In Berlin erfunden Esskultur: 30 Jahre Döner

Berlin (dpa). Etwas typisch Deutsches sollte sie zeigen, die junge Frau im Fernsehen. Sie führte die Kamera zu einem Kebab-Stand: "Döner ist typisch deutsch." Das war wohl provokativ gemeint, in der Debatte um "deutsche Leitkultur". Döner politisch. Dabei hatte die Frau recht: Der Döner Kebab, so wie wir ihn kennen - der wurde in Deutschland erfunden. Vor 30 Jahren. In Berlin.

Er kenne mindestens vier Leute, die den Döner erfunden haben wollen, sagt Eberhard Seidel, der ein Buch über den Döner geschrieben hat: "Der Erfolg hat viele Väter." Die Berliner Presse feiert Mehmet Aygün als wahren Döner-Papa. Im März 1971, frisch aus der Türkei gekommen, half der 16-Jährige im Restaurant seines Onkels aus, am Kottbusser Damm 76, auf der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. In der Türkei gab es Döner Kebab schon lange, als Tellergericht. Doch erst Aygün kam auf die Idee, die den "drehenden Braten" - so die Übersetzung - zum imbisstauglichen Schnellgericht machte: Er stopfte Schabefleisch, Salat und Tomaten in ein Fladenbrot, zum Aus-der-Hand- und Auf-der-Straße-essen.

"2 Mark 50 kostete der Döner damals", erinnert sich Aygün. Eigentlich wollte er in Deutschland Wirtschaft studieren - doch der Erfolg seiner Kreation hielt ihn davon ab. Nicht zu seinem Schaden: Das Restaurant "Hasir" in Berlins schicker Mitte, in dem der elegante Mittvierziger zum Tee einlädt, gehört ihm. Und vier weitere Restaurants auch. Döner findet sich nicht mehr auf der Speisekarte des Hasir - kein Zufall: "Viele Deutsche denken, die türkische Küche bestünde nur aus Döner", sagt Aygün. "Das ist schlecht für das Image."

Döner-Experte Seidel, im Hauptberuf Leiter des Inlandsressorts der Berliner "Tageszeitung" (taz), sieht einen anderen Aspekt: "Der Döner Kebab hat mehr zur Integration der Türken in Deutschland beigetragen als alle Bemühungen von Intellektuellen." Dabei blieb der Döner zunächst Nahrung für Einwanderer, die sich schon aus religiösen Gründen nicht Richtung Currywurst assimilieren wollten. Der Döner- Durchbruch kam in den 80ern, als viele der ehemaligen Gastarbeiter arbeitslos wurden: "Er ist ein Beispiel für Armutsökonomie - die Dönerbude als Ausweg in die Selbstständigkeit, als Überlebensstrategie", sagt Seidel.

"Der Markt verlangte nach einer Ware für die Abfütterung der Deklassierten, Ausgegrenzten, der Sozialhilfeempfänger", schreibt der in Berlin und Istanbul lebende Journalist Ömer Erzeren. Dazu kam eine neugierige Szene aus Studenten und Internationalisten in Berlin, und immer mehr Türkei-Touristen, die auch nach dem Urlaub Appetit auf Orientalisches hatten. Doch nicht nur die Deutschen, auch der Döner veränderte sich: mit Mayonnaise-Soßen und Ketchup wurde er dem Geschmack des "Gastlandes" angepasst.

Inzwischen werden in Deutschland Tag für Tag 300 Tonnen Dönerfleisch produziert - das sind rund 3 Millionen Portionen. Damit machen die rund 10 000 Buden und Restaurants einen Umsatz von rund 3 Milliarden Mark im Jahr, schätzt das Essener Zentrum für Türkeistudien. Und da mit steigendem Konkurrenzdruck auch Dinge in den Döner kamen, die man nicht gerne isst, wurde in Deutschland genau geregelt, was in einem Döner sein darf: Höchstens 60 Prozent Hackfleisch, mindestens 40 Prozent Scheibenfleisch, vom Kalb, Lamm oder Rind. Dazu Gewürze, aber keine Konservierungsstoffe.

Doch dem Dönerstandort Deutschland droht Gefahr: Seit der BSE- Krise ist der Absatz um 20 Prozent zurückgegangen, sagt der Präsident des Verbandes Türkischer Dönerhersteller in Europa, Remzi Kaplan. Dafür würden aber mehr Hähnchen-Döner verkauft. Und Not macht erfinderisch: Ein Dönerbrater in Berlin-Spandau warf kürzlich den ersten Fisch-Döner auf den Markt.

(RPO Archiv)
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