Dschungelcamp-Bilanz Eine Staffel wie aus dem echten Leben

Meinung | Düsseldorf · Es wurde gewürgt, gezankt und geschrien, am Ende aber siegte mit der Kür von Königin Djamila wieder einmal die Warmherzigkeit. Dass die aktuelle Staffel von „Ich bin ein Star - holt mich hier raus!“ so gelungen war, hat aber noch andere Gründe.

Dschungelkönigin 2023: Djamila Rowe in Aktion & Fotos
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Dschungelkönigin 2023 - Djamila Rowe in Aktion

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Foto: RTL

Am Ende sollte dann alles ganz getreu dem Motto laufen: Die Letzten werden die Ersten sein. Für Djamila Rowe sogar im doppelten Sinne. Die 55-Jährige, die am Sonntagabend zur Gewinnerin der diesjährigen Staffel „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ gewählt wurde, war schließlich im ursprünglichen Ensemble der RTL-Unterhaltungsshow gar nicht eingeplant gewesen. Als Ersatz für den allzu sehr vorbestraften Martin Semmelrogge, der es gar nicht erst auf den Kontinent schaffte, rückte Rowe relativ kurzfristig nach. Nachdem sie in der in Köln produzierten Pandemie-„Dschungelshow“ 2021 schon vergeblich um eine Wildcard für das Format gekämpft hatte. Das Ergebnis zum Schluss aber war eindeutig: Zwei Drittel der Stimmen im Finale gehörten Rowe, gut ein Drittel waren für Gigi Biorifo.

Überhaupt, das Finale des Dschungelcamps zeigte wieder einmal das Große im Kleinen: Was übrig bleibt nach 15 Tagen Sozialexperiment samt Zwangsdiät, Ekelprüfungen und Dauerbeobachtung. Ausgezehrte Nervenkostüme und Kandidatenkörper nämlich, das ist Sinn der Sendung, die immer schon mehr von Gefühlsausbrüchen als von Geistesblitzen lebt. Deshalb von Trash-TV auf Unterschichten-Niveau zu sprechen, war allerdings schon immer eines der größten Missverständnisse des Formats. Die Kandidaten selbst, aber auch in ihrer akkurat gecasteten Konstellation hatten und haben sehr wohl eine Fallhöhe, die jede Staffel einzigartig macht. Und die bisweilen plump wirkende Reality-Show zum Spiegel der Realität.

Die nun beendete 16. Staffel hat das in besonderem Maße geschafft. Nicht nur, indem sie ein vermeintliches Botschaftsluder a.D. zur ehrwürdigen Dschungelkönigin werden ließ, und dem vermeintlichen Top-Favoriten, Nepo-Baby und Schlagerstarsohn Lucas Cordalis, seiner Selbstentlarvung überließ. Gerechtigkeit, die in den Augen vieler Zuschauer eine zentrale Rolle spielt, wurde auch auf anderem Wege geschaffen. Schon durch die Auswahl der Kandidaten, die kaum diverser hätte sein können. Vor allem aber auch: Durch den Umgang untereinander, der an den entscheidenden Stellen ganz und gar nicht trashig verlief.

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Foto: dpa/Stefan Thoyah

Menschen mit Migrationshintergrund (griechisch, italienisch, senegalesisch) und People of Color sind im Camp längst so selbstverständlich wie Menschen verschiedener sexueller Orientierungen. Mit Jolina Mennen aber gab es zum ersten Mal eine trans Person in der Show, die eine Geschlechtsangleichung hinter sich hat. Die damit aber weder zu sehr im Mittelpunkt noch im Abseits stand. Das aufrichtige Interesse der Mitcamper und Mennens Bereitschaft, offen Auskünfte zu geben, könnten so manchem RTL-Zuschauer ein Thema näher gebracht haben, das noch oft genug im Alltag für Unverständnis und Befremden sorgt. Einen ähnlichen Aha-Effekt könnte das Dschungelcamp in Sachen psychische Erkrankung haben. Was hinter der Diagnose bipolare Störung steckt und dass sie damit offiziell zu 60 Prozent als schwerbehindert gilt, ist Model Tessa Bergmeiers Offenheit zu verdanken. Nicht zuletzt auch der berechtigte Hinweis, dass sich der Begriff „behindert“ nicht als Schimpfwort eignet.

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Foto: RTL

Natürlich können persönliche Anekdoten immer auch als Aufmerksamkeitshascherei ausgelegt werden, als relevant und wertvoll dürfen sie in der Bilanz trotzdem betrachtet werden. Dazu zählt auch Jana Pallaskes plötzlicher Gefühlsausbruch wegen Ölknappheit im Camp. Die sich dann als Trigger ihrer Magersucht als Jugendliche entpuppt, die ihren Schilderungen nach zum dauerhaften Ausbleiben ihrer Periode führte. Und teils bis heute Folgen habe. „Dabei wollte ich noch Kinder“, sagt die 43-Jährige unter Tränen, die jede Frau mit dem unerfülltem Wunsch, Mutter zu werden, wohl nachvollziehen kann. Tränen und Worte, die gerade auf junge, gefährdete Mädchen wirken können, deren Vorbilder durch Instagramfilter optimierte Silhouetten sind.

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Dass insgesamt weder die sonst eher verrückt-anstrengend auftretende Urkraft-Jana, noch Camp-Zicke Tessa Bergmeier ein Dauerabo auf Ekelprüfungen erhielt, ist nicht nur einzigartig in der jüngeren Geschichte des RTL-Formats. Es spricht für den Verzicht von Häme – auch auf der anderen Seite der Kameras. Das Publikum scheint die vielen Facetten, von Erkrankungen bis hin zu persönlichen Herausforderungen im Leben, zu schätzen. Vielleicht gerade, weil Reality-TV sich so der Realität annähert. Wenn Djamila Rowe etwa davon berichtet, nicht mit ihrem Drucker klarzukommen, fühlen sich sicher mehr Menschen ihr nahe als dem neunmalklugen Lucas Cordalis, der nicht an sich halten kann mit dem Ratschlag, den Drucker müsse man einfach im Wlan hinzufügen, ganz einfach sei das!

Letztlich zeigte sich noch einmal am Finaltag, was Fallhöhe bedeutet – und wie wenig sie bewusst steuerbar ist. Eher beiläufig, so beiläufig wie die Witze über ihre Botoxbaustellen, erwähnte Djamila Rowe im Verlauf der Staffel, dass sie im Heim aufgewachsen ist und später in einem DDR-Jugendwerkhof Zwangsarbeit verrichtete. „Sie haben Zigaretten an mir ausgedrückt“, erzählte Rowe über ihre Kindheit schon in früheren Interviews, und dass es Momente gegeben habe, „wo ich dachte, vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte mich nicht geboren.“ Es sind Seiten, die man auch aus ihrer 2021 veröffentlichten Biografie namens „Botox für meine Seele" hätte kennen können. Die aber wohl letztlich doch hinter den eigenen Vorurteilen des aufgespritzten „Botschaftsluders“ zurückblieben.

Deshalb ist der Sieg der Djamila Rowe auch eine Versöhnung der Zuschauer mit vermeintlichen Trash-Promis, die eben manchmal doch so viel mehr zu bieten haben als Tratsch. Die aus den Schattenseiten der Glitzerwelt keinen Hehl machen und denen man Sätze abkauft wie: „Ich genieße diese Zeit hier in Dschungel, weil ich nicht einsam bin.“ Mit einer Lüge über ihre angebliche Affäre zu Botschafter Thomas Borer mag Djamila Rowe bekannt geworden sein – beliebt wurde sie durch ihre Wahrhaftigkeit. Eine Eigenschaft, die die Staffel sehenswert gemacht hat – eben wie aus dem echten Leben.

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