Ermittlungen gegen Schiffsleitung wegen fahrlässiger Tötung Fährunglück in der Ägäis: Mindestens 63 Tote

Athen (dpa). Nur drei Seemeilen vor der rettenden Küste hat der Untergang einer griechischen Fähre mindestens 63 Menschen in den Tod gerissen. Mögliche Ursache der Katastrophe: menschliches Versagen. Die griechische Fähre „Express Samina“ rammte am Dienstagabend vor der Ferieninsel Paros mit 534 Menschen an Bord ein Riff. Das 34 Jahre alte Schiff ging in wenigen Minuten unter.

Neun Menschen wurden am Mittwochabend noch vermisst, sagte der Chef der griechischen Küstenwache. Insgesamt konnten in den ersten 18 Stunden nach dem Unglück 463 Menschen aus dem Meer gerettet werden. „Wir werden die Suchaktion auch in der Nacht und am Donnerstag mit Schiffen und Booten fortsetzen“, erklärte der Offizier. Bis zum Abend konnten 29 Leichen identifiziert werden, darunter auch eine 51- jährige Touristin aus Norwegen, meldete der Rundfunk. Alle anderen identifizierten Toten seien Griechen, hieß es.

18 deutsche Passagiere kamen mit dem Schrecken davon. Wie das Auswärtige Amt in Berlin am Mittwochabend mitteilte, waren elf Ärzte aus Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern unter den Schiffbrüchigen. Außerdem sei eine dreiköpfige Familie aus Hessen aus dem Wasser geborgen worden. Vier weitere Deutsche überlebten das Unglück ebenfalls. Über ihre Identität und Herkunft sei aber noch nichts bekannt, hieß es. Wie viele Ausländer genau betroffen waren, konnten die griechischen Behörden nicht sagen.

Unklar war auch die Unglücksursache. Erste Vermutungen gingen von menschlichem Versagen aus. Der Kapitän und vier Besatzungsmitglieder wurden festgenommen. Ein Untersuchungsrichter muss nun binnen 48 Stunden entscheiden, ob die Männer in Untersuchungshaft genommen werden.

Die „Express Samina“ kam aus Piräus und sollte nach Paros, Naxos und Samos fahren. Warum sie auf das allen Seeleuten bekannte und durch ein Leuchtfeuer markierte Riff lief, untersucht jetzt die Staatsanwaltschaft Athen. Dabei geht es vor allem darum, wie viele der verantwortlichen Offiziere zum Zeitpunkt des Unglücks auf der Brücke waren. Überlebende hatten den Kapitän in einer Bar gesehen, wo er sich ein Fußballspiel angesehen habe. Nach ersten Aussagen der festgenommenen Besatzungsmitglieder waren nur ein Matrose und ein Kapitän in Ausbildung auf der Brücke.

Auch der überlebende deutsche Arzt Erich Schröder aus Hamburg kritisierte die Besatzung: „Der Kapitän war einer der Ersten im Rettungsboot. Ihm ist nichts passiert“, sagte der Mediziner dem „Mannheimer Morgen“. Nach seinen Angaben starben viele Kinder, weil sie die Rettungswesten nicht allein anlegen konnten. Die Besatzung habe nichts zu ihrer Rettung getan.

Andere Passagiere berichteten ebenfalls von grauenvollen Szenen: „Uns riss gegen 22.00 Uhr ein fürchterliches Geräusch aus dem Schlaf. Binnen drei Minuten ging das Licht aus. Panik brach aus. Wir hatten keine Zeit, die Rettungsboote zu benutzen“, erzählten von Fischern Gerettete. Zu dieser Zeit tobte ein Sturm und es herrschte hoher Seegang bei der Inselgruppe der Kykladen.

„Man wusste überhaupt nicht, was passierte. Es gab nur wenige Anweisungen in griechischer Sprache und gar nicht mehr in Englisch“, sagte die deutsche Touristin Marion Steinhoff dem Fernsehsender n-tv. „Es dauerte nicht lange und wir rutschten von der linken auf die rechte Seite des Schiffes und fielen ins Meer. Hinter uns ging die Fähre langsam unter“, erzählten andere Schiffbrüchige im griechischen Radio.

„Nach etwa einer Stunde kamen die ersten Fischerboote und retteten uns“, erzählten Überlebende. Andere Passagiere konnten kleine Felseninseln erreichen. Sie wurden mit Hubschraubern in Sicherheit gebracht, mehr als 30 Schiffe und Fischerboote beteiligten sich an der Rettungsaktion.

Wie der Chef der griechischen Küstenwache vermutete auch der Präsident der betroffenen Reederei menschliches Versagen. „Wer auch immer am Ruder war, muss blind gewesen sein“, sagte Andreas Klironomos, Chef von „Hellas Ferries-Minoan Flying Dolphins“. „Unsere Fähre war kurz vor Auslaufen im Hafen von Piräus kontrolliert worden. Es wurden keine Mängel festgestellt“, sagte er. Die Reederei ist allerdings schon öfter wegen des Zustands ihrer Schiffe kritisiert worden.

Die 1966 gebaute „Express Samina“ war eine der ältesten Fähren Griechenlands und sollte Ende dieses Jahres aus dem Verkehr gezogen werden. Das Unglück löste eine neue heftige Debatte über den Zustand griechischer Schiffe aus: Überlebende warfen den Reedern vor, mit veralteten Flotten „Milliarden zu Lasten der Sicherheit der Passagiere“ zu verdienen.

In Griechenland gibt es seit Jahren heftige Klagen gegen die so genannte Cabotage-Regelung, wonach nur griechische Reeder Fähren im Inlandsverkehr betreiben dürfen. Vielfach wurde gefordert, diese Regelung aufzuheben, damit auch andere europäische Reedereien Schiffe auf den Routen der Ägäis einsetzen können. „Die Konkurrenz der anderen Europäer würde schnell unsere Reeder zwingen, ihre Flotte zu modernisieren“, sagten jetzt auch Überlebende des Unglücks.

Nach Angaben der Behörden wurden bis zum Mittwochabend 472 Überlebende gezählt.

(RPO Archiv)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort