TV-Duell bei Anne Will "Die Heiligsprechung überlasse ich Ihnen"

Düsseldorf · Wie weit liegen Grün und Schwarz noch auseinander? Grünen-Chef Cem Özdemir und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) haben im TV-Talk bei Anne Will über ihre politischen Ziele gesprochen. Deutlicher wurden allerdings die Gemeinsamkeiten.

Darum ging's

Zwei Wochen vor der Wahl will Anne Will herausfinden: "Wie viel Grün steckt in Schwarz?" Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Cem Özdemir (Die Grünen) sollen sich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Parteien und ihrer Wahlprogramme unterhalten.

Darum ging's wirklich

Zuweilen wirkte es, als hätten sich das CDU-Urgestein Schäuble und der Grüne Özdemir zu einem vorgezogenen Koalitionsgespräch getroffen. Sie diskutierten Schadstoffgrenzen, Klimaschutz und Immigration, ohne sonderlich heftig miteinander zu streiten.

Die Gäste

  • Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister, CDU
  • Cem Özdemir, Parteivorsitzender und Spitzenkandidat, Bündnis 90/Die Grünen

Frontverlauf

Anne Will sucht anfangs nach einem "knackigen Unterschied" zwischen beiden Parteien. Minister Schäuble fällt dazu vor allem ein, die CDU habe mehr Erfahrung, was Regierungsverantwortung angehe. Cem Özdemir erklärt, seiner Partei sei nachhaltige Politik und deren Umsetzung wichtiger als der CDU. Das gelte vor allem beim Klimaschutz.

Die Kanzlerin habe zwar das Klimaabkommen in Paris unterzeichnet, ohne die Grünen würde davon allerdings wenig in die Tat umgesetzt. "Seit acht Jahren gehen in Deutschland die CO2-Emissionen nicht runter", kritisiert der Grünen-Politiker. Für die Überschriften sei Angela Merkel gut, in der Umsetzung hingegen hapere es. Die Kraft, Klimaschutz erfolgreich umzusetzen, könne die Regierung nur mit starken Grünen finden.

Schäuble erinnert den Grünen an die Energiewende. Auch er betonte, Klimaschutz sei enorm wichtig, aber eben eine "riesengroße Aufgabe". Während der Lösung des Problems müsse vor allem Deutschlands wirtschaftliche Leistungskraft erhalten bleiben.

Anne Will zitiert eine Forsa-Umfrage, nach der jeder zweite Deutsche ein Mitregieren der Grünen im Bundestag begrüßt. Von Cem Özdemir will die Moderatorin wissen, ob er als Kompliment auffasst, dass das auch für die Hälfte der CDU-Wähler gilt. Der Grüne stichelt, man merke halt sehr, wo die CDU von den Grünen abschreibe. Als Beispiel nennt er neben dem Klimaschutz auch die Verbrennungsmotoren.

Zunächst seien alle über die Grünen hergefallen, als seine Partei beschloss, 2030 sollten alle Neufahrzeuge emissionsfrei sein. Dann zögen andere Länder nach, und schließlich auch Kanzlerin Merkel. Es brauche da eben eine Partei, "die sich als Antreiber sieht". Richtig weit entfernt zeigt sich Schäuble beim Thema Schadstoff nicht von seinem Gegenüber. Er nennt die Umstellung allerdings "eine Riesenherausforderung". Sich auf ein festes Datum festzulegen hält der CDU-Mann nicht für klug.

Auch Gesellschaft hat sich verändert

Auf Anne Wills Suche nach Antworten auf die Frage, wie viel Grün in den Schwarzen steckt, nehmen sich die Gäste schließlich die Gesellschaftspolitik vor. "Haben sich Gesellschaftsentwürfe der beiden Parteien so angenähert, wie Sie es in den 1990er Jahren erträumt hatten oder sich nicht hätten träumen lassen?", will die Moderatorin von Özdemir wissen. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Parteienlandschaft habe sich enorm verändert, antwortet Özdemir. Als er in den Bundestag einzog, war er der erste türkischstämmige Abgeordnete mit Arbeiterherkunft. Heute würden auch homosexuelle Kabinettmitglieder der CDU nicht der Partei verwiesen.

Das Abrücken von konservativen Werten begründet Schäuble mit den Mehrheiten in der Bevölkerung. "Wenn eine Partei gesellschaftliche Veränderungen nicht mitgeht, dann gestaltet sie ja nur nostalgisch die Vergangenheit." Die Gesellschaft verändere sich, und mit ihr die Parteien. "An dem Tag, an dem ich sage, es sei früher alles besser gewesen", sagt Schäuble, "muss mich dann jemand erinnern, die Politik zu verlassen".

"Methode Merkel kann auch schief gehen"

Özdemir lobt die Flexibilität der Union. Man müsse anerkennen, dass die Union sich unter Merkel in die Mitte der Gesellschaft bewegt habe, mit der Ehe für alle etwa oder mit dem Atomausstieg. Dennoch: Beim Thema Umwelt- und Automobilindustrie kritisiert er, die "Methode Merkel" könne auch schief gehen, wie etwa bei Kohle-Ausstieg und Atomenergie. Das sei "zu spät, zu wenig und dann überstürzt" geschehen, und so gingen die von Schäuble angesprochenen Jobs flöten. Die Grünen würden derlei Schritt für Schritt angehen, die Industrie ins Boot holen, aber nicht Merkels "Zickzack"-Kurs fahren. "Da hätte die Union uns doch geteert und gefedert, wenn wir nach der Methode gearbeitet hätten."

Als Anne Will über unterschiedliche Wahlprogramme zur doppelten Staatsbürgerschaft befragen will, verschwimmen die Grenzen weiter.

Özdemir sagt, in ein paar Generationen werde das Thema überhaupt nicht mehr relevant sein. Das Hauptziel müsse Integration sein. Wichtig sei, dass Menschen Deutsch sprächen und Arbeit fänden. Auch Schäuble findet, man solle Entscheidungen wie die zum Doppelpass nicht alle paar Jahre neu diskutieren, wichtig sei allerdings, dass der Rest der Gesellschaft das auch verstehe. Wenn man beliebig viele Staatsbürgerschaften erlaube, bräuchte man am Ende gar keine mehr.

Fazit

Anne Wills Schwarz-Grün-Duell zeigte vor allem, wie nah sich die Parteien bei vielen Themen inzwischen sind - und dass ein Bündnis durchaus denkbar scheint. Nur als die beiden Politiker die Kanzlerin beschreiben, klaffen die Wertungen auseinander. Als Özdemir sagt, Merkel sehe auf Treffen wie dem G20-Gipfel zwischen Staatschefs wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan oder Donald Trump "fast schon aus wie eine Lichtgestalt angesichts der Horrorgestalten", jubelt Schäuble: "Sie ist eine!" So weit will der Grünen-Chef dann aber doch nicht gehen: "Die Heiligsprechung überlasse ich Ihnen."

(juju)
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