München Ein Verkehrstoter, 113 Betroffene

München · Ablenkung, zu hohes Tempo, zu wenig Abstand: Mehr als 3214 Menschen starben im vergangenen Jahr bei Unfällen auf deutschen Straßen. Auf das Schicksal der Angehörigen macht die Kampagne "Runter vom Gas" aufmerksam.

Der Tacho zeigte 70 Stundenkilometer, das Handydisplay das Wort "Hallo". Es dauert nur einen kurzen Moment das Wort zu tippen - ein Moment der tödlich war. In einer Rechtskurve kam der Autofahrer von der Straße ab und raste frontal in einen entgegenkommenden Lastwagen. Das Smartphone mit der angefangenen Nachrichte klemmte noch zwischen den Beinen des Fahrers. Wie "eingefroren" sei die Szenerie gewesen", erinnert sich Polizeihauptkommissar Thomas Hennemann, der damals an dem Unfallort in Münster war.

Immer häufiger stellt die NRW-Polizei fest, dass Unfallopfer abgelenkt waren. Zum Beispiel durch den Blick aufs Smartphone.

3214 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei einem Verkehrsunfall auf deutschen Straßen ums Leben - in NRW waren es 524, das sind zwei mehr als im Vorjahr. In 163 Fällen war dabei zu hohe Geschwindigkeit mitursächlich. "Nicht angepasste Geschwindigkeit ist die Unfallursache Nummer eins", erläuterte Ute Hammer, Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR). Darüber hinaus zähle auch zu geringer Abstand zu den häufigen Unfallursachen.

Mit der Kampagne "Runter vom Gas" möchten das Bundesverkehrsministerium und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat auf die Unfallursachen aufmerksam machen. Dazu werden rund 700 Plakate mit den Slogans "Runter vom Gas", "Abstand halten" und "Finger weg vom Handy" in den nächsten Wochen an deutschen Straßen aufgestellt. In NRW werden an den Autobahnen 35 Plakate und 14 an Landstraßen zu sehen sein, die trauernde Angehörige zeigen.

Stirbt ein Mensch bei einem Verkehrsunfall, sind nach einer Studie im Schnitt 113 andere Menschen unmittelbar betroffen. Darunter sind elf Angehörige, vier enge Freunde, 46 Bekannte - und 42 Einsatzkräfte wie Sanitäter, Feuerwehrleute oder Polizisten, wie eine Untersuchung der Verkehrssicherheitskampagne "Runter vom Gas" ergab. So sind auf den Plakaten neben den Slogans auch trauernde Angehörige zu sehen. Ihre Schicksale stehen im Mittelpunkt der Kampagne: Etwa das von Katharina Körner, die vor zwölf Jahren ihren dreijährigen Sohn, ihren Mann und ihren Bruder verlor. Ein Freund hatte die drei mit seinem neuen Sportwagen abgeholt, Körner blieb mit den zweijährigen Zwillingsmädchen zu Hause. Alle drei Kinder sollten am nächsten Tag getauft werden, es gab noch viel vorzubereiten.

Es war gegen 17 Uhr, als die Beamten die Todesnachricht brachten. Der Wagen war beim Überholen aus einer Kurve getragen worden und gegen Bäume gerast. Die Aufprallgeschwindigkeit lag bei Tempo 150, erlaubt waren 70. "Der Unfall hätte vermieden werden können", sagt Katharina Körner. Der Unfallfahrer überlebte. Er sei nicht verurteilt worden.

Auch Til Schwartz verlor seinen jüngeren Bruder durch zu hohe Geschwindigkeit: Im vergangenen Sommer fuhr dieser auf seinem Motorrad mit 100 Stundenkilometern in Berlin, als die Maschine außer Kontrolle geriet und gegen einen Baum prallte. Den aufgerissenen und zur Seite verschobenen Helm hat Til Schwartz nun bei sich zu Hause. Seinen eigenen Roller hat er nicht mehr angerührt.

"Runter vom Gas" solle aufrütteln - und die Ausmaße eines tödlichen Unfalls aufzeigen, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, Dorothee Bär. DVR-Geschäftsführerin Ute Hammer betont, es gehe nicht nur um notorische Raser. Im immer hektischeren Verkehr werde gleich gehupt, wenn es nicht rasch genug voran gehe. "Jeder von uns ist gelegentlich mal zu schnell."

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort