Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Anne Will „Die Hälfte der Ungeimpften können wir noch erreichen“

Düsseldorf · „Wie ist Deutschland in einer so dramatischen Corona-Situation gelandet?“, fragt Anne Will in der ARD. Kann eine Impfpflicht es richten? Ihre Gäste schwanken zwischen Frustration, Appellen und Beschwörungen.

 Anne Will diskutiert am Abend in der ARD mit ihren Gästen über die vierte Corona-Welle.

Anne Will diskutiert am Abend in der ARD mit ihren Gästen über die vierte Corona-Welle.

Foto: Screeenshot ARD/Screnshot ARD

Darum ging es


„Kann Deutschland die vierte Welle noch brechen?”, wollte Anne Will am Abend in der ARD wissen. Eine klare Antwort darauf fanden ihre Gäste allerdings nicht. Eine Politikerin und zwei Politiker, eine Virologin und eine Psychologin mühten sich dafür mit Erklärungen, Warnungen und Appellen.

Die Gäste

  • Hubertus Heil, geschäftsführender Bundesarbeitsminister, SPD
  • Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes, CDU
  • Cornelia Betsch, Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation Uni Erfurt
  • 
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Bundesvorstandsmitglied der FDP
  • Melanie Brinkmann, Virologin

Der Talkverlauf

Inzidenzen, die in manchen Kreisen bei über 1000 liegen, ein alarmierter Robert-Koch-Institutschef, der Deutschland als „einen einzigen großen Ausbruch” bezeichnet, täglich hunderte Tote - „Wie kann es sein, dass wir trotz aller Warnungen wieder in echte Notlage geraten sind?”, fragt Anne Will und hört Erklärungsversuche, Warnungen und vor allem den eindringlichen Appell: „Lasst euch impfen!” - ruft Hubertus Heil in die Kamera. „Wir müssen da als Gesellschaft gemeinsam durch.” Und der geschäftsführende Bundesarbeitsminister ist nicht der einzige, der sich um den ungeimpften Zuschauer bemüht.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann lobt Wills Sendung, mahnt aber, es gehe jetzt vor allem darum, jene zu erreichen, die vielleicht weniger öffentlich-rechtlich fernsehen und sich „ihr Wissen oder Unwissen vor allem in sozialen Netzwerken holen.” Auf Twitter, Instagram, Facebook und über Influencer müsse mehr erklärt und aufgeklärt werden. Denn die Hälfte der Nicht-Geimpften sei für Erklärungen noch zugänglich. „Diese Hälfte können wir erreichen”, ist sie überzeugt und fragt sich ob Aktionen wie seinerzeit die „spektakulären Aidskampagnen der 80er Jahre” etwas bringen könnten. „Ich wünsche mir, dass der neue Gesundheitsminister oder die Gesundheitsministerin da richtig Gummi gibt.”

Virologin Brinkmann allerdings, deren Mahnschreiben an die Politiker inzwischen mehr als 500 Mediziner und Forscherinnen unterzeichnet haben, fragt sich, wieso das nicht längst passiert ist: „Wo war die Antwort auf all die Falschinformationen?” Gleich zu Beginn der Sendung gibt sie zu, „wahnsinnig frustriert” zu sein, dass Deutschland sich trotz aller Warnungen jetzt in dieser Pandemiephase befindet. „Viele Kolleginnen und Kollegen sind absolut fassungslos in welche Situation wir geraten sind”, sagt sie, denn es sei lange genug gewarnt worden vor der Stärke der Deltavariante und der Abhängigkeit von einer hohen Impfquote. Als zum Herbst immer mehr geöffnet wurde, sei nicht reagiert worden, da hätte es eine stärkere Kampagne gebraucht. „Warum das nicht gesehen wurde, das kann ich einfach nicht verstehen”, sagt Brinkmann. Eine Impfquote von 67 Prozent hätte bei der ersten Coronavariante geholfen, jetzt aber nicht mehr.

Werden nun die neuen 2G-Regeln und 3G in Bussen und Bahnen mit Home-Office-Pflicht die gewünschten Effekte haben, fragt die Moderatorin - oder muss es doch eine allgemeine Impfpflicht geben? In manchen Regionen mit niedrigen Inzidenzen könne es reichen, aber eine Impfpflicht allein für Einrichtungen werde nicht helfen, die Welle zu brechen, ist Virologin Brinkmann sicher: „Das ist ein Tropfen auf ‘nen heissen Stein”, sagt sie und würde lieber keine Gruppe ausgrenzen, eine allgemeine Impfpflicht würde auch das ausbalancieren. „Die Ungeimpften treiben diese Pandemie grade”, erinnert sie. 



Will zitiert den Virlogen Christian Drosten, der für ein „Schließen der Impflücken“ plädiert hat, aber Tobias Hans warnt vor einer Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht. „Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen“, sagte der CDU-Politiker. Vielmehr müsse man jetzt alle Kraft darauf konzentrieren, zu impfen. Jetzt „wo die Zahlen so intensiv steigen, wo ich Menschen überzeugen kann, sich impfen zu lassen, weil sie auch merken, sie verlieren ihre Freiheiten“, sagt der Saarländer. „Die Anreize waren nie größer als jetzt.“ Eine Impfpflichtdiskussion passe da wie eine „Faust aufs Auge”. Stattdessen müsse man noch mehr tun, „um wirklich zu überzeugen, dass die Impfung der richtige Weg ist“, meinte Hans. „Wir haben ganze Bevölkerungsschichten in prekären Lebenssituationen, an die wir nicht rangekommen sind.“

Psychologin Betsch sieht die Impfpflichtdiskussion nicht als übermäßig spaltend. Die Enttabuisierung des Themas ist ihrer Ansicht nach wichtig, es müssten Vor- und Nachteile klar auf den Tisch gelegt werden, so Betsch und nennt die Studie zu einer Beratungspflicht aus den USA als Beispiel. Nach so einer Beratung könne sich eine Person auch nicht impfen lassen, dieses Angebot habe aber die Durchimpfung erhöht.

Das gefällt auch Strack-Zimmerman, die aus ihrem Studium der „unterirdischen Medien“ weiß: „Wenn sie von Impfpflicht sprechen, denken einige an Impfzwang”, da entstehe das Gefühl: „da zerrt sie jemand aus der Hütte, rammt die Spritze in den Oberarm und geht wieder.” Aber eine Pflicht sei kein Zwang, sie bedeute nur, dass man mit einer Strafe belegt werde, wenn man es nicht mache. Kritik üben die FDP-Frau wie auch CDU-Mann Hans daran, dass der Gesundheitsminister jetzt empfiehlt, nur noch einen bestimmten Impfstoff zu nutzen. „Das war nicht hilfreich, diese Message. Grade wenn wir bitten, jetzt lasst euch impfen”, sagt sie und Hans stimmt zu: „Das ist ein falsches Signal.“

Verteidigen soll Strack Zimmermann ihren Parteikollegen Marco Buschmann, der im Oktober gesagt hat, es drohe keine systemische Überlastung des Gesundheitssystems mehr. Die frühere Düsseldorfer Bürgermeisterin will aber lieber in die Zukunft blicken. Unterschiedliche Situationen in verschiedenen Regionen gäben Ländern nun mehr Möglichkeiten, durchzugreifen. Ihr komme in der Diskussion vor allem zu kurz, „dass wir neben wichtigen gesundheitlichen Problemen so viele andere enorme Probleme haben”: sie verweist auf Fünftklässler, die die nicht Lesen und Schreiben können, Bachelor-Studenten, die nie eine Uni von Innen gesehen haben, depressive Jugendliche und „Seniorenheime mit Menschen, die weniger Angst vor dem Virus haben als davor ihre Stimme zu verlieren, weil sie keine Kontakte mehr haben.” Zugleich gingen Risse durch die Gesellschaft. Sie sieht „durchaus große soziale Verwerfungen in Deutschland”, die noch in Jahren spürbar sein würden. Darum müsse sich ebenfalls dringend gekümmert werden.

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