Dieter Bohlens Rückzug bei „DSDS“ Der Henker gibt das Fallbeil ab

Köln · Dieter Bohlen hat seinen Abschied von RTL verkündet. Zweifelhaft ist, ob die von ihm ins Leben gerufene Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ eine Zukunft hat. Bohlen hat das Amt des TV-Scharfrichters perfektioniert.

 Dieter Bohlen (Archivfoto).

Dieter Bohlen (Archivfoto).

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Abreißkalender werden in der Regel mit gehaltvollen Sätzen von Johann Wolfgang von Goethe, Rainer Maria Rilke, Hedwig Courts-Mahler oder Sepp Herberger bestückt. Jetzt hat sich auch Dieter Bohlen als Sentenzen-Schmied empfohlen.

In der jüngsten Sendung von „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“) sagte der „Pop-Titan“ um 21.43 Uhr zu einer Kandidatin, der es erstens an Stimme und zweitens leider auch an Selbstvertrauen mangelte: „Nur wer gegen den Strom schwimmt, bekommt Muskeln.“ Der Satz ist zwar eine Binsenweisheit, man kennt ihn so oder ähnlich aus verschiedenen Lebenslagen, aus Fachmagazinen für orthopädische Rehabilitation oder aus Werbebroschüren für Muckibuden. Doch wenn ein Bohlen, die Instanz in Sachen Durchsetzungskraft, ihn sagt, wirkt er perfekt geeignet fürs Buch der Weisheiten.

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Es wird in Zukunft häufiger vorkommen, dass man Bohlen nur noch gedruckt begegnet – in einer, wie es bei Abreißkalendern üblich ist, begrenzten Haltbarkeit. Bei RTL hat er nämlich den Hut genommen, und zwar grundsätzlich und angeblich endgültig, nicht nur für „DSDS“, sondern auch für „Das Supertalent“; die aktuellen Staffeln sollen die letzten sein. Wie man hört, soll der Sender, der sparen muss, Bohlens Gage so zusammengestrichen haben, dass der Mann aus Gründen der Selbstachtung gar nicht anders konnte.

Mag sein, dass RTL das provozieren wollte, weil die Klagen über Bohlen längst bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Hinter den Kulissen soll er sich wie ein Gottgleicher aufführen und andere Jurymitglieder wie Stichwortgeber, wie Fuzzis behandeln. Das glauben wir den Gerüchten aufs Wort. Andererseits geben sich die meisten Juroren an seiner Seite keine Mühe, die Sachkunde, die man für ein solches Amt möglicherweise benötigt, auch öffentlich zu beglaubigen. Das unentwegte Gerede dieser Pseudo-Experten, jemandem fehle das Gefühl, wo er einfach nur eine flache Stimme ohne Resonanz, ohne Stütze, ohne Intonationskompetenz hat, ist jedenfalls mehr und mehr unerträglich geworden.

Ohne Bohlen ist „DSDS“ irgendwie nicht vorstellbar. Er hat das Prinzip des Richters und Henkers perfektioniert, der ausgewählte Delinquenten persönlich vom Schafott holt und unter seinen Schutz stellt. Seine Urteile lassen es jedenfalls an Eindeutigkeit nicht mangeln, manchmal sind es Sekunden der Grausamkeit, in denen er junge Lebensentwürfe versenkt (Bohlen zu einer aufstrebenden Sängerin: „Was machst Du beruflich? Hairstylistin? Besser für dich. Singen kannst du nämlich nicht.“).

Die Drastik, mit der Bohlen gegen einen Menschen und dessen Stimme votiert, hat oft etwas Erniedrigendes, Verachtendes, aber er selbst würde den Vorwurf, er skalpiere Talente ohne Narkose, weit von sich weisen. Er sagt: Diese jungen Leute hier wollen hoch hinaus, da müssen sie auch herbe Kritik aushalten – und manchmal sind sie mit ihrem Wunschdenken tatsächlich nicht klar bei Verstand, dann muss einer das Fallbeil holen. Bohlens Job.

Für die wenigen wahren Begabten, die er selbst fast anhimmelt („Booah, deine Stimme ist absolut mega!“), ist er hingegen der Promoter, der liebevolle Tippgeber, der Übervater; an Talente kann er mit unerhörter Hingabe glauben. Er vermarktet sie höchstpersönlich und gibt ihnen dann auch entscheidende Ratschläge: Zieh dir mal etwas anderes an, Schnuckelhase, dieses Röckchen ist so was von daneben! Oder er ruft ohne Umschweife: Bei welcher Puffmutter hast du dir das denn ausgeliehen?

Schnuckelhase – das ist ein Lieblingswort aus Dieter Bohlens Lebenszoo, und wenn er dabei lacht, ist es, als bewundere er sich selbst für die sexistische Dreistigkeit seiner Wortwahl und die Tatsache, dass keiner sonst sich einen solchen Jargon im Fernsehen herausnimmt. Und in diesem Augenblick paradiert in seinem Mund ein ganzes Bataillon von Zähnen. Sie blecken Frohsinn, Aggressivität und Lebenslust in die Welt. Sie wirken wie der Kühlergrill eines Ami-Schlittens. Nun hat sich Bohlen sozusagen selbst beim Straßenverkehrsamt abgemeldet.

Freilich ist Bohlen mittlerweile 67 Jahre alt und kurvt auch privat vor allem auf nahen Landstraßen. Im Jahr 2006, man glaubt es kaum, ist der ewige Stenz bei Carina Walz vor Anker gegangen, hat seitdem keine Kaperfahrt mehr unternommen, sondern denkt sich: Nun könnte ich das Geld, das ich mittlerweile verdient habe, auch mal gepflegt und gemütlich ausgeben. Da hat er etwas zu tun: Sein Vermögen wurde neulich auf etwa 135 Millionen Euro geschätzt; für jede „DSDS“-Staffel bekommt er 1,2 Millionen Euro.

Bohlen im Ruhestand? Kann man nicht recht glauben. Wer ihn am vergangenen Samstag im Fernsehen sah, der sah einen Mann – Carina hin, Walz her –, der das Image eines Mannes auf heißen Bohlen pflegt. So wird es wohl bleiben. Wenn er in seinem Revier Schnuckelhasen vor die Linse bekommt, haut er sie entweder in die Pfanne, oder er bekommt diesen Blick pubertärer Bewunderung, dass sein Mund offensteht, die Augen stieren und alle Sinne die berühmteste Zeile seines Lebens jubeln: You‘re my heart, you‘re my soul. 

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