Bedeutendster Fernsehpreis Die Emmys sind die neuen Oscars

Los Angeles · Fernsehen wird das neue Kino, behaupten TV-Produzenten und Kritiker seit Jahren. Gemeint ist nicht der Trend zur überdimensionalen Flatscreen-Glotze, sondern der Qualitätsanspruch des fiktionalen Erzählens. Vor allem für den US-Markt lässt sich derzeit sagen: Nie war die Dichte an hochkarätigen TV-Serien so groß wie heute, nie waren die Produktionen intelligenter erzählt, origineller aufgebaut, ausgefeilter umgesetzt.

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Schon allein deshalb wiegen die Emmys, mit denen in der Nacht auf Montag in Los Angeles die beste Fernsehware gewürdigt wird, mittlerweile schwerer als der Oscar. Der Oscar war gestern, die Emmys sind heute. Zumindest für Erzählstoffe lässt sich daher schon konstatieren: Das Fernsehen hat das Kino längst abgehängt.

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Glamouröse Outfits auf dem roten Teppich

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Foto: dpa/Jordan Strauss

Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Beeinflusst das serielle Erzählen amerikanischer Produktionen den internationalen Markt? Und wie wirkt es sich auf die Art unseres Fernsehkonsums aus? Bisher ist nahezu jeder Trend von den USA nach Europa geschwappt. Aufs Fernsehen gemünzt, sieht das etwa so aus: Deutsche Produzenten versuchen, amerikanische Erfolgsformate wie "Emergency Room" oder "Desperate Housewives" für den hiesigen Markt nachzuempfinden. Dass das meist nicht funktioniert, liegt nicht nur an zu kleinen Budgets, fehlenden Ideen und teils lausigem Handwerk, sondern an einem grundlegenden Unterschied im System. In den USA verfasst etwa nicht ein einzelner Autor eine komplette Serie, sondern ein Kollektiv von Schreibern erarbeitet die Story, ein sogenannter Writer's Room. Oft arbeitet dieser sogar über mehrere Staffeln hinweg, um Kontinuität zu schaffen. So wird der kreative Prozess auf mehrere Schultern verteilt - die Schwarmintelligenz wird's schon richten.

Auch hierzulande findet bei der Serien-Produktion allmählich ein Umdenken statt. So ist die neue ZDF-Reihe "Blochin" mit Jürgen Vogel im Writer's Room entstanden. Sender buchen mittlerweile entsprechende Seminare für ihre Autoren oder verfrachten gleich ganze Drehbuchteams in abgelegene Hütten, um sie dort Scripts entwickeln zu lassen. Denn auch das ist eine Konsequenz der US-Dominanz: Neben den raffiniert ausgearbeiteten TV-Staffeln aus Übersee wirkt die deutsche Serienkost besonders fad. Fans von US-Ware sind für den hiesigen Markt irgendwann verloren. Deutsche Sender stehen daher unter Zugzwang.

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Heidi Klum im durchsichtigen Gold-Kleid bei den Emmys

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Foto: dpa, msc

Was anfangs noch die Ausnahme war, entwickelt sich durch die anhaltende Qualität zudem langsam zur Regel - nämlich, dass Kino-Schauspieler ihre Berührungsängste vor dem Fernsehen verlieren. Wurde das früher in Hollywood noch als Abstieg wahrgenommen, ist heute das Gegenteil der Fall. Für den Emmy nominiert sind etwa Serien mit Kevin Spacey ("House of Cards"), Kyle Chandler ("Bloodline"), Claire Danes ("Homeland") oder Frances McDormand ("Olive Kitteridge"). Abseits der Emmys ließe sich die Liste beliebig fortsetzen, von Matthew McConaughey über Colin Farrell bis Sissy Spacek. Eine Serienrolle ist kein Stigma mehr, sondern ein Ritterschlag.

Dazu werden die Stoffe nicht nur zunehmend komplexer, sondern auch aktueller. Serien wie "Homeland" oder "The Honourable Woman" thematisieren die diffizile Sicherheitslage im Nahen Osten beziehungsweise die komplizierte Gemengelage einer globalisierten Wirtschaftswelt. Aber ohne auf zwischenmenschliche Konflikte oder einen ordentlichen Spannungsbogen zu verzichten. Möglich macht das auch der lange Atem - erzählt wird nicht mehr wie früher in Einstunden-Häppchen, sondern linear, also meist über zwölf Folgen und über Staffeln hinweg. Das Kino wirkt dagegen oft wie eine Fünf-Minuten-Terrine, weil es simplifiziert, verdichtet, auslässt. Oder sich nur noch auf kassenträchtiges Fortsetzungs-Krach-Bumm verlässt.

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Lady Gaga ganz brav auf dem roten Teppich

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Werden wir nun alle zu Couch-Potatoes? Möglicherweise. Denn einhergehend mit dem qualitativen Aufschwung der Serienproduktion hat sich auch die Anbieterstruktur geändert. Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime bieten gegen eine Monatsgebühr Fernsehen auf Abruf. Die Lieblingsserie hat so keinen festen Sendeplatz mehr, sondern wird nach Belieben des Zuschauers terminiert. Und bei den dramaturgisch geschickt konstruierten Geschichten fällt es irgendwann schwer, zum klassischen TV zurückzukehren. Schon allein, weil die Zeit fehlt.

Noch ist das herkömmliche Fernsehen nicht tot, und die Qualitätsserie kein Massenphänomen. Aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit. Mit jedem verliehenen Emmy geraten wieder neue Serien in den Fokus - und irgendwann auf den heimischen Kino-Flatscreen.

(RP)
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