TV-Nachlese zu Anne Will „Mehr Klimaschutz oder kein Klimaschutz?“

Düsseldorf · Bei „Anne Will“ verteidigt Ricarda Lang von den Grünen die Entscheidung zu Lützerath. Luisa Neubauer und Herbert Reul streiten über Gewalt und die Professionalität der Polizei. Ein Gast hält den Kohle-Ort für „irrelevant“.

Anne Will diskutierte am Abend mit ihren Gästen über die Frage, welche Rolle Lützerath für die Klimapolitik bedeutet.

Anne Will diskutierte am Abend mit ihren Gästen über die Frage, welche Rolle Lützerath für die Klimapolitik bedeutet.

Foto: ARD

Darum ging es

Die Räumung von Lützerath ist so gut wie beendet, die Diskussion um den Abbau der Braunkohle nicht. Bei „Anne Will“ in der ARD debattierten am Sonntagabend zwei Aktivistinnen, zwei Wissenschaftler und zwei Politiker über die Bedeutung des Weilers. In ihrer ersten Sendung nach der Winterpause fragt die Moderatorin: „Ist Lützerath eine Zerreissprobe für die Deutsche Klimapolitik?“

Die Gäste

  • Ricarda Lang, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Herbert Reul, CDU, Innenminister in Nordrhein-Westfalen
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
  • Luisa Neubauer, Klimaaktivistin, Mitbegründerin von ”Fridays for Future“
  • Mojib Latif, Klimaforscher
  • Greta Thunberg, Klimaaktivistin (VorabInterview)

Der Talkverlauf

Nach tagelangen Demonstrationen, teils gewaltvollen Auseinandersetzungen ist Lützerath seit Sonntagnachmittag geräumt. Der Abriss des Weilers geht weiter, und die RWE AG rechnet damit, dass die Bagger den Ort im Frühjahr erreichen. Die Diskussion um den Braunkohleort und die Klimapolitik allerdings geht unvermindert heftig weiter. Anne Will lässt in ihrer ersten Sendung nach der Winterpause erst einmal Luisa Neubauer und Innenminister Herbert Reul aufeinander los.

Die Klimaaktivistin spricht davon, was für ein „wahnsinnig schönes Bild” es war, zu sehen, dass 35.000 Menschen angereist seien, um friedlich zu protestieren. Erschrocken allerdings sei sie daher über die Polizei gewesen. Einsatzkräfte seien „schreiend auf Demonstranten gerannt”, kritisiert sie, das habe in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Protest gestanden. „Das sah in keiner Weise professionell aus”, wertet sie.

Der CDU-Minister ist anderer Ansicht: „Hochprofessionell und sehr gut” sei das gelaufen. Er habe ein oder zwei Filme im Netz gesehen, bei denen er fand: „Das sieht nicht gut aus.“ Diese Vorfälle würden nun genau angeschaut, und da werde auch vorsichtshalber Strafanzeige gestellt. Ihm gefalle nicht, dass da jetzt eine Stimmung erzeugt werde, als seien da „alles wildgewordene Polizisten unterwegs gewesen”. Das finde er „ganz schön stark – vor allem wenn ich sehe, wer da angefangen hat”, sagt Reul und fragt: „Wer hat denn da mit Steinen geworfen?” Er spricht von 100 verletzten Polizisten, wobei noch differenziert werden müsse, welche Verletzungen wirklich durch Auseinandersetzungen und welche durch das schwierige Gelände entstanden seien.

Als Anne Will wissen will, ob sich die Klimabewegung radikalisiert, warn Mojib Latif vor Pauschalisierungen. „Was mich stört, ist, dass das eigentliche Thema so ein bisschen auf der Strecke bleibt”, sagt der Klimaforscher, denn das sei doch: „Was ist die Rolle Deutschlands im internationalen Klimaschutz?” Das Klimaproblem lasse sich nur global lösen, so der Klimaforscher. Doch Deutschland habe als einer der Hauptversursacher des hohen CO2 Ausstoßes eine „historische Verantwortung” beim Klimaschutz voranzugehen.

Ricarda Lang von den Grünen muss anschließend den Kompromiss mit RWE verteidigen und gibt zu: „Für mich war das ein ambivalenter Tag. Da stehen Zehntausende Menschen, die dafür protestieren, wofür ich mich mein ganzes Leben eingesetzt habe.” Zugleich sei sie dort kaum willkommen gewesen. Auch sie schmerze, dass der Ort nicht gerettet werden konnte. „Ich sage nicht: alles toll.“

Aber hätten die Grünen nicht den Kompromiss mit ausgearbeitet „wären auch die anderen fünf Dörfer abgerissen worden und Kohle bis 2038 in NRW” abgebaut worden. „Wenn ich vor der Alternative stehe: kein Klimaschutz oder mehr Klimaschutz, dann werde ich mich immer für mehr Klimaschutz entscheiden”, begründet die Bundesvorsitzende ihre Position. Dass Lützerath „die Grünen zerreisst” wie Anne Will vermutet, sieht sie nicht. Man dürfe nicht vergessen, dass die Energielage bedingt durch Wladimir Putins Krieg auch eine Rolle spiele.

Michael Hüther meint, die Vorfälle um Lützerath hätten „schon das Potential die Grünen arg unter Stress zu setzen. Doch klimapolitisch sei Lützerath doch „völlig irrelevant” und „reine Symbolpolitik”, so der Wirtschaftsexperte. Obgleich die Studien sich offenbar nicht einig seien, ob die Braunkohle in dieser Krise überhaupt noch gebraucht wird, sei seiner Ansicht nach viel wichtiger, sich darum zu kümmern, dass andere Energiegewinnung zusammen mit anderen Ländern vorangetrieben werde. Der Emissionshandel müsse vorangetrieben werden, er hätte daher in der Runde die Klimaminister lieber gesehen als den Innenminister. Will zu dem Seitenhieb: „Die wollten nicht kommen.”

Auch nicht im Studio war Greta Thunberg, aber die Moderatorin hatte den „Weltstar der Klimabewegung” am Vortag in einem der Nachbardörfer interviewt und zeigt Zuschauern und Gästen den Film. Wie gewohnt sparte die Aktivistin im Gespräch mit Will nicht mit Kritik: Auch sie nennt Deutschland „historisch einen der größten Umweltverschmutzer der Welt.” Ihr erscheine auch seltsam, dass nun ein Dorf aufgegeben werde, um die anderen zu retten. „Vor allem wenn man an die Mengen CO2 denkt, die ausgestoßen werden”, wenn die Pläne umgesetzt werden.

Auch für den Kompromiss mit RWE hat sie nicht viel übrig: „Als Aktivistin ist es nicht meine Rolle, Kompromissen zwischen Regierungen und sehr zerstörerischen Unternehmen anzusehen”, sagt Thunberg. Ihre Rolle sei vielmehr darauf hinzuweisen, dass was passiere, falsch sei. Wenn die Grünen „Lützerath opferten” sei das in ihren Augen heuchlerisch.

Auch Klimaforscher Latif hat wenig Gutes über RWE zu sagen. Als Reul die Situation in Lützerath und den Kompromiss als „Riesenschritt” wertet, energiepolitische Flexibilität fordert und Atomkraft ins Spiel bringt, stellt er klar: „Es gibt ganz viele Gründe, warum Atomkraft der völlig falsche Schritt” sei, vor allem im Hinblick auf Sicherheit. „Diese Flexibilität ist doch eigentlich nichts anderes als wenn wir uns von gar nichts verabschieden wollen”, sagt Latif. „Wir müssen endlich mal hart sein”, fordert er. „RWE hat uns in der Klimaforschung lange aufs Übelste bekämpft”, sagt er und warnt: „Denen darf man nicht vertrauen.” Einig sind sich die Gäste zuletzt in seiner Forderung, den Druck in der Klimapolitik für Innovation auszunutzen. „Wir müssen neue Wege gehen.”

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