Kolumne Vatertage Die schwierige Eingewöhnungsphase im Kindergarten

Wenn ihre Kinder in den Kindergarten kommen, müssen viele Eltern lernen, dass Abschied weh tun kann.

Seit vier Tagen ist David im Kindergarten. Und heute fühle ich mich das erste Mal erleichtert, unbeschwert und froh.

David geht nicht gerne in den Kindergarten. Er wurde bisher von einer Tagesmutter betreut, einer lieben Dame, die sich allein um ihn kümmerte. Er kennt das nicht: so lange mit anderen Kindern zusammen sein, sich wehren müssen, teilen. Er hat zwar Freunde. Aber wenn wir uns mit deren Eltern treffen, spielen die Kinder zumeist nebeneinander her. Wenn sie gut aufgelegt sind, machen sie zusammen Quatsch, an schlechten Tagen enden die Zusammenkünfte, bevor die Eltern ihren Kuchen aufgegessen haben, weil die Kinder einander nur ärgern.

Am Montag betrat David also eine andere Welt, vielleicht: die Welt. Sandra brachte ihn zum Kindergarten, sie verabschiedete sich und musste bald wiederkommen - David weinte viel. Am Dienstag blieb Sandra den ganzen Vormittag dort, weil David sie nicht gehen lassen wollte. Am Mittwoch wachte David morgens auf und sagte direkt, er wolle heute den ganzen Tag im Bett bleiben und dort auch essen, wir müssten also gar nicht in den Kindergarten.

Sicher, es geht um die Eingewöhnungsphase, wir reden über gerade mal vier Tage, und doch spürten wir eine Beklommenheit: Das Kind fühlt sich unwohl. Wir kannten so etwas nicht, neue Härte. Gestern Abend fragte David: "Oder soll ich morgen wieder zu Karin gehen?" Karin ist die Tagesmutter, sie zog in eine andere Stadt, um sich um die kranke Mutter zu kümmern. "Karin wohnt hier doch gar nicht mehr", sagte ich und las eine zweite Gutenachtgeschichte vor.

Heute dann das Licht, Erleichterung, Fortschritt. Ich brachte David hin. Er wollte mich nicht gehen lassen, da nahm mich die Kindergärtnerin beiseite: heute hart bleiben, besser so. Ich sagte "Tschüss", er weinte, ich wollte gehen, er hing an meinem Bein. Die Kindergärtnerin nahm ihn auf den Arm, er schrie, ich dachte an den Film "Nicht ohne meine Tochter", die Kindergärtnerin bedeutete: gehen, weg, fort!

Auf der Treppe haderte ich: alles richtig so? Draußen drehte ich mich um, blickte zum Fenster. Es öffnete sich, darin Kindergärtnerin und David. Er rief: "Tschüss, Papa!", winkte, grinste, freute sich. Die Kindergärtnerin lächelte und machte diese Geste: Daumen hoch. Ich fühlte mich wie nach Erhalt der Nachricht, dass ich das Abitur bestanden habe.

Ich rief Sandra an, erzählte alles. Ich fragte, ob wir jetzt ein Eis essen wollen, morgens um neun, und sie sagte: Ja. Es hatte noch keine Eisdiele geöffnet, aber das war egal.

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(RP)
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