Köln Das Comeback des Günter Wallraff

Köln · Der Enthüllungsjournalist macht bei RTL von sich reden - zuletzt mit einer Reportage über Missstände in Altenheimen.

Wenn der Name Günter Wallraff fällt, ist der Skandal nicht weit. Als Reporter Hans Esser hat er die Methoden der "Bild"-Zeitung angeprangert, als Gastarbeiter Ali Levent Sinirlioglu die Ressentiments gegen Türken entlarvt und als Somalier Kwami Ogonno dem Rassismus hierzulande nachgespürt. Wallraffs Methode ist die der Verwandlung, für seine Recherche schlüpft er mit Haut und Haaren in eine andere Rolle, um ein Milieu von innen kennenzulernen. Das war meistens effektiv, immer aber publikumswirksam - fast alle seine Aktionen erzeugten einen medialen Nachhall, nicht immer fiel er zu Wallraffs Gunsten aus. Während seine Bücher "Der Aufmacher. Der Mann der bei ,Bild' Hans Esser war" und "Ganz unten" Bestseller wurden, erntete er für seinen Film "Schwarz auf Weiß" böse Reaktionen - als schwarz angemalter "Somalier" war er vielen zu weit gegangen. Wallraffs Enthüllungsmethode schien ausgereizt, sein Aufklärungseifer erlahmt - bis er sich auf RTL gleich mit einem ganzen Team zurückmeldete.

Zweimal durfte das "Team Wallraff - Reporter Undercover" bisher Missstände aufdecken, die dritte Ausgabe läuft am Montag, 12. Mai, 21.15 Uhr. In der ersten Sendung widmeten sich die Aufdecker der Fast-Food-Kette Burger King, entdeckten in Filialen eines Franchisenehmers unzumutbare Arbeits- und Hygienezustände. Gestern verkündete die Burger King Beteiligungs GmbH in München, dass sechs Filialen vorübergehend geschlossen wurden, um die Mängel zu beheben. Außerdem habe sich ein Gesellschafter des Lizenznehmers zurückgezogen. So viel Effekt wird Wallraff gefallen.

Offenbar gefällt es auch den Zuschauern. Wallraffs zweite Enthüllungs-Doku am Montag schalteten 4,4 Millionen Menschen ein, rund 600 000 mehr als eine Woche zuvor. Und das trotz eines sperrigen, für RTL-Kunden geradezu ernüchternden Themas: Pflegenotstand in Altenheimen. Wallraff schleuste eine Mitarbeiterin als Pflegerin in zwei Heime und dokumentierte dort mit versteckter Kamera drastische Bilder menschlicher Verwahrlosung. Die Stimmen sind verwackelt, die Bilder verfremdet, aber sie zeigen genug alltägliches Elend, Patienten, die in ihren Fäkalien liegen, den Lebensmut mit ihrer Würde verloren haben und auf der anderen Seite frustriertes Pflegepersonal, gleichermaßen überfordert wie unterbezahlt. Wallraff offenbart zudem die kriminellen Machenschaften eines ambulanten Pflegedienstes, indem er sich als russischer Rentner ausgibt, der zwar fit ist, vor dem Sozialdienst aber als pflegebedürftig ausgegeben wird, um höhere Zuschüsse zu erschwindeln. Als eines der lukrativsten Verbrechen wird dieses Vorgehen bezeichnet, gewinnbringender als Drogenhandel.

Als Enthüllungs-Routinier weiß Wallraff, welche Knöpfe er drücken muss, um ein herzeigbares Ergebnis zu erhalten. Manchmal schwer auszuhalten ist sein sendungsbewusster Duktus, sein betont wichtiges Auftreten als Mentor aller Unterdrückten. Dennoch verzichtet der 71-Jährige nicht auf Zwischentöne, nimmt in der Altenheimreportage die Pfleger in Schutz und schiebt die Schuld dem Leitungspersonal zu. Er bedient sich plakativer Mittel, um die Kritik später auszudifferenzieren - soweit das möglich ist. Die Marseille-Kliniken AG, Betreiberin eines gezeigten Pflegehauses, wies Wallraffs Darstellung gestern als unvollständig zurück, zudem seien die Mängel längst beseitigt worden.

Immerhin aber bekommt Wallraff Reaktionen. Mag man seine Methoden gelegentlich fragwürdig finden und den Erkenntnisgewinn ausbaufähig, so legt Wallraff seinen Finger doch in Wunden. Dass dies auf dem Tutti-Frutti-Sender RTL geschieht und viele Menschen interessiert, macht Hoffnung und Angst zugleich. Denn wenn die Undercover-Reportage Quote bringt, heißt es bald: "Undercover - der Film".

(RP)
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