Pressestimmen "Es wäre ein Witz gewesen, hätte Merkel hingeworfen"
Dass Angela Merkel 2017 zum vierten Mal antreten will, hat reichlich Echo in der nationalen wie internationalen Presse hervorgerufen. Ein Blick in die Kommentarspalten.
Rheinische Post: "Im kommenden Wahlkampf wird es also vor allem um die Frage gehen, welche Partei es versteht, den Bürgern, ihre Ängste zu nehmen – Angst vor Terror im eigenen Land und Angst vor sozialem Abstieg. Es wäre unredlich zu behaupten, dass beide Themen nicht auch mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik verknüpft sind. Das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Merkel wird in die Offensive gehen müssen, viel mehr als in früheren Wahlkämpfen. Die Kanzlerin muss 2017 um etwas werben, was ihr bislang selbstverständlich zufiel: Vertrauen."
Berliner Zeitung: "Um eine vierte Amtsperiode soll es nun also gehen. An ihrem Ende hätte sie dann Helmut Kohl eingeholt, mit 16 Jahren Amtszeit der bisherige Rekordhalter unter den Kanzlern. Noch ein Superlativ wäre das. Sie ist ja schon: die erste Frau, die erste Ostdeutsche, die erste Wissenschaftlerin im Bundeskanzleramt. Sie war bei Amtsübernahme jünger als alle ihre Vorgänger und ist jetzt in Europa, auch im G7-Kreis, die dienstälteste Regierungschefin. Sie gilt als mächtigste Frau der Welt. Ganz schön viel auf einmal."
Tagesspiegel: "Es wäre ein Witz gewesen, hätte Merkel hingeworfen. So wäre es nämlich in ihrer eigenen Partei empfunden worden. Die CDU ist doch auf sie ausgerichtet wie nie eine Partei zuvor auf irgendjemanden. (... ) Aber wofür will Merkel die Macht haben? Wozu sie behalten? Wohin will sie mit dem Land? (...) Die Aufgabe lautet, den Kurs Deutschlands festzulegen, aber nicht in einer Art Geheimkabinett wie in vorigen Jahrhunderten. Dem Populismus entgegenzutreten, verlangt Fakten, immer wieder Fakten, und Transparenz. Wirklich etabliert ist, wer keine Debatte fürchtet."
Frankfurter Rundschau: "Politische Alternativen zu Merkels Austeritätspolitik in Europa, zur Verweigerung einer gerechteren Steuerpolitik, zur einseitigen Belastung der Versicherten in den Sozialsystemen, zur halbherzigen Energiewende und zu vielem anderen gäbe es ja durchaus. Sie haben nur, weil von keiner starken politischen Kraft konsequent betrieben, so gut wie keine Chance. Das treibt den Rechten viele der Enttäuschten in die Arme, und deshalb ist es unglaubwürdig, Merkel zum Bollwerk gegen rechts zu stilisieren."
General-Anzeiger: "Angela Merkel hat nüchtern kalkuliert. Die Voraussetzungen für einen Erfolg sind in der Tat günstig. Es ist ihr gelungen, die Flüchtlingskrise weitgehend in den Griff zu bekommen. Der ungebremste Zustrom ist gestoppt. Europa hat sich darauf verständigt, sich nicht zu verständigen. Das diskutiert Merkel derzeit nicht weiter. Die Grenzsicherung im Süden und Osten der Europäischen Union funktioniert lückenhaft, aber ausreichend. Von dauerhaften Lösungen ist man zwar immer noch weit entfernt. Auf der Grundlage der vielen Kompromisse fühlt sich Merkel aber offenbar sicher genug. Die Ruhe an dieser Stelle raubt der AfD eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erfolg."
Volksstimme: "Mit Merkel hat die Union die größten Chancen, bei der Bundestagswahl 2017 wieder stärkste Partei zu werden - trotz der Tatsache, dass ihr Ansehen in der Bevölkerung während der Flüchtlingskrise gelitten hat. Doch es spricht gerade für die CDU-Politikerin, dass sie für ihre unpopuläre Entscheidung, so viele Geflüchtete aufzunehmen, weiter die Verantwortung übernehmen und deren Integration vorantreiben möchte. Diese Mammutaufgabe dürfte Merkel mit einem neuen Partner anstreben: den Grünen. Gelingt es ihr, die vierte Amtszeit mit einem dritten Partner (nach SPD und FDP) zu vollenden, setzt sich Angela Merkel endgültig ein Denkmal in der deutschen Geschichte."
Lausitzer Rundschau: "Immer fühlte sie sich gerade unentbehrlich, immer war das Risiko ausgerechnet für die kommende Wahl zu groß. 2021 aber wird es noch schwieriger werden, vor allem für ihre Partei, wenn die noch weitere vier Jahre als 'Mutti'-Wahlverein im Passiv-Modus vor sich hindümpelt. Wenn Angela Merkel sich also überlegt, was sie in den nächsten vier Jahren mit sich und ihrer Macht zum Wohle aller noch anstellen kann, sollte 'Nachfolger aufbauen und sauberen Abgang planen' ganz oben auf ihrer Aufgabenliste stehen."
Stuttgarter Zeitung: "Unter den schwächelnden Partnern erscheint Merkel noch am stärksten. In einer Europäischen Union, die mehr von Zentrifugalkräften als vom Zusammenhalt beherrscht wird, mag Merkels Dauerkanzlerschaft wie ein Hort der Stabilität wirken. Doch gerade in Europa will keiner, dass Deutschland sich als Großmacht aufführt. Dazu fehlten sowohl finanzielle Mittel als auch militärische Stärke - und nicht zuletzt politischer Rückhalt in der Heimat."
Rheinpfalz: "Wie kommt es zu diesem 'Immer weiter', das eine abermalige Verlängerung der Regierungszeit für die Gewählten, aber auch für die Wähler so 'alternativlos' erscheinen lässt? Merkel hat es gestern gesagt: In schwierigen Zeiten will sie ihre Erfahrung zur Verfügung stellen. Nur - schwierig sind die Zeiten eigentlich immer. Bei den Bürgern spielt sicherlich Gewöhnung eine Rolle und die Neigung, am Bewährten oder Vertrauten festzuhalten."
Neues Deutschland: "Horst Seehofer, Wortführer der Rechtskonservativen, hat genug damit zu tun, seine Nachfolge in Bayern zu regeln und dort die absolute Mehrheit zu verteidigen. Im Bundestagswahlkampf 2017 werden sich Seehofer und Merkel wohl die Arbeit aufteilen. Der CSU-Chef wird die latent rassistischen Stammtische bedienen. Merkel ist hingegen das Gesicht einer etwa in der Familien- und Integrationspolitik leicht modernisierten Union. Was widersprüchlich klingt, kann durchaus zusammen funktionieren. Denn letztlich geht es allen in der Unionsspitze darum, die Menschen gleich welcher Herkunft auf ihre Verwertbarkeit zu reduzieren."
Der Standard (Österreich): "Zum ersten Mal gibt es eine ernstzunehmende rechtspopulistische Opposition, nämlich die AfD. Diese dürfte sich über Merkels Entscheidung freuen, ist die Kanzlerin doch ihr Feinbild Nummer eins. (...) Nicht zu vergessen ist SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der packt es nicht, lautete lange das Urteil über ihn. Doch nun hat er mit der Nominierung von Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Kandidaten für die Präsidentenwahl gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist. Vielleicht zählt dazu doch noch ein linkes Bündnis. Ein vierter Sieg Merkels ist somit noch lange nicht fix, bis zur Wahl sind es noch zehn Monate. Immerhin aber herrscht endlich Klarheit, wer die Reiseleiterin ist."
de Volkskrant (Niederlande): "Mit ihrer Kandidatur gibt Merkel in einer Zeit, in der das Vertrauen in die etablierte politische Ordnung gering ist, ein wichtiges Signal. Es ist eine Zeit, in der Politiker aus Eigennutz oder aus Risikovermeidung zu Alleingängen neigen. Merkel aber bleibt, auch wenn ihr Wahlsieg alles andere als sicher ist. (...) Angela Merkel ist zu diesem Zeitpunkt am besten geeignet, Europa auf dieser bizarren Weltbühne zu vertreten. Wegen ihrer Erfahrung und dem Respekt, den sie genießt, aber auch weil sie die widerborstige geopolitische Realität kennt und keine unrealistisch hohen Erwartungen nährt."
Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): "Merkel ist unentbehrlich, wird so suggeriert. Ihre vierte Kandidatur soll als ebenso natürliche Fügung erscheinen wie ihre durch die Bundestagswahl in zehn Monaten folgende Wiederwahl zur Kanzlerin. Bundeskanzlerin Alternativlos also, genau so, wie Merkel zu regieren pflegt. Diese Sichtweise ist ebenso unsinnig wie Merkels stete Behauptung während der Euro-Krise, die immer neuen Milliardenkredite an Griechenland seien alternativlos, wolle man ein "Scheitern Europas" verhindern. (...) Alternativlos ist Angela Merkel allenfalls für die CDU, weil die Chefin talentierte Konkurrenten um den Parteivorsitz stets verhindert hat. Nach der Beruhigung der Flüchtlingskrise glaubt heute kaum jemand, dass die Union ohne Merkel bessere Wahlchancen hätte. Deshalb hat sich neben der CDU auch die CSU nach theatralischem Grollen hinter Merkel gestellt."
Kommersant (Russland): "Noch 2014 waren viele Medien in Deutschland überzeugt, dass Angela Merkel ihr Amt vorzeitig aufgibt. Aber dann sickerte durch, dass die Bundeskanzlerin eine erneute Kandidatur mit ihren Beratern bespricht. Offen war eigentlich nur, wann und wie sie diese Absicht erklären wird. Nun hat Merkel die Chance, mit ihrem vierten Wahlsieg und einer vollen Amtszeit in einem Atemzug mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl genannt zu werden. Nach Ansicht von Politologen gehört es zu einem der Geheimnisse der langen Dienstzeit von Merkel, aussichtsreiche Konkurrenten zu beseitigen und dann zu fragen: Wer, wenn nicht ich?"