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Analyse Die Pegida-Parallelgesellschaft

Dresden · In Dresden sammelt sich ein unüberschaubares Gemisch von Demokratieenttäuschten und Generalverbitterten.

"Pegida": Erste Demo in Dresden nach Terrordrohung
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Erste "Pegida"-Demo nach Terrordrohung

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Pegida — auch nach zwei Monaten intensiver Beschäftigung mit dem Phänomen bleibt die Bewegung schwer zu fassen. Zu diffus, zu vielfältig ist die Menge, die da hinter dem Banner der Islamisierungsangst marschiert. Das jetzt offenbar zerbröselnde Organisationsteam von Pegida bildete sich im vorigen Oktober aus einer Facebook-Gruppe, die über Waffenlieferungen auch an die kurdische Arbeiterpartei PKK diskutierte. Von den Medien kaum beachtet, versammelten sich damals zunächst nur wenige hundert Menschen zu einem "Abendspaziergang" durch die Dresdner Innenstadt. Über den geltungssüchtigen Chefdemagogen Lutz Bachmann weiß die Republik spätestens seit seinen Hitlerposen und den Flüchtlingsbeschimpfungen ("Viehzeug") einiges. In Südafrika war Bachmann selber Flüchtling vor der deutschen Justiz. Auffällig sind seine Verbindungen in die Halbwelt. Das Rotlicht-Milieu in Leipzig und Dresden zählt dazu, der populäre Nachtbar-Betreiber "Wolle" Förster in Dresden, die Security-Spezialisten Achim Exner und Sven Däbritz aus dem Orga-Team, die Fanszene des Fußballklubs Dynamo Dresden mit ihren berüchtigten Hooligans.

Andere Linien führen zum rechten Rand von CDU und FDP, etwa zu Thomas Tallacker, der wegen offener Ausländerfeindlichkeit aus dem Meißner Stadtrat flog. Dieser engere Pegida-Kreis hängt sich nach außen gern den Schafspelz um, veröffentlichte 19 Thesen, die zur Hälfte auch ein Ausländerbeauftragter hätte verfassen können, mittlerweile auf sechs eingedampft. Die gestern zurückgetretene Sprecherin Kathrin Oertel hatte zuletzt sogar die "lieben Medienvertreter" bei der montags normalerweise niedergebrüllten "Lügenpresse" entdeckt. Wes Geistes Kind die Kerntruppe wirklich ist, offenbaren die eingeladenen Gastredner. Der Publizist und ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte etwa mit einer subtil verpackten Hassrede oder der in Leipzig lebende Franzose Stephane Simon.

Mit diesen Gestalten mögen Politiker nicht reden. Wohl aber mit denen, die das eigentlich schillernde "Volk" von Pegida stellen. Die erste soziologische Studie der TU Dresden hat sie auch nur marginal erfassen können, weil zwei Drittel der angesprochenen Montagsdemonstranten jede Auskunft verweigerten. Ihre Motive sind nicht nur unendlich vielgestaltig, sondern kommen meist aus dem Bauch und werden intellektuell selten reflektiert. Ein Spiegelkabinett ist ein überschaubarer Ort, verglichen mit einer Pegida-Demo. Auch wenn die TU-Studie eher Teilnehmer mit mittleren Bildungsabschlüssen und leicht überdurchschnittlichem Einkommen festgestellt hat, ist doch allmontäglich ein bedeutender Teil von Arbeitslosen und sozial Benachteiligten zu beobachten. Einige bezeichnen sich offen als Wendeverlierer. Sie ertragen es nicht, wenn Flüchtlingen ihrer Meinung nach komfortablere Quartiere eingerichtet werden, wenn ein Asylbewerber angeblich siebenmal so viel kostet wie ein "Hartzer".

Wer als Freiberufler oder Mittelständler gut versorgt scheint, fühlt sich ebenfalls bedroht. Die oft beschriebene Angst der Mittelschicht vor dem Abstieg findet hier ihren Ausdruck. Eine anonyme Bedrohung, ebenso wie die unsichere und kriegerische Weltlage, für die immer offener die US-Amerikaner und speziell ihre Destabilisierung des "Morgenlandes" verantwortlich gemacht werden.

Christen gibt es auch, die allen Ernstes eine islamische Dominanz fürchten. Ansonsten findet man im Gemischtwarenladen Pegida von allem etwas: NPD-Kader und Kameradschaften, Hooligans, Burschenschafter, Multi-Kulti-Gegner, Weltverschwörungstheoretiker, Putin-Freunde, Homophobe, Kleingärtner und Opfer der Rundfunkgebühr. Wenn es ein gemeinsames Merkmal gibt, dann ist es der Frust gegenüber "denen da oben", die Ablehnung der mühsamen Demokratie, der Protest gegen die angebliche Indoktrination durch gleichgeschaltete und selbstverständlich durchweg "linke" Medien. Man fühlt sich im Stich gelassen von den Volksvertretern, die man in der Regel gar nicht gewählt hat, denn hier bekommen die 50 Prozent Nichtwähler ein Gesicht. Pegida selbst repräsentiert eine Parallelgesellschaft inmitten der Bundesrepublik.

Hinter Totalverweigerung und Generalverbitterung steckt auch die Kapitulation vor der Komplexität unserer Welt. Diese Sehnsucht nach dem Einfachen, nach klaren Fronten, mag etwas mit Ostalgie, mit dem Pegida-Ursprungsort zu tun haben. Auffällig ist der Blick nach oben, das autoritäre Denkmuster, denn kaum einer der Demonstranten hat zuvor selber in einer Bürgerinitiative mitgemacht, eine Petition geschrieben oder sich gar politisch engagiert. Man meckert in bewährter DDR-Manier. Und fühlt sich dabei wie 1989.

Die sächsische Mentalität und speziell die retrospektive Selbstverklärung und Selbstisolation der Dresdner tun ein Übriges. Der Sachse lässt sich ungern von unüberschaubaren Neuigkeiten stören, wenn er vor sich hinmuddelt. Politikverdrossenheit aber reicht über den Elbtalkessel hinaus, und zur Ehrenrettung der Dresdner haben auch Studien inzwischen bestätigt, dass zwei Drittel der Teilnehmer Demo-Touristen sind. Der geäußerte Frust hat nun zumindest sächsische Politiker alarmiert, man bläst wie 1989 zum allgegenwärtigen Dialog. Dem stellen sich jetzt nur wenige bekennende Pegida-Demonstranten, aber viele Sympathisanten.

In der Landeszentrale für Politische Bildung oder beim großen Forum der Staatsregierung hörte man einander zumindest zu. Folgerungen sind wegen der vielen Allgemeinplätze kaum zu erwarten. Ohnehin entsteht der Eindruck, dass sich Pegida wie bei den montäglichen Runden allmählich im Kreis zu drehen beginnt. Entweder fällt die Bewegung in sich zusammen, oder sie wird von der innig kontaktierten AfD aufgesogen, die sich ohnehin schon als Sprachrohr und Berater geriert, oder sie radikalisiert sich wie in Leipzig.

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