Tatort „Der letzte Patient“ Furtwängler allein im Missbrauchssumpf

Düsseldorf (RPO). Martin hat Charlotte verlassen. Endgültig. Dass der platonische Freund dabei ein solches Chaos im Leben von Kommissarin Lindholm hinterlassen würde, hätte sich auch der Zuschauer des Tatorts "Der letzte Patient" nicht träumen lassen.

Charlotte Lindholm ganz alleine
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Die falsch zugeknöpfte Bluse von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) verheißt nichts Gutes. Der Abschiedsbrief ihres langjährigen Mitbewohners Martin vom Vorabend hat sie komplett aus der Bahn geworfen. Der heimlich-chancenlose Verehrer und Kommissarinnen-Versteher, der nie von Charlottes Seite wich, hat einen Schlussstrich unter die unglückselige Beziehung gezogen. Im wahren Schauspieler-Leben hatte es Ingo Naujoks einfach nur satt, eine Randfigur neben Maria Furtwängler zu sein.

Alles geht schief

Für die Kommissarin erweist sich das im ersten Fall nach Martin als verhängnisvoll. Und für den Zuschauer auch. Unordnung und Vergesslichkeit schreibt ihr Regisseur Friedemann Fromm ins Drehbuch. Alles geht schief. Lindholm hat ihr Leben und das ihres vierjährigen Sohnes nicht mehr im Griff. Ausgerechnet mit der neuen Kommissarin und Prachtmutter Anja Dambeck (Christina Große) muss sie einen Fall lösen, der nach einem vordergründig gewöhnlichen Auftakt in den abgründigen Perversionen von Kindesmissbrauch mündet.

Der Auftakt ist viel zu langatmig und belanglos, um später den rasanten Tempo- und Themenwechsel bis ins letzte Detail nachzuvollziehen. Wer in der konstruierten Story mühsam einen Schritt nachvollzogen hat, hetzt hinterher, weil der Fall gedanklich schon wieder zwei Schritte voraus ist. Was bleibt, ist dumpfes Entsetzen über ein grauenhaftes Netzwerk skrupelloser Kinderschänder.

Erschütternde Videotagebücher

Darauf weist noch nichts hin, als die Ärztin Silke Tannenberg (Cristin König) tot in ihrer ausgebrannten Praxis aufgefunden wird. Ihren Videotagebüchern hat die einsame Frau ihre wechselnden Liebschaften anvertraut. Darunter befindet sich sogar Lindholms Vorgesetzter Stefan Bitomsky (Torsten Michaelis), der sie in der Hoffnung auf Diskretion mit dem Fall betraut.

Vollkommen unglaubwürdig, dass Lindholm die Videos gewissermaßen nebenbei nach und nach auf ihrem Laptop während der Fahrt im Auto (!) sichtet und so wichtige Erkenntnisse viel zu spät ans Licht kommen. Lindholm und die neue Kollegin Dambeck stoßen auf den Architekten Jörg Sallwitz (Jan Messutat). Sein geheimnisvoller Kontakt führt zum Jugendamts-Betreuer Werner Selzer (Steffen Münster) und zur überforderten Pflegefamilie Vollmer. Dort lebt Tim König (eindringlich: Joel Basman).

Notlage ausgenutzt

Den lernbehinderten und offenbar traumatisierten Jungen hat Lindholm bereits per Zufall am Tatort aufgespürt. Sein Schicksal soll vor Augen führen, wie leicht Behinderte in unserer Gesellschaft Opfer von sexuellen Übergriffen werden können. Betreuer Selzer hat die Notlage von Tims Pflegeeltern ausgenutzt und ihn an Männer vermittelt, die ihre düsteren Phantasien auslebten. Weil Medizinerin Tannenberg die Verletzungen und damit die Verbrechen entdeckte, musste erst sie und später der Zeuge Tim - als ihr letzter Patient - sterben.

Den Jungen hatte Lindholm zwischendurch in ihrer Obhut. Zu ihren fahrigen Ermittlungen passt, dass sie ihn entwischen lässt. Deswegen fühlt sie sich für den Tod des Jungen mitverantwortlich und deswegen bis zum Schluss als Versagerin.

Ihre stärksten Szenen hat Lindholm bei den Verhören von Sallwitz und dem Haupttäter Selzner, bei dem sie am Ende sogar die Kontrolle über sich zu verlieren droht. In ihrem Abschiedsgruß an Martin auf dessen Mailbox lässt sie durchblicken, wie sehr ihr diesmal ohne ihn die nötige Souveränität gefehlt hat. Fürwahr.

(RPO)
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