Emeritierter Papst schreibt über Missbrauch „Völlig an der Sache vorbei“

Rom · Ein Text über die Missbrauchsskandale in der Kirche, verfasst vom emeritierten Papst Benedikt XVI., ist bei der Opferinitiative „Eckiger Tisch“ nicht gut angekommen. Benedikt gibt darin unter anderem Aufklärungsfilmen aus den 1970er Jahren Mitschuld an den aktuellen Problemen.

 Der emeritierte Papst Benedikt XVI.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Die sexuelle Revolution der 68er Bewegung ist nach Ansicht des emeritierten Papstes Benedikt XVI. mitverantwortlich für die vielen Missbrauchsfälle in der Kirche. In den 20 Jahren von 1960 bis 1980 seien „die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen Sexualität vollkommen weggebrochen“, schreibt der emeritierte Papst in einem mehrseitigen Aufsatz im bayerischen „Klerusblatt“. Aus dieser Entwicklung heraus sei dann eine „Normlosigkeit entstanden“, die man nun abzufangen versuche. Diese Abkehr von der katholischen Sexualmoral habe schlimme Folgen in der Priesterausbildung, der Hochschultheologie und der Auswahl von Bischöfen gehabt, erklärt Benedikt in seinem Aufsatz.

Der Sprecher der Missbrauchsopfer der katholischen Kirche, Matthias Katsch, kritisierte das Schreiben scharf. Es sei eine Analyse, die „völlig an der Sache vorbeigeht“, erklärte der Vertreter der Betroffenen-Gruppe „Eckiger Tisch“ im Radiosender Bayern 2.

„Sex und Pornofilme als Realität“

In dem Aufsatz heißt es: „Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.“ Der Staat habe „die Einführung der Kinder und der Jugend in das Wesen der Sexualität“ schließlich als Folge der 68er Bewegung verordnet. Als Beispiel nennt der emeritierte Papst Aufklärungsfilme, die die frühere Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel (SPD) in ihrer Amtszeit von 1969 bis 1972 erstellen ließ. Darin sei „alles, was bisher nicht öffentlich gezeigt werden durfte, einschließlich des Geschlechtsverkehrs, nun vorgeführt“ worden. Sex- und Pornofilme seien daraufhin „zu einer Realität“ geworden.

In der katholischen Kirche habe diese gesellschaftliche Entwicklung dann dazu geführt, dass Teile der Kirche ein „neues, radikal offenes Verhältnis zur Welt“ wollten. Benedikt verweist in dem Aufsatz auf einen Bischof, der vorher als Regens ein Priesterseminar geleitet habe und seinen Seminaristen Pornofilme habe vorführen lassen. „Angeblich mit der Absicht, sie so widerstandsfähig gegen ein glaubenswidriges Verhalten zu machen“, schreibt er. In mehreren Priesterseminaren hätten sich „homosexuelle Clubs“ gebildet, „die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten“, erläuterte der frühere Oberhirte.

In der Einleitung des Aufsatzes schreibt Benedikt, der Text beruhe auf Notizen, die er sich „in der Zeit von der Ankündigung“ bis zum Zusammentreffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Missbrauchs-Gipfel in diesem Februar in Rom gemacht habe. Er hoffe damit „den ein oder anderen Hinweis zur Hilfe in dieser schweren Stunde“ beizutragen.

„Entlarvender Text“

Opfer-Vertreter Katsch sagte, Benedikt XVI. habe einen „entlarvenden Text“ verfasst, „den man jetzt aber auch nicht zu wichtig nehmen sollte“. Das ehemalige Oberhaupt der katholischen Kirche blende die „strukturellen Ursachen für die Übergriffe“ in seiner Analyse aus.

Stattdessen personalisiere er und mache die Priester zu Schuldigen - „die dies natürlich sind, aber den Kontext blendet er völlig aus“, fügte Katsch hinzu. Stattdessen sei am Ende der Teufel Schuld daran, dass das Böse in die Kirche eingedrungen sei. Dies sei eine „vormoderne Sicht, die aber zur Lösung des Problems nichts beiträgt“. Eigene Fehler und die Verantwortung der Institution Kirche würden im Text des ehemaligen Pontifex nicht benannt.

(mja/epd)
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