Zwei Häftlinge türmen aus Gefängnis Berlin Moabit Nur durch eine seltsame Verkettung von Zufällen gelang die Flucht

Berlin · Um sechs Uhr morgens begann für die Häftlingswärter der Alptraum: Die Betten von zwei Insassen aus dem ersten Stock, Flügel D, waren leer. Dann entdeckten sie, dass aus zwei Zellenfenstern notdürftig aus Bettlaken und Handtüchern zusammengeknotete Seile hingen. Die Großfahndung läuft. Einer der Männer soll wegen Mordes angeklagt sein.

Spektakuläre Ausbrüche aus deutschen Gefängnissen
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Foto: dpa, mac;cse vfd

Wie diese Flucht gelingen konnte, beschäftigt seit Montagmorgen Berliner Justiz und Politik. Eigentlich galt das Untersuchungsgefängnis Moabit als sicher. Seit 15 Jahren ist dort keiner mehr getürmt. Und jetzt dieser Ausbruch wie aus einem Knast-Film in Schwarz-Weiß.

Die Gitterstäbe der Zellenfenster waren durchgesägt. Durch ein 30 mal 30 Zentimeter großes Loch sollen die Häftlinge hindurchgeschlüpft sein, um sich an dem selbst geknoteten Seil mehr als vier Meter in die Tiefe abzuseilen. Nach einem Sprint über den Innenhof überwanden die Straftäter eine meterhohe Mauer sowie einen Stacheldrahtzaun.

"Unfassbar"

Insbesondere dieser Teil des Ausbruchs lässt die JVA-Angestellten am Tag danach staunen. Denn wer ihren Fluchtweg nachverfolgt, steht vor einer rund vier Meter hohen Backsteinmauer. An dieser müssen die beiden hochgeklettert sein, um anschließend einen messerscharfen Stacheldraht zu überwinden. "Unfassbar", heißt es bei der Besichtigung am Tag danach.

Zuletzt gesehen wurden sie am Sonntagabend gegen halb zehn. Niemand ahnte ihre Pläne. Selbst als gegen drei Uhr nachts die Alarmglocken schrillen, tun die Wächter das als Fehlalarm ab. Dass zwei Insassen fliehen könnten, lag offenkundig nicht im Bereich des Vorstellbaren. Auf den Monitoren der Überwachungskameras konnten sie ebenfalls nichts Auffälliges entdecken.

Viele offene Fragen

Nun sind zwei Männer auf der Flucht, die als gefährlich gelten müssen. Berliner Medien zufolge handelt es sich um den wegen Betrug verurteilten Ulrich Z. und Metin-Michael M., der einen Clubbesitzer ermordet haben soll. Für ihn galt laut Berliner Zeitung die höchste Sicherheitsstufe.

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sagt nun, es gebe viele offene Fragen. Er will sie mit Hilfe einer Untersuchungskommission aufklären. Ein schlechtes Licht fällt unweigerlich auch auf Berlin und Moabit. Denn anderthalb Tage später stellt es sich so dar, dass der Ausbruch nur durch eine erstaunlich lange Kette von Zufällen und Pannen gelingen konnte.

Was wussten die Häftlinge?

Die Gitterstäbe waren alt und sollten bald erneuert werden. Mit welchem Werkzeug sie sich daran zu schaffen machen konnten — ein Rätsel. Ebenso wie ihre Kletterkünste an der Backsteinfassade. Zudem müssen beide auf der Mauer ein Gitter aufgedrückt haben, das sonst durch einen Spezialverschluss gesichert ist.

Jetzt heißt es, das Gitter sei möglicherweise nach Bauarbeiten an der Fassade nicht richtig zugeschraubt worden sei. Auch der "Fehlalarm" wird bei den Untersuchungen eine Rolle spielen. "Das ist ein weiterer Zufall, der eigentlich normalerweise so nicht vorkommt", betonte Heilmann.

Heilmann spricht von Zufall. Doch die endlose Verkettung dieser glücklichen Begebenheiten lässt daran zweifeln, dass es sich hier noch um Zufall handelt. Dass der Ausbruch einem lang geschmiedeten Plan folgte, bezweifelt inzwischen niemand mehr. Die beiden Häftlinge sollen auf dem Inenhof auch genügend Gelegenheiten gehabt haben, sich auszutauschen.

Bisher tappen die Ermittler im Dunkeln

"Wenn ich es nicht selber gesehen hätte, ich hätte es gar nicht geglaubt", sagt auch Senator Heilmann bei der Besichtigung des Geländes. Es müsse sich erstens um einen sehr klugen Plan und zweitens um sehr sportliche und begabte Täter gehandelt haben. Bislang gebe es aber keine Anhaltspunkte, dass bei der Flucht Hilfe aus der Anstalt oder von außen gekommen sei.

Der Senator bestätigte zudem, dass es in demselben Gefängnis in der Nacht zum Montag einen Todesfall gab, der das Personal beschäftigt habe. Dieser Vorfall hänge aber nicht mit dem Ausbruch zusammen.

Der Deutsche Beamtenbund Berlin wies darauf hin, dass im öffentlichen Dienst seit Jahren gespart werde und Personal fehle. Womöglich hätte der Ausbruch verhindert werden können, wenn mehr Bedienstete da gewesen wären, sagte der Landesvorsitzende Frank Becker.

(dpa)
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