Düsseldorf Dokudrama um Luftschlag von Kundus

Düsseldorf · "Eine mörderische Entscheidung" ist eine mutige Auseinandersetzung mit dem folgenschweren Befehl von Oberst Klein.

Vor Gericht wurde Oberst Georg Klein freigesprochen, der Mensch Georg Klein wird unter seiner Fehlentscheidung ein Leben lang leiden. Vier Jahre, nachdem der deutsche Offizier einen Luftangriff auf zwei in Afghanistan entführte Tankwagen befohlen hat, präsentieren der NDR, Arte und die ARD ihre Darstellung des Falles: "Eine mörderische Entscheidung" heißt die eindrucksvolle, szenische Rekonstruktion, die heute zuerst bei Arte zu sehen ist.

Angesichts der Lage in Syrien und der angekündigten alliierten Luftschläge zum Schutz der Bevölkerung ist der Film beklemmend aktuell: Militärisches Handeln, so ehrenvoll die Absicht dahinter sein mag, hat immer weitreichende Folgen, die nicht mehr zurückzudrehen sind.

US-Jagdbomber hatten an jenem 4. September 2009 im nordafghanischen Kundus die in einem Fluss festgefahrenen Tanklaster bombardiert. Klein wollte hohe Taliban-Führer ausschalten, um die Fahrzeuge herum standen Bewohner eines nahen Dorfes. Die Islamisten hatten sie aufgefordert, Benzin abzuzapfen, weil sie die Tankwagen leichter machen wollten. 91 Todesopfer gelten als sicher, verschiedene Quellen sprechen von bis zu 142 Toten.

Der Zwischenfall brachte auch die Bundesregierung erheblich unter Druck, unter anderem musste Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), gerade in das Amt des Bundesarbeitsministers gewechselt, am 27. November 2009 zurücktreten. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte am Vortag bereits den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und Staatssekretär Peter Wichert entlassen. Georg Klein musste sich vor einem Untersuchungsausschuss und vor der Justiz verantworten. Der heutige Brigadegeneral galt vielen als tragische Symbolfigur für den unpopulären Afghanistan-Einsatz.

Der aus Bendorf bei Koblenz stammende Stabsoffizier, ein überzeugter Christ, feingeistig und Liebhaber klassischer Musik und Literatur, wird von Matthias Brandt überzeugend verkörpert. Er wirkt wie ein intellektueller Fremdkörper in der rauen, unverständlichen Umwelt des fernen Afghanistan – und war es wohl auch.

Der Film entlastet und belastet den Oberst zugleich. Die brutalen Attacken der Taliban, die sogar Kinder als Selbstmordattentäter einsetzen, und der politische Druck aus Berlin nach blutigen Anschlägen auf seine Soldaten verstricken ihn in Intrigen; gezielte Falschinformationen lassen den besonnenen Mann am Ende zutiefst irrational handeln.

Der reißerische Titel bringt den Begriff "Mord" ins Spiel, was von den Fakten nicht gedeckt ist und wohl eher der Werbung um Zuschauer dient. Sie müssen Vorwissen um den Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan mitbringen, um sich schnell in das Dokudrama einzufühlen; etwas mehr erklärender Kontext wäre wünschenswert gewesen.

Die Bundeswehr hatte die Zusammenarbeit mit dem Filmteam verweigert, was zu Ungenauigkeiten zum Beispiel bei den Uniformen geführt hat. Doch die starken Darsteller, so Vladimir Burlakov und Ludwig Trepte, machen dieses Manko wett. Zu Wort kommen auch die hohen Generäle Schneiderhan und Egon Ramms, der damals den Afghanistan-Einsatz für die Nato vom niederländischen Brunssum aus führte. Ramms belastet Klein schwer: Er habe Befehle missachtet. So durften Jagdbomber nur eingesetzt werden, wenn eigene Truppen gefährdet waren. Das hatte Klein dem Film zufolge den US-Piloten vorgetäuscht.

Die Mischung aus Original-Filmmaterial, Spielfilm und Interviews mit Zeitzeugen erklärt die Vorgänge schlüssig. So könnte es tatsächlich gewesen sein. Doch liegt in dieser Darstellung auch eine Gefahr: Der BND-Agent Henry Diepholz (Axel Milberg), eine Art Mephisto an der Seite des "Faust" Klein, ist offenbar frei erfunden. Ist das seriös? "Das Dokudrama sollte nicht in der Darstellung der Realität verharren – es ist auch immer Interpretation", sagt Regisseur Raymond Ley.

"Eine mörderische Entscheidung" ist eine gelungene Aufbereitung eines Themas, das alle angehen sollte: Der Bundestag entsendet die Soldaten im Auftrag des deutschen Volkes nach Afghanistan; 54 Bundeswehrangehörige bezahlten das mit ihrem Leben. Der Film verurteilt nicht und wird im besten Fall den Zuschauer vor die Frage stellen: Wie hätte wohl ich an Georg Kleins Stelle gehandelt?

(RP)
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