TV-Kritik Einfach nur groß — so schlägt Böhmermann in seiner Sendung zurück

Düsseldorf · Mit Moral und Apfelsinen hat Jan Böhmermann in der neuen Ausgabe von "Neo Magazin Royale" auf die Ereignisse um seine Person reagiert. War das sein letzter Auftritt im Fernsehen für lange Zeit? TV-Kritik einer nie produzierten und nie ausgestrahlten Sendung.

Jan Böhmermann – seine größten Aufreger im Überblick
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Jan Böhmermann – seine größten Aufreger

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Foto: Screenshot Youtube

Jan Böhmermann ist fertig. Weniger mit den Nerven als mit der Welt. Oder zumindest mit der Welt, die ihn umgibt und die Deutschland heißt. Diese Vermutung jedenfalls lässt die aktuelle Ausgabe von "Neo Magazin Royale" vom Donnerstagabend zu. Sie zeigt, warum der in der Sendung angedeutete Abgang von Jan Böhmermann ein Verlust wäre, den das deutsche Fernsehen kaum verkraften kann.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Böhmermann vieles anders macht. Diesmal aber machte er alles anders. Im Sinne von: ALLES. Zunächst ist nur die leere Wartehalle eines Flughafens zu sehen. Während die Kamera wie zum Beginn von "Alien" durch den Raum schwebt, liest eine Stimme aus dem Off Goethes "Zauberlehrling" vor. Es ist die erste von vielen Ambivalenzen, die Böhmermann an diesem Abend liefert. Wem ist da was über den Kopf gewachsen? Ihm? Den Medien? Der Twitter-Öffentlichkeit? Merkel? Erdogan?

Mit Hoodie und Helm vor der Kamera

Dann erst kommt Böhmermann ins Bild gelaufen. Er trägt Hoodie, eine schusssichere Weste und einen Bundeswehrhelm. Statt in die Kamera zu schauen, baut er einen Klapptisch und einen Klappstuhl auf, setzt sich und beginnt, eine Apfelsine zu schälen. Im Hintergrund sind immer wieder Schüsse zu hören und Schreie. Einmal klingt es, als würde ganz in der Nähe eine Bombe einschlagen. Böhmermann aber schält in aller Seelenruhe die Apfelsine. Eine Viertelstunde lang.

Noch immer hat er kein Wort in die Kamera gesagt, als er in einem Telefonbuch blättert und wahllos Leute anruft. Der nächste Seitenhieb gegen den Hype, der um ihn veranstaltet wird. Denn er befragt diese Leute, ohne sich zu erkennen zu geben, was diese eigentlich von der Causa Böhmermann halten. "Ich hab morgen einen Termin beim Zahnarzt, das ist, was mich beschäftigt", sagt einer.

Doch das ist alles nur Vorspiel für 20 Minuten, über die wir noch mehrere Wochen sprechen werden. Zunächst ist da dieser Monolog. Zehn Minuten, in denen sich Böhmermann endlich an den Fernsehzuschauer richtet, nein, an ganz Deutschland, vielleicht die ganze Welt, denn darunter macht Böhmermann es nicht mehr. Er gesteht, dass er sich immer nach der Aufmerksamkeit der intellektuellen und politischen Elite Deutschlands gesehnt habe. Sein Schaffen sei eben nicht nur von den Grundsätzen der Aufklärung befeuert worden, sondern auch durch dieses Ziel. Nun aber habe er dieses Ziel erreicht, und es komme ihm auf einmal so falsch vor. "Leute, Ihr diskutiert hier wirklich seit zwei Wochen über einen blassen Studienabbrecher, der auf einem Spartenkanal eine olle Erdogan-Nummer abgezogen hat. Meint Ihr das ernst?"

Kein Hauch von Ironie

Auch die Kanzlerin watscht er ab. "Frau Merkel, für welche Werte stehen Sie? Wie wichtig ist Ihnen Demokratie? Was darf Erdogan sich noch herausnehmen?" Es liegt nicht der Hauch von Ironie in seiner Rede. So ernst hat man Böhmermann noch nie erlebt. Es soll hier nicht alles wiedergegeben werden, weil man sich die Ansprache am besten im Original ansieht — wenn das ZDF sie nicht aus der Mediathek löscht.

Die Nummer mit den Flüchtlingen ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, aber sie hat Wirkung. Während er so monologisiert, werden auf dem Bildschirm Namen eingeblendet. Von Menschen, die nach Deutschland geflohen sind. "Leute, beschäftigt euch endlich mit den wichtigen Themen", sagt er uns damit. Dann verkündet er, dass er sich zurückziehen wird, dass er auf den Flieger wartet, mit dem er das Land für eine unbestimmte Zeit verlassen wird, weil er es hier nicht mehr aushält. Er sagt nicht, wohin er fliegt. Er sagt nicht, was er dort macht. Aber dieser Mann will einfach nur weg.

Kaum hat der Zuschauer diese Ankündigung in all ihrer Tragweite erfasst, macht Böhmermann weiter. In einer großen Metallschüssel stapelt er Holzscheite und entzündet sie mit einer zerknüllten Zeitungsseite. Der Mann ist praktisch veranlagt, scheint das zu sagen. Seht her, ich bin nicht nur der dürre pubertäre Comedian. Als die Flammen etwas heruntergebrannt sind, steckt er einen Marshmallow auf einen Stock, hält ihn ins Feuer und sagt in die Kamera: "Ich würde die letzten Minuten vor dem Abflug gerne mit ein paar besonderen Menschen verbringen."

Und dann kommen sie. Genau jene Menschen, die er herausgefordert, vorgeführt, vielleicht sogar beleidigt hat. Haftbefehl, Lukas Podolski, Stefan Raab, Günther Jauch, Til Schweiger. Sie umarmen ihn, dann nehmen sie sich einen Stock und einen Marshmallow und setzen sich zu ihm ans Feuer, plaudern friedlich, lachen. Schließlich kommen einige Kinder in die Halle, bilden einen Kreis um die Prominenten und tanzen um sie herum. Sehen wir dort auch Böhmermanns Kinder?

Und während man noch schier erschlagen ist von diesem Finale, zieht sich die Kamera zurück, als wollte sie, dass die Menschen am Lagerfeuer unter sich bleiben. Rückwärts schleicht sie sich aus der Wartehalle, es sind Gänge zu sehen, Anzeigetafeln, nur keine Menschen, und plötzlich steht die Kamera draußen vor dem Flughafengebäude und an der Fassade steht "Flughafen Berlin Brandenburg".

Wir müssen uns daran gewöhnen, aus Jan Böhmermann nie mehr schlau zu werden.

(seda)
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