"Das weiße Kaninchen" Sex-Attacken unter falscher Identität

Düsseldorf · Der ARD-Film "Das weiße Kaninchen" behandelt heute das Thema Cyber-Grooming. Dabei machen sich Pädophile im Internet an Kinder heran, indem sie vorgeben, ein Gleichaltriger zu sein. Jedes Jahr gibt es bundesweit 2000 Fälle.

 Die 13-jährige Sara (Lena Urzendowsky) freundet sich im Online-Quiz mit Benny an, der angeblich 16 ist.

Die 13-jährige Sara (Lena Urzendowsky) freundet sich im Online-Quiz mit Benny an, der angeblich 16 ist.

Foto: SWR

Lehrer Simon Keller (Devid Striesow) wählt beim Medien-Unterricht klare Worte: "Ihr müsst euch nur bewusst machen, dass dort Jäger unterwegs sind. Und wenn ihr nicht aufpasst, seid ihr vielleicht die Beute", sagt er seiner Klasse über die Gefahren des Internets. Was der Lehrer nicht sagt: Dass er selbst ein Jäger ist. Unter dem Alias-Namen Benny und mit einem Kaninchen als Profilfoto ist er in Chatforen von Online-Spielen unterwegs und gibt sich als Jugendlicher aus, um Kontakt zu jungen Mädchen zu bekommen. Die 13-jährige Sara, gespielt von Lena Urzendowksy, wird zu seiner Beute.

Der Film "Das weiße Kaninchen" widmet sich einem relativ neuen Phänomen, dem Cyber-Grooming. Dieser englische Begriff bezeichnet eine Masche, mit der sich Pädophile unter Vorspiegelung einer falschen Identität an Minderjährige heranmachen und online versuchen, ein Missbrauchsopfer zu finden. Zunächst sind die Chats unverbindlich, man freundet sich an, vielleicht verliebt sich der Teenager auch in den vermeintlich Gleichaltrigen. Doch dann folgen sexuelle Anspielungen, Bitten um Nacktfotos. Ist das erste Foto verschickt, folgen Erpressung und die Forderung nach noch freizügigeren Fotos, Sex-Videos und persönlichen Treffen, bei dem es dann auch zu einem sexuellen Missbrauch kommen kann.

Mischung aus Schmeichelei und Forderungen

Filmfigur Sara ergeht es ähnlich: Die Außenseiterin wünscht sich einen Freund, ist aber zu schüchtern, einen Jungen anzusprechen. Als sie von ihren Eltern ein Laptop bekommt, beginnt sie zu chatten und trifft auf Benny, den vermeintlich 16-Jährigen alias Lehrer Keller. Kurz darauf lernt sie im Chat Kevin kennen, mit ihm trifft sie sich sogar: Es ist ein gut aussehender Junge, zwar ein paar Jahre älter, aber gerade das findet sie aufregend. Er umwirbt sie, findet eine manipulative Mischung aus Schmeichelei und Forderungen. Als Sara ihm ein Oben-Ohne-Foto schickt, um ihn für sich zu gewinnen, ist die Falle zugeschnappt. Kevin fordert immer mehr, und Sara weiß sich nicht anders zu helfen, als ihm nachzugeben. Der Einzige, dem sie sich anvertraut, ist Lehrer Simon Keller - ausgerechnet der Mann, der selbst ein sexuelles Interesse an der 13-Jährigen hat.

Laut dem Brandenburger Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger kommt es im Jahr deutschlandweit zu rund 2000 Anzeigen wegen Cyber-Groomings. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher liegen. "Nach meiner Erfahrung gehe ich davon aus, dass annähernd jedes Kind, das im digitalen Raum aufwächst, mindestens einmal mit einem Cyber-Groomer konfrontiert wird", sagt Rüdiger. In diesem Jahr zum Beispiel hat ein Fall aus der Schweiz für Aufmerksamkeit gesorgt, als ein Zwölfjähriger im Chat beim Online-Spiel "Minecraft" einen 35-Jährigen kennenlernte und zu ihm nach Düsseldorf fuhr. Dort soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein, in der Wohnung wurde auch kinderpornografisches Material entdeckt.

Im Film "Das weiße Kaninchen", dessen Titel entlehnt ist aus Lewis Carrolls Erzählung und das Alice ins Wunderland bringt, gibt es einen jugendlichen und einen erwachsenen Täter. Das sei durchaus realistisch, sagt der Kriminologe. "Mittlerweile richtet sich jede dritte Strafanzeige gegen ein Kind oder einen Jugendlichen."

Für Kinder ist der Film heute Abend wegen mehrerer Sexszenen nicht geeignet - Eltern und Lehrer sollten ihn sich allerdings anschauen und dann über Cyber-Grooming sprechen. Mögliche Ansätze wären: Schreibt der andere so, wie ich das auch von Freunden kenne? Stellt er komische Fragen ("Was trägst du für Unterwäsche?") oder macht sexuelle Anspielungen? Auf keinen Fall sollte man sich mit einem Chatpartner treffen, weder allein noch bei ihm zu Hause oder an einem einsamen Ort. So sollten Name, Wohnort und Telefonnummer nicht weitergegeben werden, ebenso Bilder, erst recht solche in Badebekleidung. Nacktbilder sind tabu - sie können nie zurückgeholt werden, sind sie einmal verschickt. So weisen Polizei und Technik-Experten daraufhin, dass zum Beispiel selbst beim Dienst Snapchat die Bilder nicht wirklich gelöscht werden - obwohl damit geworben wird. Sie sind mit relativ einfachen Mitteln wieder sichtbar zu machen. Zudem kann jeder Nutzer beim Betrachten eines Fotos einen Screenshot anfertigen und dann das Bild doch verbreiten.

Gefahr lauert auch in Online-Spielen

Wie in dem Fall von Sara oder dem des Schweizer Jungen findet die erste Anbahnung oft in den Chats von Online-Spielen statt. Laut dem Kriminologen Rüdiger sei dies eine der erfolgreichsten Formen sozialer Medien: Sie sind für Kinder eine Art Einstieg, sie treffen dort unkontrolliert auf ältere Jugendliche oder Erwachsene. Für Rüdiger ist das ein Umstand, der in der Realität doch Anstoß für eine Diskussion wäre, wenn zum Beispiel Achtjährige mit fremden Männern auf einem Spielplatz spielen würden.

Die Scham der Opfer ist das größte Hemmnis, sich anderen anzuvertrauen. Deshalb sollten Eltern keine Vorwürfe machen, sondern froh sein, dass sich das Kind überhaupt öffnet. Für die Beweisführung ist es wichtig, den Chatverlauf zu sichern, rät die Polizei. Außerdem soll man den Chatpartner dem Betreiber der Website oder des Chats melden.

(mso)
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