MÜnchen Das Leben nach dem Amoklauf

MÜnchen · Vor einem Jahr erschoss David S. in München neun Jugendliche. ZDFinfo hat nun die Familie eines Opfers begleitet.

Trauer um Opfer des Amoklaufs in München
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Trauer um Opfer des Amoklaufs in München

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Arbnor legt ein Foto seiner Schwester und einen weißen Teddy nieder. Drumherum Blumen und Bilder von anderen Opfern. "Eigentlich hasse ich diesen Ort", sagt der 22-Jährige. "Aber es ist der letzte Ort, an dem sie war." Vor knapp einem Jahr hat der Amokläufer David S. am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun Menschen erschossen. Arbnors Schwester Armela Segashi, 14, war das erste Opfer. "Weil sie meine jüngere Schwester war, hatte ich immer das Gefühl, ihr Beschützer zu sein."

Am 22. Juli 2016 gelang ihm das nicht. Nun porträtiert ZDFinfo Armelas Familie. "Schatten des Verbrechens" wird heute ausgestrahlt. Reporterin Sarah Tacke begleitet Armelas Bruder, Schwester und Eltern auf ihrem schweren Weg zurück ins Leben. Ein bewegendes und sehr persönliches Porträt der Familie. Die Reporterin hält sich nicht im Hintergrund, sie tritt in zahlreichen Gesprächssequenzen ins Bild.

Der Amoklauf: Schüsse, Menschen in Panik, schwer bewaffnete Polizisten. Das unzählige Male geklickte Video vom Amokläufer. "Ich bin ein Deutscher", ruft David S. vom Dach eines OEZ-Parkhauses. Kurz davor hat der 18-Jährige mit iranischen Wurzeln gezielt auf Armela und ihre Freunde im McDonald's-Restaurant am OEZ geschossen. Die Jugendlichen wollten eine Woche vor Ferienstart das Ende des Schuljahres feiern. Der Hass des psychisch kranken Schülers, der sich nach der Tat erschoss, richtete sich den Ermittlern zufolge gegen Jugendliche, die von Alter, Aussehen, Herkunft und Lebensstil denen ähnelten, die ihn über Jahre gemobbt hatten: junge Menschen südosteuropäischer Herkunft.

Armelas Familie stammt aus dem Kosovo. Der Täter, seine Gesinnung und sein womöglich - entgegen der Einschätzung der Ermittler - auch rechtsextremes Motiv spielen in dem Film keine Rolle. Er rückt ganz die Opfer in den Mittelpunkt. Armelas Vater Smajl sagt einen wichtigen Satz: "Mit dem Täter habe ich mich nicht mal zwei Sekunden beschäftigt. Ich denke nie an den." Sarah Tacke beschreibt, wie Bruder Arbnor am Abend des 22. Juli die Krankenhäuser abklappert. Wie Vater Smajl zum OEZ läuft, mit dem Pass der Tochter die ganze Nacht an der Absperrung steht, um etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Und wie morgens Polizei und Kriseninterventionsteam vor der Türe stehen.

Die Heimkehr nach der Beerdigung im Kosovo. "Ihre Zahnbürste und Schuhe waren noch da. In ihrem Zimmer lag noch die Wasserflasche, die sie am letzten Abend getrunken hat. Ich hab alles versteckt. Damit, wenn meine Eltern kommen, sie die Sachen nicht sehen müssen", sagt Arbnor. Er studiert Sportmanagement; nun lässt er die Ausbildung ruhen, um den Eltern zu helfen. Ausgleich findet er bei Freunden, beim Fußball. Schwester Arberia findet Halt in ihrer Ausbildung als zahntechnische Fachangestellte. Gespräche mit einer Therapeutin hat sie abgebrochen - sie habe immer geweint.

Der Vater, einst Busfahrer, kann nicht mehr arbeiten. Mit seiner Frau Nazmije sucht er eine neue Wohnung. Ihre Eigentumswohnung wollen sie verkaufen. "Ich kann das seelisch nicht mehr ertragen", sagt Smajl. Trotz Hilfen durch die Behörden und die Familie im Kosovo bleibt das Leben der Segashis schwierig. "Der Amokläufer hat sie emotional kaputt gemacht, in die Arbeitsunfähigkeit getrieben, ihr Umfeld und ihren Alltag vergiftet", diagnostiziert der Film. Er will anderen von Leid Betroffenen Mut machen, Hilfe zu suchen. Und er will, dass die Opfer nicht vergessen werden.

"Schatten des Verbrechens", ZDFinfo, 20.15 Uhr.

(dpa)
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