Wie die Flüchtlinge Deutschland verändern Integration wird leichter als nach 1945

Düsseldorf · Wolfgang Kaschuba ist Direktor des 2014 gegründeten Berliner Instituts für empirische Migrations- und Integrationsforschung der Humboldt-Universität. Er glaubt, dass die Integration der Flüchtlinge funktionieren kann.

Flughafen Köln/Bonn: Erschöpfte Flüchtlinge
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Erschöpfte Flüchtlinge am Flughafen Köln/Bonn

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Foto: dpa, fg

Herr Kaschuba, wie schätzen Sie den Flüchtlingszustrom in Relation zu früheren Wellen etwa von Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg oder durch Gastarbeiter ein?

Kaschuba Deutschland ist seit mindestens drei Jahrhunderten ein Migrationsland. Millionen Menschen sind ausgewandert, Millionen Menschen sind eingewandert. Diese Erfahrung haben wir vielfach vergessen, weil Deutschland sich lange als nationales Gebilde mit ethnisch homogener Bevölkerung verstehen wollte. Was die Vertriebenen 1945 betrifft, sprechen wir über Menschen, die oft gar keinen deutschen Pass besaßen und auch kulturell oft "fremd" daherkamen. So wurden sie als Fremde empfangen und empfunden. Wenn in bayerische Dörfer, die vorher rein katholisch waren, massenweise Protestanten einzogen, hatten die Bewohner ganz ähnliche Gedanken, wie wenn heute von der Furcht vor Islamisierung die Rede ist. Die Integration geschah also unter materiell wie kulturell schwierigsten Umständen und gelang erst allmählich. Querheiraten als markanter Indikator werden erst ab den 60er Jahren üblich. Die Gastarbeiter treffen dann bereits auf eine offenere Gesellschaft: Auch nach den nun massenhaften Italienurlauben einigt man sich schnell auf Pizza und Pasta als gemeinsame Leidenschaft. Dennoch wird auch da gewarnt vor den vielen fremden jungen Männern, die deutsche Frauen bedrängen könnten. Sie merken: Kaum ein Argument, das heute gegen Flüchtlinge vorgebracht wird, ist wirklich neu.

Also sind die Einwanderungswellen vergleichbar?

Kaschuba In der Form ja, aber: Jeweils zehn bis 14 Millionen Vertriebene und Gastarbeiter bedeuten, dass wir gegenwärtig über eine weit geringere Dimension sprechen. Was die gesellschaftlichen Aufwendungen angeht, erleben wir nichts, was wirtschaftlich und sozial nicht zu bewältigen wäre — gewiss unter Anstrengungen. Die Menschen, die kommen, sind auch kulturell ja keineswegs zu 100 Prozent "anders", weil sie wie wir auch unterschiedlich sind. Manche kommen aus Armut, manche aber hatten ein Eigenheim, manche sind sogar besser ausgebildet als der Durchschnittsdeutsche.

Aber einen Wandel für das Leben in Deutschland bedeutet die Zuwanderung gleichwohl.

Kaschuba Zuwanderung bedeutet immer Wandel auf beiden Seiten, und jede Bewegung schafft auch Irritationen. Wir wollen in unserem Vorgarten Ordnung haben. Also wird erst einmal gebellt, bevor man ins Gespräch kommt. Und der Mensch sucht Ähnlichkeiten, so sind wir genetisch gestrickt. Das können wir uns nicht einfach von heute auf morgen abgewöhnen. Wohl aber können wir lernen, mit dem eigenen Kopf gegen den Bauch zu arbeiten und auch die positiven Effekte von Veränderung zu sehen. Unsere Stadtkulturen sind so entstanden: durch Zuwanderung! Und sie haben sich immer weiter verändert, und die Menschen lieben das heute und loben die Vielfalt.

Kann Zuwanderung auch dazu führen, sich stärker auf eine sehr traditionell geprägte Leitkultur zu besinnen?

Kaschuba Solche Effekte wird es geben. Integration ist kein linearer Prozess. Er kippt nach links und nach rechts. Entscheidend ist die Balance. Natürlich gibt es da unmittelbare Gefahren: das rechtspopulistische Denken, der Hang zu homogenen Wir-Bildern. Es liegt an Politik, Wissenschaft und Medien, bestimmte Hass- und Feindbilder aktiv als illegitim und illegal zu markieren. Ausländerfeindlichkeit muss an die Ränder abgedrängt werden, damit Integration die Mitte der Gesellschaft besetzt.

Für wie gefährlich halten Sie die Bewegung und den rechten Protest?

Kaschuba Die Grenze von Hetze zur Gewalt wurde bereits überschritten: Kleine Gruppen wollen mittels Gewalt das Leben aller in Deutschland kontrollieren. Gewaltaufrufe und Brandanschläge sind blanker Terrorismus. Auf jedem anderen Feld würden wir das auch so nennen. Natürlich sind Brandstiftungen erst einmal Taten von Einzelnen, aber sie geschehen in einem Milieu, in dem sie sich als Botschaften des "gesunden Volksempfindens" fühlen. Denn das will der Mob auf der Straße verkörpern, auch er durch Drohung und bereits mit Mitteln der organisierten Kriminalität. Man kann Landräte und Bürgermeister nicht mehr verstehen, wenn sie in solchen Fällen lediglich von "Asylgegnern" sprechen. Da sammelt sich auf ihren Straßen oft ein wirklich "asozialer" Mob, der egoistisch und autistisch Interessen durchsetzen will. Und das macht Menschen, die anders aussehen und denken, das Leben in manchen Regionen Deutschlands gegenwärtig fast unmöglich. Nebenbei: Es ist eine interessante Frage, wie viele Familienangehörige der Leute, die abends in Dresden "pedigieren", selbst Migranten in der Familie haben: Kinder in der Konditorlehre in Flensburg oder als Medizinstudentin in Wien.

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(RP)
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