Gefährlicher Trend in Deutschland Würgen — Kinderspiel mit Todesfolge

Düsseldorf · In Deutschland ist ein gefährlicher Trend auf dem Vormarsch: Würgespiele bei Kindern. Die künstlich herbeigeführte Ohnmacht kann schwerwiegende Folgen haben. Die ersten Todesfälle hat es bereits gegeben. Viele Eltern sind ahnungslos.

 Gefährliches Würgespiel: Jugendliche drücken ihrem Freund auf den Brustkorb. Wenige Sekunden später ist er ohnmächtig.

Gefährliches Würgespiel: Jugendliche drücken ihrem Freund auf den Brustkorb. Wenige Sekunden später ist er ohnmächtig.

Foto: Screenshot Youtube

Es hört sich wie ein Urlaubsbericht an, wenn Eileen von ihrem ersten Mal erzählt. "Ich hatte das Gefühl, zwei oder drei Stunden am Strand spazieren gegangen zu sein." Doch die 15-Jährige war nicht in den Ferien, sondern in einer Art Rausch, der durch Sauerstoffmangel in ihrem Gehirn verursacht wurde. An einem langweiligen Abend beging das Mädchen aus Mönchengladbach-Rheydt eine riesige Dummheit: Sie spielte mit ihren Freunden ein Würgespiel.

"Ich habe mich hingehockt und tief durchgeatmet, eine Minute lang. Dann bin ich aufgestanden und jemand hat mir auf den Brustkorb gedrückt", erzählt die Gymnasiastin unserer Redaktion. Innerhalb eines kurzen Moments verlor sie das Bewusstsein, nach einigen weiteren Sekunden war sie wieder wach — konnte sich aber zunächst an nichts erinnern.

Ob Choking Game, Tomatenspiel, Pilotentest oder Bio-Kiffen - für das, was Eileen und ihre Freunde an jenem Abend machten, gibt es viele Namen. Fest steht: Es ist immer auch ein Spiel mit dem eigenen Leben — und es findet nicht nur auf deutschen Spielplätzen, sondern auch in Schulen und Kinderzimmern statt. Bei den so genannten Würgespielen "handelt es sich um ein relativ neues Phänomen", sagt der Schulpsychologe Karl Landscheidt.

Vor allem Internetportale wie Youtube verstärken die Verbreitung. Dort finden sich schockierende Videos von Jugendlichen, die scheinbar ahnungslos mit ihrer Gesundheit spielen. "Mach mich ohnmächtig, mach mich ohnmächtig", ruft ein Mädchen in einem Clip aufgeregt. Sie dreht sich schnell um ihre eigene Achse, zwei Freunde stellen sich zu ihr. Dann bleibt "Nessi" stehen und presst ihre Hand auf die Halsschlagader. Einen kurzen Moment später sackt sie bewusstlos zusammen. Auf dem verwackelten Handyvideo hört man im Hintergrund Lachen.

Doch diese bizarre Szene ist wahrlich kein Spaß. Immer mehr Kinder in Deutschland probieren das Würgespiel. Dabei führen sie wie "Nessi" selbst eine Ohnmacht herbei. Alternativ drücken ihnen Freunde mit einem Strick oder Ähnlichem den Blutzufluss in den Kopf oder die Luft ab. Dadurch ist das Gehirn für kurze Zeit ohne Sauerstoffversorgung, was bei Wiedererlangung des Bewusstseins zu einem kurzen, rauschartigen Zustand führt. Dieser Kick ohne Drogen hat Suchtpotenzial.

Erste Todesfälle in Deutschland

Die möglichen Folgen sind verheerend: In der Zeit ohne Sauerstoffversorgung sterben tausende Gehirnzellen ab. Wenn Kinder das Spiel allein ausprobieren und sie sich nach Einsetzen der Bewusstlosigkeit nicht mehr aus der Strangulation befreien können, kann es zu irreversiblen Gehirnschäden oder zum Tod kommen. Der Schulpsychologe Landtscheidt geht davon aus, dass die Heranwachsenden über die möglichen Folgen im Bilde sind. Allerdings neigten "Jugendliche dazu, mehr Risiken einzugehen als das Erwachsene tun" - gerade in der Gruppe.

In den USA, wo das Phänomen bereits seit längerer Zeit beobachtet wird, sind nach einer Erhebung der US-Behörde für den Schutz der öffentlichen Gesundheit CDC zwischen 1995 und 2007 82 Menschen gestorben. Die US-Selbsthilfeorganisation "Gasp" rechnet sogar mit bis zu 1000 Toten in den Vereinigten Staaten. Viele Todesfälle würden nicht als solche erkannt bzw. als Suizid abgetan. Auch in Frankreich ist das "Jeu de foulard" (Halstuchspiel) seit längerer Zeit bekannt. Das französische Gesundheitsministerium rechnet mit durchschnittlich einem Toten pro Monat.

Für Deutschland liegen keine Zahlen vor. Fest steht jedoch, dass dieses Spiel auch hierzulande zunehmend Verbreitung findet. "Das Thema Würgespiele erfüllt viele Eltern zunehmend mit Sorge, auch wenn es sich dabei um kein Massenphänomen handelt, wie wir vom Kinder- und Jugendtelefon wissen", sagt Paula Honkanen-Schoberth, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes. In Deutschland gibt es bereits die ersten Todesfälle zu vermelden. Im letzten Dezember sorgte der Tod eines 14-Jährigen aus Brandenburg für Aufsehen. Vor drei Monaten starb ein Schüler aus Celle. In beiden Fällen strangulierten sich die Jungen selbst.

Ahnungslose Eltern

Die Eltern der betroffenen Kinder sind zumeist ahnungslos. Dabei gibt es gewissen Zeichen, die auf das Würgespiel hindeuten. Blutunterlaufene Augen, Würgemale, Schmerzen im Kopf und in den Ohren sind typische Symptome. Auch Gegenstände, die sich zur Strangulation eignen, aber nichts im Kinderzimmer zu suchen haben, sollten zu Verdachtsmomenten führen.

In solchen Fällen rät Honkanen-Schoberth: "Es ist immer ganz wichtig, dass Eltern den Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen suchen und mit ihnen ruhig und besonnen sprechen." Außerdem sollte sie das Elterntelefon oder eine Beratungsstelle kontaktieren. Zudem sieht sie die Schulen in der Pflicht: "Das Thema sollte auch hier angesprochen werden."

"Bei Aids und Drogen gibt es jede Menge Aufklärung — warum nicht hier?" fragt sich Eileens Mutter Gaby Siewert. Sie erfuhr nur durch Zufall davon, dass ihre Tochter das Spiel ausprobiert hatte. Nun fürchtet die 42-Jährige, dass es wieder passieren könnte - mit schlimmen Folgen: "Ich möchte nicht nach Hause kommen und meiner Tochter nur noch den Schal abnehmen können."

Weitere Informationen sind auf der Seite des Schulministeriums NRW verfügbar.

(RPO)
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