Psychische Folgen einer Entführung können jahrelang anhalten "Eine Entführung brennt sich ein wie ein Film"
Frankfurt/Main (AP). Die Lage der Geiseln auf den Philippinen ist nach Ansicht von Psychologen und Kriminologen "höchst kritisch" - das gilt auch für die Spätfolgen, mit denen sie nach ihrer Befreiung kämpfen müssen. Seit Ostersonntag halten die Rebellen der moslemischen Gruppe Abu Sayyaf in dem Inselstaat 21 Geiseln fest, darunter drei Deutsche und sieben weitere westliche Touristen. "Die Geiseln sitzen in einem völlig fremden Land unter ungewohnten klimatischen und hygienischen Bedingungen fest, sie verstehen die Sprache nicht und können die Mentalität der Entführer überhaupt nicht einschätzen", sagt Werner Wilk, Psychologe aus Bielefeld, der sich auf Geiselnahmen und Banküberfälle spezialisiert hat.
Diese Umstände verstärkten noch die Gefühle, die Opfer von Geiselnahmen plagten: Die Entführten durchliefen ein Wechselbad aus Resignation, Entwürdigungs- und Ohnmachtsgefühlen, Wut, Angst, Teilnahmslosigkeit und Aggression, sagt Wilk. Als alarmierend stuft der Bochumer Kriminologe Hans Dieter Schwind Meldungen über militärische Aktionen der Regierungstruppen gegen die Geiselnehmer ein. Die Entführung befinde sich in einer "hochnervösen Phase", in der eigentlich Ruhe und Stabilität angesagt wäre.
Die Nervosität der Polizei übertrage sich auf die Geiselnehmer und verschlimmere damit die Situation der Geiseln, deren Überlebenschancen nun rapide gesunken seien. "Geiseln versuchen oft, einen persönlichen Kontakt zu ihren Entführern aufzunehmen, das erhöht dann ihre Chance, wieder heil aus der Sache herauszukommen", sagt Schwind. Nach den jüngsten Militäraktionen sei den Geiseln diese Möglichkeit aber zunächst einmal genommen.
"Geiseln nehmen ihre Entführer gar nicht als die Hauptquelle der Gefahr wahr, sondern die bange Frage ist immer die nach den Plänen von Militär oder Polizei", erklärt die Psychologin Gabriele Bertram aus Bonn, die sich mit Geiselnahmen beschäftigt. Die Geiseln könnten ihre Entführer täglich sehen und meinten, sie so kontrollieren zu können. Bedrohlich erschienen dagegen die Aktivitäten, die sich "draußen" abspielten und die die Geiseln nicht einschätzen könnten.
"Ständige Todesangst hinterlässt Spuren"
Doch selbst wenn die Geiseln lebend befreit werden sollten, werden viele von ihnen an den psychischen Folgen noch lange zu leiden haben. "Diese Menschen waren über viele Tage hinweg einer ständigen Todesangst ausgesetzt, das wird ihre Spuren hinterlassen", sagt Psychologe Wilk. Die Unberechenbarkeit der philippinischen Geiselnehmer und der Regierungstruppen verschlimmere auch die Spätfolgen. Nach einer möglichen Befreiung bräuchten sie deshalb dringend psychologische Betreuung: "Zunächst werden die Geiseln erleichtert sein und hoffen, alles schnell zu vergessen. Aber nach ein paar Stunden oder Tagen kommen die Bilder der Entführung wieder", berichtet Wilk. Schlafstörungen und Panikattacken seien meist die Folgen.
"Es gibt Menschen, die schnell und ohne Hilfe über eine solche Erfahrung hinwegkommen. Die meisten aber können nicht mehr ans Telefon gehen, schrecken zusammen, nur weil jemand flüstert oder auch laut schreit, schließen sich ein oder halten es überhaupt nicht mehr in geschlossenen Räumen aus", sagt der Psychologe. Zudem würden die Erinnerungen jedes Mal wieder aktiviert, wenn Fernsehesender oder Zeitungen über eine Geiselnahme berichteten. "Das ist auch für die Angehörigen eine massive Belastung." So könnten die psychischen Folgen einer Entführung die Geiseln noch über Jahre hinweg begleiten. "Eine Entführung ist ein Extremfall, den man nicht verarbeiten kann, der sich innerlich einbrennt und in den ehemaligen Geiseln weiterexistiert wie ein Film", sagt Wilk.