Wegberg Die Angst vor den Implantaten

Wegberg · Die gestrige Festnahme des Brustimplantate-Herstellers PIP ist für Margit Feller nur eine kleine Erleichterung. Seit die Mutter zweier Kinder weiß, dass die Silikonkissen in ihrer Brust Krebs auslösen könnten, lebt die Wegbergerin in ständiger Sorge. Von ihrem Arzt fühlt sie sich im Stich gelassen.

An ihre erste Beratung in der Schönheitsklinik in Mönchengladbach-Rheydt erinnert sich Margit Feller noch sehr genau. "Der Chirurg war groß wie ein Basketballspieler und breit wie ein Schlachter", sagt die Stylistin aus Wegberg. Auf seinem Tisch lag ein Silikonkissen. "Er sagte: ,Das ist der Mercedes der Implantate', und dann schlug er kräftig mit der Faust drauf." Das Kissen zerplatzte nicht. "Ein Leben lang würden die Kissen in meiner Brust halten, kein Gesundheitsrisiko, das versprach er mir", sagt die 45-Jährige, "und ich habe ihm geglaubt."

2002 ließ sich Margit Feller in der Esthetica Klinik für ästhetische Chirurgie in Mönchengladbach ihre Brüste vergrößern, "von Körbchengröße A auf B, weil ich ein schöneres Dekolleté haben wollte." Als sie im Dezember von dem Skandal um Billig-Implantate der französischen Firma PIP (Poly Implant Prothèse) hört, die gefährliches Silikongel verlieren und sogar Krebs auslösen könnten, sucht sie in ihren Ordnern nach Unterlagen über ihre Operation. Und findet einen kleinen, handschriftlichen Zettel ihres damaligen Schönheitschirurgen. Auf ihm steht: Rofil Medro.

Seit Feller weiß, dass die beiden mit je 225 Milliliter Silikon gefüllten Kissen in ihrer Brust von der niederländischen Firma stammen, lebt sie in ständiger Sorge. Denn Rofil Medro soll die unter Krebsverdacht stehenden PIP-Implantate gekauft und unter eigenem Namen weiter verkauft haben. "In meiner Familie gibt es Krebs, und ich habe Angst, dass ein Implantat bereits geplatzt sein könnte", sagt die Wegbergerin. Denn unter ihrer linken Brust fühle sie "erbsengroße Knoten, vielleicht ausgelaufenes Silikongel".

Feller ist nach einer aktuellen Umfrage des Landesgesundheitsministeriums bei Krankenhäusern und Praxen eine von mindestens 500 Frauen in NRW, denen zwischen 2001 und 2010 Billig-Implantate der inzwischen insolventen Firmen PIP und Rofil Medro eingesetzt wurden. Bundesweit gehen Experten von 10 000, weltweit von 400 000 bis 500 000 Betroffenen aus. In NRW soll ein ehemals in Düsseldorf-Eller ansässiger Vertriebspartner Krankenhäuser und Kliniken in 35 NRW-Städten wie Düsseldorf, Essen, Mönchengladbach und Münster beliefert haben.

Einige betroffene Krankenhäuser wie das Uni-Klinikum Essen oder das Moerser Krankenhaus Bethanien haben nach Bekanntwerden des Skandals ihre ehemaligen Patientinnen angeschrieben, denen etwa nach Brustkrebs-Operationen die Kissen eingesetzt worden waren. Doch Margit Feller hat von der Klinik in Mönchengladbach bisher kein Schreiben bekommen. "Ich stecke in einer fiesen Situation", sagt die Mutter eines Sohnes (17) und einer Tochter (7). "Die Klinik gibt es nicht mehr." Im Internet hat sie aber die Telefonnummer ihres damaligen Schönheitschirurgen gefunden – und ihn angerufen. "Er versuchte mich zu beruhigen und sagte, wie gut die Implantate seien, dass alles in Ordnung sei."

Als das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Betroffenen die Entfernung der Implantate empfiehlt und sich auch die Weltgesundheitsorganisation einschaltet, vereinbart Margit Feller in der Essener Uni-Klinik einen Termin, um sich die Silikonkissen entfernen zu lassen. Am 17. Februar wird sie operiert. Von ihrem Arzt fühlt sie sich im Stich gelassen. "Ich hatte ihm vertraut. Für ein Geschäft wurde mein Leben aufs Spiel gesetzt", sagt die Wegbergerin. "Er wollte mir nicht mal meine Krankenakte geben oder einen Implantate-Pass ausstellen, den ich in der Essener Klinik vorzeigen soll." Mehrmals habe sie ihn in den vergangenen Wochen angerufen und um die Unterlagen gebeten. Vor ein paar Tagen habe er ihr die Unterlagen gegeben, "aber ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass ihm das alles leidtut." Auf Anfrage unserer Zeitung beruft sich der Arzt auf die ärztliche Schweigepflicht.

Auf dem Tisch in Margit Fellers Wohnzimmer liegen unzählige Briefe von ihrer Krankenkasse, von ihrem Anwalt und Zeitungsberichte über den weltweiten Gesundheitsskandal, in dem seit gestern auch vor "TIBREEZE"-Implantaten gewarnt wird, da sie PIP-Komponenten enthalten sollen. "Es würde mir helfen, von anderen Betroffenen zu erfahren, wie sie mit dieser Situation umgehen." Denn die Implantate in ihrer Brust lassen ihr keine Ruhe. "Nachts schrecke ich auf. Ich träume, dass ich nach der OP an der Uni-Klinik aufwache und die Ärzte sagen, dass das Implantat tatsächlich defekt ist, dass etwas auf Krebs hinweist." Und sie fürchtet eine "Massenabfertigung". "Die Ärzte müssen jetzt so viele Frauen operieren. Ich will keine Nummer sein."

Ihre Krankenkasse wird die Kosten von bis zu 6000 Euro zur Entfernung der Implantate übernehmen, doch die Hälfte muss Feller nach der OP wahrscheinlich zurückzahlen. "Weil meine OP damals keine medizinischen Gründe hatte." Doch das Geld, um sich an der OP zu beteiligen, habe sie nicht. "Ich sehe auch nicht ein, noch einmal für Implantate zu zahlen, die mich 2002 bereits 3500 Euro gekostet haben und lebenslang halten sollten."

Anwalt Michael Graf, der auch Klagen anderer Betroffener vorbereitet, soll ihr helfen, Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu bekommen: "Ich will Rofil Medro, die Klinik, den Arzt und die Firma Brenntag verklagen. Wir wurden alle getäuscht." Die gestrige Festnahme des Chefs der französischen Herstellerfirma PIP, Jean-Claude Mas, wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung sei eine kleine Genugtuung. "Ich hoffe, dass er nicht ungestraft davonkommt. Er hat uns allen vorsätzlich einen gesundheitlichen und seelischen Schaden zugefügt."

In einer Woche sitzt Margit Feller wieder im Sprechzimmer eines Arztes, um sich über eine Brust-OP beraten zu lassen. Dann wird es um die Details zur Entfernung der Implantate gehen. "Ich kann jetzt nur hoffen, dass die OP gut verläuft und kein Krebs gefunden wird."

(RP)
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