Lehren aus diesjähriger GNTM-Staffel Diversität ist kein Wohlfühllabel
Meinung | Düsseldorf · Nie war die Spanne des Alters und der Konfektionsgröße breiter als in dieser Staffel von Heidi Klums Castingshow. Trotzdem gab es zum Finale viel Kritik. Dabei ist das Problem der Sendung nicht, dass wieder eine dünne, junge Frau gewonnen hat.
„Auf die Diversity!“, johlen die ausgeschiedenen, über gut gelaunten Teilnehmerinnen auf dem Backstage-Sofa. Vor allem Heidi Klum selbst wird während der Live-Finalshow in Köln am Donnerstagabend nicht müde, das diesjährige Motto ihrer Sendung „Germany‘s Next Topmodel“ zu erwähnen. Die „Diversity-Staffel“ sollte es sein, die 17. Ausgabe der erfolgreichen Serie also unter dem Fokus Vielfalt stehen. Dass am Ende doch drei Blondinen die Endauswahl sind und ein dünnes, junges Protoyp-Model gewinnt, kritisieren viele hart. Doch das ist nicht das eigentliche Problem der Sendung.
Wieder einmal ist es der Youtuber Rezo, der mit einem Rundumschlag am Tag vor dem GNTM-Finale für Aufsehen sorgt. Das 30-minütige Video „GNTM Exposed: Mi$$brauch, Lügen und Minderjährige“ gleicht einer Abrechnung mit Heidi Klum, einer Zusammenstellung der Tiefpunkte der TV-Show seit ihrer Erstausstrahlung 2006. Und wer die teils Jahre alten Ausschnitte aus heutiger Perspektive sieht, muss zugeben: Es war schon schlimmer. Da wurden Minderjährige unverhohlen dazu gedrängt, nackt auf Pferden zu reiten, männliche Shootingpartner leicht bekleidet „heiß zu machen“ oder BHs auszuziehen „aus Prinzip“. Da wurde offensiv über Figuren gelästert – mal waren die Modelanwärterinnen „zu knochig, zu mager“, mal wurde eine gesundheitlich bedingte Gewichtszunahme zum Eklat.

Die bisherigen "Germany's Next Topmodel"- Siegerinnen
„Jeder kann sich selbst sexualisieren, wie er oder sie möchte“, schiebt Rezo in seinem Video vorweg. GNTM aber, zu dem Schluss kommt er, lebe von strukturellem Body Shaming und davon, junge Mädchen für eigene Zwecke zu nutzen, sie zum Weinen, zum Leiden aber auch zum Ausziehen zu bringen – so, wie es das Drehbuch gerade verlangt und die Quoten erhöhen könnte. Heidi und „ihre Schergen“ mögen tolle Klamotten tragen und dünn sein, so der Youtuber: „Menschlich seid ihr hässlich.“
Die Quoten aber geben Heidi Klum recht: Trotz der vielen Sendejahre, trotz Genderdebatten und einer nicht kleinen „Body-Positivity“-Bewegung bei Instagram ist das Format weiterhin erfolgreich. 4,5 Millionen Menschen schalteten nach Angaben von Pro7 am Donnerstag ein, das entspricht einem Marktanteil von 21 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. Der Sender spricht von der erfolgreichsten Staffel seit 13 Jahren.
Und einiges hat sich auch verändert: Seit zwei Jahren ist Volljährigkeit die Voraussetzung für die Teilnahme, ein Akt- oder Männer-Shooting gab es in diesem Jahr nicht, und die größte Hoffnung versprach das Vielfalts-Motto. Von Size Zero bis Konfektionsgröße 54 (XL) war diesmal alles dabei, eine 68-jährige Teilnehmerin sowie die 50 Jahre alte Finalistin setzten neue Maßstäbe. Schon 2009 gewann mit Sara Nuru eine Schwarze die Show, in den vergangenen Jahren nahmen immer mal wieder Transgender teil, in der letzten Staffel gewann sogar ein Transgender-Model. „Liebe Kritiker: Wir machen genauso weiter wie bisher“, sagte Heidi Klum anlässlich einiger Hasskommentare auf die Vielfalt bezogen. Und mangelnde Vielfalt kann man der Sendung wirklich nur bedingt vorwerfen.
Das Vielfaltsmotto hätte es also nicht gebraucht, Diversität darf nicht als Wohlfühl-Label missverstanden werden. Wirkliche Diversität lebt davon, es nicht immer betonen zu müssen, es als normal und gegeben zu betrachten. Ja, für ältere/kurvigere/transgender Models muss es Vorbilder geben. Es muss irgendwann aber auch als selbstverständlich gelten. Dass Teilnehmerinnen sich bei Heidi Klum aber nach wie vor in stereotypen, frauenfeindlichen Settings präsentieren müssen, sich in kurzen Röcken in einer Retroküche oder leicht bekleidet in einem Bett mit Kuscheltieren ablichten lassen, das ist das größere Problem. Ja, im Modelbusiness geht es um Körperlichkeiten statt um den Charakter, die Branche mag unerbittlich sein, der Ton rau. Ob all das aber weiterhin Jahr für Jahr vor einem pubertierenden Millionenpublikum glorifiziert werden muss, ist fraglich. Auf der Website der Sendung aber steht schon der Aufruf für das Casting 2023.