TV-Nachlese Anne Will Martin Schulz rechnet mit Erdogan ab

Düsseldorf · Gehen Deutschland und die EU zu sanft mit der Türkei um, wenn es um Pressefreiheit und Menschenrechte geht? Bei Anne Will jedenfalls war davon nichts zu spüren. Insbesondere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz fand deutliche Worte. Auch von Arroganz war die Rede. Der Talk im Check.

Recep Tayyip Erdogan: Das ist der türkische Staatspräsident
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Das ist Recep Tayyip Erdogan

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Darum ging's

"Abhängig von Erdogan — zu hoher Preis für weniger Flüchtlinge?" lautete der Titel der Sendung. "So eng die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auch sind, so misstrauisch und argwöhnisch beobachten die Deutschen jeden ihrer Schritte", sagte Will zu Beginn in Bezug auf Kanzlerin Angela Merkel. Und sie zitierte eine Umfrage, nach der die Mehrheit der Deutschen sagt, Deutschland nehme zu viel Rücksicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Stimmt das, wollte sie anschließend von ihren Gästen wissen.

Darum ging's wirklich

In der Kürze der Zeit schaffte es Will, ausführlich das Thema zu erörtern. Sowohl der Flüchtlingsdeal selbst als auch die Frage der Menschenrechte und der Pressefreiheit in der Türkei und der Umgang mit dem Fall Böhmermann wurden ausführlich diskutiert — mitunter bis ins kleinste Detail. Und letztlich hieß es: Alle gegen Erdogan — bis auf einen AKP-Vertreter.

Die Runde

  • Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes verteidigte das Agieren der Kanzlerin im Umgang mit der Türkei
  • Martin Schulz, Präsident des EU-Parlamentes, kritisierte die Türkei mit deutlichen Worten
  • Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir konnte mit Detailwissen die Argumente des AKP-Vertreters widerlegen
  • AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der Nationalversammlung der Türkei und in Köln aufgewachsen, verlangte Respekt vor seinem Land
  • Selmin Caliskan, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, fand kritische Worte für Merkel und Erdogan zugleich

Frontverlauf

Von Anfang an gab es bei Will hitzige Debatten. Zum ersten, als es darum ging, ob Merkel eigentlich deutlich genug die Menschenrechtsfrage in der Türkei anspreche. Özdemir und Caliskan kritisieren die Kanzlerin dafür, dass sie sich in der Türkei nicht mit Oppositionellen getroffen habe. So sagte der Grünen-Politiker: "Ich erwarte keine Show, aber sie kann doch wenigstens zehn Minuten im Hotel einen der Oppositionellen treffen." Altmaier konterte: "Manchmal ist es besser, wenn man das nicht als Showveranstaltung macht, sondern um den Menschen zu helfen." Caliskan wiederum sagte, es hätte Merkel glaubwürdig gemacht. Martin Schulz startete noch verhalten und sagte, eine Bundesregierung müsse doch solche Dinge deutlich ansprechen können. Und als es schließlich um die Pressefreiheit in der Türkei selbst ging und um die Klage gegen Jan Böhmermann, schoss sich die gesamte Runde auf Yeneroglu ein.

Bemerkenswertester Gast

Martin Schulz ist kein seltener Gast in Talkshows, doch selten wurde er so deutlich wie am Sonntagabend bei Anne Will. Sein Ziel schien ganz eindeutig: Den Eindruck zerstreuen, die EU gehe zu weich mit der Türkei um. Wenn die Deutschen dieser Ansicht seien, dann wolle er an einem Abend wie diesem sagen: "Die Türkei ist auf dem Weg in einen autoritären Staat, und das halte ich für sehr gefährlich." Wer sich heute in der Türkei kritisch äußere, müsse morgen damit rechnen, dass das Rollkommando vor der Tür steht. Aber wer massenhaft gegen Journalisten klage, der verspiele jeden internationalen Kredit. Dass Erdogan auf eine Sache wie Böhmermann mit einer Staatsklage reagiere, sei in seinen Augen symptomatisch für das Verhalten des türkischen Präsidenten. Auch sagte er, Merkel müsse sich ebenfalls harte Kritik im Ausland gefallen lassen, sprach die Nazi-Vergleiche in der Euro-Krise an und das Merkel nicht dagegen vorgehe.

In Bezug auf den Flüchtlingsdeal machte er deutlich, dass die ohnehin schon kritischen EU-Abgeordneten nun noch viel kritischer auf die Türkei schauten. Und er widersprach Erdogans Satz, die EU brauche die Türkei mehr als die Türkei die EU. Das sei genau umgedreht der Fall. Er kam darauf zu sprechen, dass die internationalen Beziehungen der Türkei mit Russland oder auch Israel quasi bei Null seien - und das seien nur zwei Beispiele.

Der Argumentierer

Wie sehr sich Cem Özdemir sicherlich auch aufgrund seiner Biografie mit der Türkei beschäftigt, das wurde bei Will deutlich. Er glänzte an diesem Abend mit Detailwissen, was allerdings zur Folge hatte, dass er mitunter Fälle von inhaftierten Journalisten in der Türkei ansprach, von denen vermutlich so mancher Zuschauer nur etwas am Rande mitbekommen hatte. Allerdings konnte er so AKP-Vertreter Yeneroglu und dessen Aussagen immer wieder widerlegen. So etwa als es um die Frage ging, ob die Türkei Nachhilfe in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit brauche. "Es geht nicht um Nachhilfe, es geht nicht darum, dass wir völlig fehlerfrei sind", argumentierte Özdemir. "Der Unterschied ist: Sie machen so 'ne Sendung, und anschließend verlieren Sie nicht ihren Job", sagte er an Will gewandt. Yeneroglu wollte dies ein wenig herunterspielen, es eher als Ausnahmen da stehen lassen, woraufhin Özdemir von 2000 Journalisten sprach, die ihren Job in der Türkei verloren hätten. Und dann: "Wer Frau Merkel oder Herrn Gauck kritisiert, kommt nicht ins Gefängnis. " Yeneroglu sagte, es ginge in diesen Fällen doch nicht um Kritik, sondern um andere Dinge wie etwa Geheimnisverrat. Özdemir daraufhin: "Jeder Oppositioneller ist also einfach ein Krimineller."

Der Verlierer des Abends

Eigentlich war schon klar, dass Yeneroglu kaum eine Chance haben würde in der eingeladenen Runde. Allerdings gab auch er sich wenig diplomatisch, was ihm wenige Sympathiepunkte einbrachte und die Angriffe auf ihn noch verstärkt haben dürften. Er argumentierte, in Deutschland würde die Debatte über Menschenrechte und Pressefreiheit verkürzt, "als wenn der Präsident der Türkei ein defizitärer Mensch sei, den man noch dazu erziehen müsste". Er selbst will lieber über Angriffe auf Flüchtlingsheime und Moscheen sprechen und nennt es "zum Teil maßlos", wie in Deutschland über die Türkei gesprochen werde. Auch zum Fall Böhmermann fand er klare Worte. Es gehe dabei nicht um Meinungsfreiheit, sondern um gröbste Beleidigungen. "Herr Schulz, wenn jemanden ihnen unterstellen würde, pädophil zu sein und besondere Beziehungen zu Ziegen zu pflegen, dann darf man nicht mit Meinungsfreiheit kommen", sagte er an den EU-Parlamentspräsidenten gewandt. Und überhaupt solle man die Türkei nun angesichts der Flüchtlingskrise mit Respekt und nicht weiter als Bittsteller behandeln.

Dialog des Abends

Wie wenig grün sich Yeneroglu und Schulz an diesem Abend waren, zeigte sich als der AKP-Politiker fragte, warum man sich denn die ganze Zeit an Deutschland orientieren solle. Woraufhin Schulz konterte: "Das ist genau die Arroganz, von der ich die ganze Zeit spreche."

Satz des Abends

"Der einzige verlässliche Partner, der für die Türkei da ist, ist die EU. Und deshalb sollten Sie die Angebote zur Kooperation nicht mit der Art von Arroganz beantworten, die derzeit — auch von ihnen — an den Tag gelegt wird." (Martin Schulz in Richtung Mustafa Yeneroglu).

(das)
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