TV-Nachlese Maischberger Die Mutter beklaut und ab in den Tunnel

Sandra Maischberger und Gäste sprachen am späten Dienstagabend über Spielsucht. Carlo von Tiedemann, Fußball-Profi René Schnitzler und andere erzählten verstörende Geschichten aus der Spielhölle. Allein am Pranger: Automatenkönig Paul Gauselmann.

Sandra Maischberger lud am Dienstag zum Talk über Spielsucht.

Sandra Maischberger lud am Dienstag zum Talk über Spielsucht.

Foto: ARD/WDR/Markus Tedeskino

500.000 Menschen in Deutschland gelten als spielsüchtig. Ganze Existenzen gehen daran zugrunde. Wie sich ein solcher Ritt ins Elend ausnimmt, besprach Sandra Maischberger mit ihren Gästen im Rahmen ihrer Sendung "Lotto, Poker, Automaten: Wenn Glücksspiel zum Fluch wird."

Es entspinnt sich eine Talkshow der anderen Art. Während sonst doch allzu oft Krawall die Runde dominiert, geht es an diesem Abend um Geschichten. Vorwürfe oder persönliche Kritik bleiben an diesem Abend die rare Ausnahme, ebenso wie die Frage, ob das Glücksspiel nicht auch ein Fall für den Gesetzgeber sein sollte.

Von Tiedemann verspielte alles an einem Abend

Stattdessen erfährt der Zuschauer etwa, wie Moderator Carlo von Tiedeman Mitte der 60er im Casino sein ganzes Vermögen von damals 50.000 DM am Roulettetisch verzockte. Seine Erinnerungen ermöglichten einen ersten Einblick in die völlig entrückte Welt der Spieler.

Warum, so fragt auch Maischberger, kommt nicht irgendwann die Stimme der Vernunft, die einem bei 10- oder 15.000 DM in den Arm fällt. "Ich wollte Alles oder Nichts", erzählt Tiedemann. Nichts mehr, von dem was um ihn herum geschah, ließ er an sich heran. Tunnelblick. "Es muss passieren!"

Die Frau neben ihm heulte Rotz und Wasser

Während er sein letztes Geld setzte, ließ er die Freundin neben ihm Rotz und Wasser heulen. Von einem Freund lieh er sich anschließend das Benzingeld für den Weg nach Hause. Tiedemann ließe sich von einem Anwalt für den Besuch von Casinos sperren. Eine gute Art, sich vor sich selbst zu schützen.

Seine Geschichte legt ein für die Spielsucht typisches Krankheitssymptom offen, das den ein oder anderen erstaunen dürfte: Es geht weniger um die Sucht nach dem Kick des großen Geldes, sondern den Verlust der Selbstkontrolle. Der Spieler gerät in einen Tunnel. Nichts mehr kommt an ihn heran. Er ist nicht mehr in der Lage, sich zu bremsen.

"Aus der Welt gebeamt"

Welche Ausmaße das annehmen kann, erzählen wenig später die ehemalige Spielsüchtige Andrea Frank und René Schnitzler, ehemaliger Fußball-Profi von Borussia Mönchengladbach und St. Pauli. Ihre Erlebnisse lassen Tiedemanns Erzählung zu einer Marginalie kleinschrumpfen.

"Ich habe mich aus der Welt gebeamt", sagt Frank. Inzwischen beschreibt sie sich als "spielfrei" und vergleicht sich mit einem trockenen Alkoholiker. Was auch heißt: Ein Leben lang süchtig. Vorher besuchte sie jeden zweiten Tag die Spielothek und daddelte an den Automaten. Was als unterhaltsamer Besuch bei Freunden begann, endete als Absturz der eigenen Existenz.

Selbst das Geld der Kinder ist nicht sicher

Schon bald kam sie erst dann aus der Spielhalle heraus, wenn der Geldbeutel leer war. Sie verspielte alles, erst das Monatsgehalt, dann bestahl sie die Mutter, fälschte Schecks, nahm Kredite auf. Immer mehr, ohne Limit. Zwar schämte sie sich, doch die Sucht war stärker. Die auf solche Fälle spezialisierte Medizinerin Monika Vogelgesang beschreibt, welches Ausmaß das ausnehmen kann. Sie habe erlebt, wie Mütter selbst das Geld für das Essen verspielten und ihre Kinder hungern ließen.

"Wir Spieler sind die besten Schauspieler", erläuterte Frank die erstaunliche Tatsache, dass sie fast zehn Jahre ein Doppelleben von Normalität mit Partner und Familie aufrechterhalten konnte. "Wir können Angelina Jolie an die Wand spielen, dem Partner in die Augen schauen und sagen 'Ich liebe dich‘, nur um nachher an seinen Geldbeutel zu kommen."

Eine Biographie in Trümmern

Auch Fußball-Profi René Schnitzler kennt das. Wegen seines guten Einkommens als Profi zockte er gleich auf einem ganz anderen Niveau. Poker, Black Jack, Roulette, am Ende auch in dunklen Hinterzimmern des Rotlichtmilieus. Mehrfach kam er so gerade eben mit heiler Haut davon. Einmal habe ihm jemand seine Pistole gezeigt, erzählt er. Nur weil er zufällig noch die 30.000 Euro zuhause liegen hatte, konnte er das Problem beilegen. Am Ende sei er nur noch nebenberuflich Fußballer gewesen, er lebte für das Spielen.

Der Rest machte bundesweit Schlagzeilen. Schnitzler geriet in die Hände der Wett-Mafia. Daraus entwickelte er sich der Fußball-Wettskandal , die Sache flog auf, nun sitzt er da: Aufgedunsen, angeklagt, für zwei Jahre gesperrt, bedroht von der Privatinsolvenz und kurz vor dem Einstieg in die Therapie.

Wie in der Familie

Glücklicherweise hat Maischberger angesichts der zahlreichen Elendsgeschichten auch einen potenziellen Schuldigen eingeladen. Auf der Anklagebank sitzt Paul Gauselmann. Mit seinem Firmenimperium von 200 Spielotheken und 150 Casinos im Ausland erzielt er einen Jahresumsatz von über 1 Milliarde Euro. Für ihn ist das Spielen eine Form von Entertainment. Mitarbeiter würden inzwischen geschult, auffällige Personen angesprochen und mit Infobroschüren versorgt.

Andrea Frank war früher seine Stammkundin. Direkt angreifen mag sie den Spielotheken-Chef nicht, schließlich habe der sie ja nicht da reingeprügelt. An anderer Stelle aber klingt an, wie systematisch, Kunden bei der Stange gehalten werden. Wer jeden zweiten Tag am Automaten steht, ist schließlich kein Unbekannter mehr.

"Man wurde liebevoll, ja familiär begrüßt", sagt Frank an anderer Stelle. Und ja, auch das sei ein Grund gewesen, dahinzugehen. Die Ärztin ergänzt das um Berichte ihrer Patientinnen. Die hätten sogar Telefonanrufe aus der Spielhölle bekommen, wenn sie nicht mehr regelmäßig erschienen. Selbst ein Taxi zur Spielothek soll ihnen angeboten worden sein.

Am Ende steht eine Wette

Aussage steht hier gegen Aussage. Gauselmann zeigt mehrfach mit dem Finger auf die staatlichen Spielbanken, bei denen es um deutlich höhere Summen geht als in seinen Spielotheken. Die Statistiken weisen darauf hin, dass die Suchtgefahr um einiges größer ist, je größer der Einsatz ausfällt. Aber selbst bei den Zahlen ist man sich letztlich nicht einig in der Runde. Die Medizinerin zählt mehr als 50 Prozent der Spieler als süchtig oder suchtgefährdet. In absoluten Zahlen wären das 2,5 Millionen.

Gauselmann hält gerade einmal 50.000 für pathologisch suchtkrank.
Irgendwie ist es nicht ohne bittere Ironie, dass die Sendung mit einer Wette ihr Ende findet. "Sollte nur ein Prozent meiner Einkünfte von kranken Menschen stammen, würde ich sofort aufhören", sagt der Spielhallenkönig. René Schnitzler und Monika Vogelgesang halten dagegen.

(pst)
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