Lindner, Baerbock und Spahn bei Anne Will „Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeit“

Düsseldorf · Wie gelingt es, die vierte Welle zu brechen? Vier Spitzenpolitiker ringen bei Anne Will am Abend um den richtigen Weg. Die Ampel-Vertreter sind gereizt, Jens Spahn räumt Fehler ein und den Journalistinnen kann ein nationaler Lockdown nicht schnell genug gehen.

 Anne Will diskutiert mit ihren Gästen in der ARD über die nächsten Schritte in der Pandemie.

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen in der ARD über die nächsten Schritte in der Pandemie.

Foto: Screenshot ARD

Darum ging es


„Gelingt der Ampelstart in der Coronakrise?“ fragte Anne Will am Abend in der ARD. Den vier Politikerinnen und Politikern geht angesichts der Infektionssituation und der Lage in den Krankenhäusern der Optimismus aus, sie sprechen dafür viel von Konsequenz und Kontaktbeschränkungen.

Die Gäste

Der Talkverlauf

Sie drängen zur Eile, sie hadern und verteidigen – angesichts der verschärften Pandemielage machen Anne Wills Gäste keinen Hehl aus dem Ernst der Lage. Zum nationalen Lockdown allerdings drängen nur die Moderatorin und Melanie Amann vom „Spiegel“.

Manuela Schwesig erklärt, das Ziel sei immer gewesen, einen vollständigen Lockdown zu verhindern, aber ihr Bundesland verfolge immerhin eine Variante: „Wir setzen jetzt praktisch einen Lockdown für Ungeimpfte durch“, sagt die SPD-Frau, denn das seien diejenigen, die die Pandemie jetzt treiben.“ Obgleich sie in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich alles richtig gemacht habe - „Impfen mit Bratwurst, Impfen am Strand, Impfen bei der Hanseboot“ - gebe es immer noch „zu viele Menschen, die sich nicht haben impfen lassen.“ Daher gelte im Nordosten nun 2G-plus im ganzen Land und für Ungeimpfte würden weitere Kontaktbeschränkungen eingeführt.

Christian Lindner will von einem bundesweiten Lockdown nichts wissen. Er hat beim Schlangestehen vor der Apotheke mit einer Modehändlerin gesprochen, die hat ihm klar gemacht, ein weiterer Lockdown wäre das Aus für ihren Familienbetrieb. Daher müsse jetzt „konsequenter gehandelt werden“ als bisher, sagt der FDP-Chef und kündigt einen Bund-Länder-Krisenstab für die nächste Woche an. Das laufe „unter Leitung eines deutschen Generals“, da werde es dann nicht nur um eine Lagefeststellung, sondern auch um Logistik gehen. „Wir wollen bis Weihnachten viele Millionen Menschen boostern oder erstimpfen“, sagt er und jeder, der medizinisch vertretbar eine Spritze halten könne, solle mitarbeiten. Er verspricht, mit Mut neue Maßnahmen auszuschöpfen: weniger Menschen in Fußballstadien, weniger Partys in Clubs und Diskotheken. „Breite flächendeckende Schließungen“ allerdings will er verhindern, auch um „Gesundheit und Freiheiten zu schützen“.

Zu Eile drängt Annalena Baerbock. Die Grünen-Vorsitzende will nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse am Dienstag eine Bestandsaufnahme vornehmen. „Und wenn wir sehen, dass in den Ländern nicht alle möglichen Maßnahmen umgesetzt werden, ist es unsere Pflicht bundesweit nachzuschärfen“, sagt sie und mit Blick auf die nächste Ministerpräsidentenkonferenz: „Wir können nicht bis zum 9. Dezember warten.“ Ärzte und Pflegekräfte hätten in den vergangenen zwei Jahren nie aufatmen können, daher müsse die Politik jetzt eingreifen. „Wenn wir jetzt nicht alles tun, werden wir am Ende kein wirkliches Gesundheitssystem mehr haben“, malt sie ein düsteres Bild.

Jens Spahn dauert das alles trotzdem zu lange, ein politisches, einheitliches Signal müsse rasch kommen und werde einen Unterschied machen. Weder die Idee eines Krisenstabs sei allerdings neu, noch die Beteiligung eines Generals. Jetzt gehe es um Kontaktbeschränkungen und Impftempo: „Wir werden in den nächsten Wochen drei Millionen Dosen Biontech liefern und jede Woche sechs Millionen Dosen Moderna“, kündigt er an und rechnet vor: „Wenn diese 36 Millionen Impfungen stattfinden bis Ende des Jahres, bin ich ein glücklicher scheidender Gesundheitsminister.“ Dass er nicht mit allem glücklich war und ist, räumt der CDU-Politiker ein: Als im August 2G diskutiert wurde, hätte er stärker insistieren müssen. Im Wahlkampf hätten viele Politiker den Ungeimpften nicht das Signal senden wollen - „das war falsch“, sagt Spahn, und auch das Boostern hätte er früher mit mehr Nachdruck verfolgen müssen.

Kein bisschen zufrieden ist Melanie Amann vom „Spiegel“. Die Journalistin kritisiert mehrfach, Empfehlungen der Leopoldina-Experten seien nicht gehört oder umgesetzt worden. Es habe nie an Experten gemangelt, doch „ein fatales Problem war, dass man nie richtig vorbereitet war auf nächsten Schritt.“ Ihr fehlten vorausschauendes Planen, schnelles und entschiedenes Reagieren. „Das gleiche Problem der alten Regierung sehe ich sich jetzt entwickeln bei der neuen Regierung“, sagt sie. Jetzt, da die Fachleute Alarmglocken lauter klingen ließen denn je, werde sich immer noch alles vorsichtig angeschaut.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass es in drei Monaten oder drei Wochen besser aussehen werde.

Baerbock und Lindner verweisen im Wechsel darauf, dass in den nächsten „zehn Tagen der Sieben-Punkte-Plan“ umgesetzt werde, es konkrete Maßnahmen gebe und natürlich Kontaktbeschränkungen. Baerbock will vor jeder Schule Impfbusse sehen und beschleunigend boostern.  Amann geht die Geduld aus, vor allem mit dem FDP-Chef: sie könne Lindner auch gerne jetzt direkt sagen, welche Maßnahmen erforderlich seien. „Oder wollen Sie zehn Tage warten?“



Lindner gibt zu, ebenfalls enttäuscht zu sein, allerdings wohl eher von den Bürgerinnen und Bürgern: „Ich hatte gehofft, dass die Impfbereitschaft höher wäre,“, sagt er. Ideal wäre zu diesem Zeitpunkt eine Quote von 85 Prozent gewesen. Spahn darf kurz vor Ende seiner Amtszeit noch Gelerntes vermitteln: „Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeit“, sagt er. „Wir sind jetzt hinter der Welle“, so der Gesundheitsminister, wichtig sei aber, vor die Welle zu kommen. Durch zügige weitere Maßnahmen und 2Gplus im ganzen Land.

Anne Will möchte zuletzt wissen, ob ihm auf dem Posten Karl Lauterbach von der SPD nachfolgen soll, aber dessen Parteikollegin Schwesig hält sich bedeckt. Stattdessen gibt sie ihren Mitstreitern Haltungsnoten: „Es ist wirklich heute schwierig in der Sendung“, findet Schwesig und das läge daran, „dass die Dinge immer durcheinander gewirbelt werden.“

(juju)
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