dann war die Sendung Kult. Diese Zeiten sind vorbei.

Ist das Publikum doof?

Piel Nein, es hat nur heute unendlich viele Angebote, und deshalb ist es weg, wenn etwas nicht passt. Möglicherweise war es auch nicht das richtige Format für Gottschalk, der die große Bühne mit viel Zeit braucht und nicht das kleine Wohnzimmer. Er hat uns dieses Format vorgeschlagen, weil er noch einmal etwas Neues ausprobieren wollte. Wir haben ihn ja nicht beim ZDF abgeworben, er war zu 100 Prozent davon überzeugt. Welche Motive hätte jemand wie Gottschalk auch sonst haben sollen, in den ARD-Vorabend zu wechseln?

Ärgert es Sie, dass es im Kreise der ARD-Intendanten Kollegen gibt, laut denen Gottschalk vor allem das persönliche Projekt von Monika Piel war?

Piel Mein Eindruck ist eher, dass das eine Medien-Darstellung ist. Alle wichtigen Beschlüsse werden in diesem Kreis gemeinschaftlich gefällt. Sollte tatsächlich eine andere Darstellung aus dem Kreis der Intendanten kommen, dann würde ich sagen: Das ist nun mal menschlich. Erfolg hat immer viele Väter.

Für Gottschalk wurde der ARD-Vorabend umgebaut, für Günther Jauch die ARD-Talkstrecke. Auf den Sofas sitzen häufig die gleichen Gesichter.

Piel Anne Will war am Sonntag außerordentlich erfolgreich, Jauch hat das getoppt. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann soll darauf achten, dass Gesichter und Themen sich möglichst nicht wiederholen. Es sollte nicht sein, aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Im Fall Wulff war der CDU-Politiker Peter Hintze irgendwann der Einzige, der bereit war, vor der Kamera pro Wulff zu sprechen.

2013 wird die Rundfunkgebühr umgestellt. Künftig müssen alle Haushalte zahlen — auch solche, die weder ein Radio noch einen Fernseher haben. Fürchten Sie nicht, dass damit die Akzeptanz für Rundfunkgebühren sinkt?

Piel Die Abgabe wird einfacher und gerechter. Wir hoffen, dass das gut ist für die Akzeptanz. Es gibt kaum Haushalte, die weder ein Radio noch einen Fernseher oder einen PC haben. Das neue Modell, das der Gesetzgeber in einem Staatsvertrag so festgelegt hat, ist eine Abgabe für eine mediale Infrastruktur. Ich zahle auch für Kindergärten, obwohl ich persönlich keine kleinen Kinder mehr habe.

Ihr Kultur-Radiosender WDR 3 steht vor der vierten Programmreform innerhalb von zehn Jahren, es gibt starke Proteste mit 18 000 Unterschriften. Was fürchten Ihre Hörer?

Piel Es sind Klicks im Internet, keine Unterschriften. Beim WDR erleben wir einen solchen Klick-Storm zum ersten Mal. Dabei soll nur ein ganz kleiner Teil des Programms geändert werden, betroffen sind zwei, drei Sendungen im Wortbereich. Da artikuliert sich mehr eine allgemeine Sorge um Kulturabbau — und natürlich nehmen wir auch das ernst. Die meisten, die klicken, haben WDR 3 noch nie gehört. WDR 3 hat 220 000 Hörer am Tag, WDR 2 mehr als drei Millionen, 1LIVE rund 3,5 Millionen Hörer täglich. Wir geben aber über den Wellenetat von WDR 3 fast soviel Geld aus wie für WDR 2 und 1Live zusammen; das ist ein niedriger, zweistelliger Millionenbetrag. Zu sagen, wir würden Kultur abbauen, ist schlicht falsch. Wir stehen zur Kultur — im Programm und auch darüber hinaus.

Ihr Rundfunkrat sorgt sich, ob Sie genug fürs junge Publikum tun, gleichzeitig werfen Ihnen entlassene Moderatoren Alters-Diskriminierung vor.

Piel Selbstverständlich müssen wir uns um junges Publikum und um jüngere Moderatoren bemühen. Aber ich merke, dass das teils falsch verstanden wird. Wir wollen natürlich unser älteres Stamm-Publikum behalten, das langsam sauer auf die Debatte um die Jüngeren reagiert. Es gibt beim WDR keine Alters-Diskriminierung, die Debatte war absoluter Blödsinn. Es ist vollkommen normal, nach 15 Jahren eine Moderatorin auszutauschen.

Hat im digitalen Zeitalter Fernsehen als Leitmedium ausgedient?

Piel Ich glaube weder, dass die Zeitungen eingehen, noch dass Radio und Fernsehen überflüssig werden. Es geht darum, wie und auf welchen Wegen Fernsehen künftig gesehen wird. Da müssen wir viel Geld reinstecken. Das ändert aber nichts daran, dass diejenigen, die Ihre Zeitung lesen, auch weiter die Tagesschau ansehen werden.

Ende Mai steht Ihre Wiederwahl als WDR-Intendantin an. Gibt es eine Überschrift für Ihre zweite Amtszeit?

Piel Für mich ist es wichtig, die regionale Verankerung des WDR weiter zu stärken, wobei wir da schon heute sehr gut sind. Und wir müssen wirklich ein öffentlich-rechtliches Programm machen. Dazu gehören auch Angebote für den Massengeschmack, aber unsere Unterscheidbarkeit bleibt das wichtigste Kriterium, um die Akzeptanz bei den Beitragszahlern zu erhalten.

Das Gespräch führten Leslie Brook, Sven Gösmann, Horst Thoren und Ulli Tückmantel.

(RP/sgo)
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