„Tatort: Deine Mutter“ Krass, krasser, Krassnitzer
Wien/Düsseldorf · Nach der XXL-Sommerpause geht es weiter mit dem „Tatort“: In „Deine Mutter“ ermitteln Eisner und Fellner unter Rappern. Das hätte an vielen Stellen schiefgehen können. Ist es aber nicht.
17 Wochen lang, seit Pfingstmontag nämlich, gab es nun keinen „Tatort“. Den den zu Unrecht ungebliebten „Polizeiruf 110“ eingerechnet betrug die Sonntagskrimi-Sommerpause 16 lange Wochen. Wie haben wir das nur überstanden?
Ehrlich gesagt: Viel besser als befürchtet. Im Grunde sogar ganz gut.
So lautet auch das Fazit zum Comeback-Krimi mit dem netten Namen „Deine Mutter“. Mit deren angeblicher Leibesfülle, Dummheit oder Sexualverhalten triezt man einander gern. Zumindest in gewissen Altersgruppen – in der Regel lässt der Reiz der Sprüche nach der Pubertät rapide nach. Es sei denn, man liebt Gangsta-Rap. In dieser Spielart der Rapmusik geht es tendenziell weniger um Gesellschaftskritik und mehr um das Protzen mit den großen Knarren und teuren Karren, die sich leisten kann, wer den harten Weg vom Bordstein zur Skyline geschafft hat. Selbstüberhöhung hier, und da: verbale Erniedrigung aller anderen – und ihrer Mütter.
Kommentar Moritz Eisner: „Aufgeblasene Muskelkaschperl mit teuren Autos, die sich gegenseitig ‚Hurensohn’ nennen. Ich verstehe nicht, wer sich das heute noch anhört. Ist doch komplett aus der Zeit gefallen.“ Das kommt so gut: Krass, krasser, Krassnitzer.
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Hier geht es zur AnmeldungDas Urteil trifft den Punkt. Denn auch Österreichs aufstrebender Jung-Rapper Ted Candy will weg von seiner alten Plattenfirma, die für all das Gangsta-Gedöns steht. Vor den laufenden Handykameras seiner Fans sagt er sich, großzügig unterstützt vom Autotune-Effekt, von seinem bisherigen Mentor los und begibt sich auf die Reise in Richtung Pop. Keine Stunde später ist er tot, erschlagen. Direkt neben dem Studio seines bisherigen Chefs.
Stellt sich also die Frage: Ist der von seinem Schützling brüskierte Akman Onur (Murat Seven) nicht nur Gangsta-Rapper, sondern auch Gangster? War seine Fehde, sein „Beef“ mit Ted Candy bloß eine der üblichen PR-Maßnahme oder gab es tatsächlich einen Streit, der fatal eskalierte? Ging es um Geld? Oder um (verbotene) Liebe? Und welche Rolle spielten die Drogen im Blut des Getöteten? „Er hat es sich vor seinem Tod recht gut gehen lassen“, berichtet der Gerichtsmediziner Dr. Kreindl amüsiert und beinahe bewundernd. „Er hatte einige Substanzen im Blut, die die Existenz erleichtern: Alkohol, Kokain, Amphetamine und auch eine Prise Diazepam.“
Erst widerwillig, dann zunehmend fasziniert stürzen sich Eisner und seine Partnerin Bibi Fellner in einen Crashkurs Hiphop: Geschichte und Kultur, Stilmittel, Ausdifferenzierung und Marketing des Sprechgesangs. Die Vermittlung dieses Wissens an die Ermittler und vor allem an die Zuschauer gelingt ganz gut. Auch Optik, Akustik und Auftreten der Figuren sind längst nicht so peinlich, wie man befürchten musste. Im Gegenteil: Das Gesamtbild ist verblüffend stimmig – und für die eine überdrehte Szene aus dem Foto oben gibt es eine befriedigende Erklärung.
Das liegt an der Drehbuchautorin Franziska Pflaum und Regisseurin Mirjam Unger. Die sind erkennbar im Thema und waren, wichtiger noch, empfänglich für die Anmerkungen von Aleksandar Simonovski. Der Darsteller von Ted Candy nämlich ist unter den Namen Yugo und Jugo Ürdens Rapper im Hauptberuf.
Ebenfalls stark: auch Edita Malovcic die Darstellerin der Mutter des Getöteten (sowie, als Nachwuchs-Rapper Bashir (der gebürtige Moerser Francis Ayozieuwa). Wie gesagt: „Deine Mutter“ ist viel besser als befürchtet. Im Grunde sogar ganz gut.
„Tatort: Deine Mutter“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr