Sonntagstalk im Ersten Anne Wills Gäste plädieren für Corona-Regeln - im Abspann verstoßen sie dann selbst dagegen

Düsseldorf · Die Corona-Infektionszahlen steigen. In der ARD fragt Anne Will: Haben wir noch die richtige Strategie? Der NRW-Ministerpräsident appelliert an die Einsicht aller und hofft auf eine bessere Nutzung der Warn-App: “Es gibt nicht die eine Maßnahme, die die Zahlen ändert.”

 Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über die Pandemie-Situation.

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über die Pandemie-Situation.

Foto: Screenshot ARD

Darum ging es

Die Corona-Infektionszahlen steigen “in beängstigendem Tempo” sagt Anne Will und diskutiert mit ihren Gästen, wie es weitergehen soll. Drei Politiker, eine Virologin, eine Ärztin und ein Philosophieprofessor diskutieren über die WarnApp, die Möglichkeit eines weiteren Lockdowns und werfen einen Blick auf die nächsten Monate.

Die Gäste

  • Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident, CDU
  • Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, SPD
  • Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Gerhart Baum, früherer Bundesinnenminister, FDP
  • Kaschlin Butt, Leiterin des Gesundheitsamts Wiesbaden
  • Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin und Gründungsgeschäftsführerin des Wuppertaler Biotechnologie-Unternehmens AiCuris

Der Talkverlauf

Irgendwie hatte man sich das doch anders vorgestellt. Da sitzen viele Menschen mit gehörigem Abstand in einem TV-Studio, pochen auf die Einhaltung aller Corona-Regeln, um dann am Ende, als „Anne Will“ am Sonntag dann zuende war, gegen die Abstandsregel zu verstoßen. Als die Sendung zuende war und die Kamera noch einmal einen Schwenk um die Gäste fuhr, sahen Millionen Zuschauer, wie sich Gerhart Baum und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zu einem kleinen Pläuschchen treffen - 1,50 Meter Mindestabstand? Fehlanzeige. Im Netz gingen die Diskussionen los, ob die Politiker und anderen Gäste sich noch ernst nehmen könnten, wenn sie dann nach Sendungsende einfach gegen die Regeln verstoßen.

Doch wie lief der Talk, der im Chaos endete ab? Armin Laschet hatte es nach einer fünfstündigen Debatte über den CDU-Parteitag noch gerade rechtzeitig ins Studio geschafft. Der Politiker erklärte dann auch als erstes, warum er richtig findet, dass der Parteitag erstmal nicht als Präsenzveranstaltung stattfindet. "Ich glaube, dass man nicht in einer solchen Zeit, wo man den Menschen zumutet, Veranstaltungen nicht mehr zu besuchen, das Haus nicht mehr zu verlassen, wir mit 1000 Menschen einen Parteitag machen können", sagte der NRW-Ministerpräsident. Wenn zu einer Beerdigung gerade nur zehn Leute dürften, sich die CDU aber dann mit Tausend treffen würde, wäre das einfach kein gutes Vorbild. Am Morgen werde Annegret Kramp-Karrenbauer mitteilen, ob der Parteitag, der eigentlich für den 4. Dezember geplant war, verschoben oder anders organisiert werde.

Seit Donnerstag gab es täglich mehr als 10.000 Neuinfektionen, Anne Will wollte daher vor allem wissen, wie ihre Gäste zu einem möglichen Lockdown stehen. Berlins Regierender Bürgermeister wollte sich nicht festlegen lassen. Er beobachte mit Sorge, was sich im Gesundheitswesen tue, sagte Michael Müller, auch Intensivbetten etwa in der Charité seien wieder stärker ausgelastet. Deutschland habe aber nie einen “echten Lockdown” wie viele andere Länder verordnet, und er hoffe, das könne auch weiter vermieden werden, ebenso wie die Schließung von Kitas und Schulen. Er räumte allerdings ein, dass derzeit wenig gewiss scheint: “Wer von uns kann im Moment irgendetwas ausschließen?”

Ähnlich vorsichtig äußerte sich Laschet: Er hoffe, dass strikte Maßnahmen nicht nötig seien. “Aber ich kann nicht garantieren, dass wir nicht wieder in eine ganz ernste Lage kommen und dann reagieren müssen.” Der CDU-Politiker unterstützt die Botschaft der Kanzlerin: Es wäre gut, wenn alle einsichtig wären und mal zwei drei Wochen so wenig Kontakte wie möglich zu anderen hätten. “Die Botschaft ist doch: bleibt zu Hause”, sagte Laschet. “Es gibt nicht die eine Maßnahme, die die Zahlen ändert. Es ist das Verhalten von allen.”

FDP-Urgestein Gerhart Baum hält es für “eine Überreaktion das öffentliche Leben runterzufahren.” Der 87-Jährige mahnte “differenziertes Reagieren” an und kritisiert das Drohen mit der Polizei und die Verhängung von Strafen. Der bessere Weg sei, an die Einsicht zu appellieren: “Wir müssen die Menschen überzeugen und mitnehmen.” Besonders wichtig sei jetzt, die Parlamente in die Entscheidungen einzubeziehen. “Wenn Sie das nicht machen, ziehen Sie den Vorwurf auf sich, jetzt grundgesetzwidrig zu handeln”, warnt er Laschet und Müller.

Auch Philosophieprofessor Nida-Rümelin hält nichts von einem Lockdown, die harte Maßnahme habe ja offenbar auch Italien nicht vor der jetzigen Situation schützen können. Er setzt wie Laschet auf Einsicht und Maßnahmen, “die kulturverträglich und sozialverträglich sind”. Alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen sei die richtige Strategie. Nida-Rümelin plädiert für eine Tracking-App die Kontakte und Bewegungen genauer nachvollzieht. „Wir haben uns zu Beginn der Krise das entscheidende Instrumentarium selbst aus der Hand geschlagen“, kritisiert er den Umgang mit der Corona-App.

Eine bessere Nutzung der App wünschte sich auch Kaschlin Butt vom Gesundheitsamt Wiesbaden. Da die Zahlen so rasant angestiegen seien, sei oft nicht mehr zeitnah möglich Kontakte nachzuverfolgen. Geschwindigkeit sei aber natürlich entscheidend. Die App sei derzeit für die Gesundheitsämter keine besondere Hilfe, weil sie Daten nicht mitteilen dürfe. “Die Technik könnte viel, viel mehr”, sagt Butt, Dass viele Funktionen nicht genutzt werden dürften, “das macht auch schon ärgerlich.”

Laschet wäre ebenfalls lieber, die App dürfe bei der Verfolgung von Kontakten helfen, wenn etwa die “Widerspruchslösung” angewandt würde, mit der die Bürger aktiv widersprechen müssten, wenn das Amt ihre Daten nicht nutzen darf. Prinzipiell seien die Daten dann “für diesen einen Zweck der Kontaktverfolgung” nach positiven Tests verfügbar fürs Gesundheitsamt. “Das könnte schon etwas bringen”, meint Laschet.

Außer der App fielen der Virologin Helga Rübsamen-Schaeff noch andere technische Mittel ein, die besser genutzt werden könnten: Reinhaltung der Luft in geschlossenen Räumen durch Filter. Sie wünscht sich zudem “eine verschärfte Maskenpflicht, die auch ganz streng kontrolliert wird.” Eventuell müsse man auch bessere Masken vorschreiben. “Die technische Möglichkeiten existieren, man muss sie nur einsetzen”, so die Biotechnologie-Unternehmerin. Zudem sollten Schnelltests so weit wie möglich flächendeckend eingesetzt werden, dann würde auch das Verfolgungsproblem kleiner.

Die Auslieferung der Antigen-Schnelltests beginne jetzt in Berlin, sagte Müller. Laschet erinnert allerdings daran, dass man mit den Tests zunächst haushalten müsse. Der Bundesgesundheitsminister habe zehn Millionen der Tests für Oktober, November und Dezember für die wichtigsten Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime reserviert. Erst danach würden größere Mengen zur Verfügung stehen. Der NRW-Ministerpräsident appelliert and die Geduld der Gemeinschaft: “Wir werden noch lange mit dem Virus leben müssen”, sagt er und beschreibt die Herausforderung: “Wir müssen als Gesellschaft Wege finden unser kulturelles, gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben aufrecht zu halten.”

Dann das Ende der Sendung. Und die Frage: Wie halten es die Gäste eigentlich mit den Corona-Regeln?

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