Karneval Wo Altweiber erfunden wurde

Bonn (RP). Heute erobern wieder tausende Frauen die Rathäuser der Region. Vor genau 182 Jahren feierten die Damen zum ersten Mal Weiberfastnacht - als weibliche Karnevals-Revolution. Und das alles nur, weil die feine Herrschaft aus Köln ihre Kleidung in Bonn waschen ließ.

 Altweiber ist der klassische Auftakt für den Straßenkarneval.

Altweiber ist der klassische Auftakt für den Straßenkarneval.

Foto: Archivfoto: Andreas Bretz

Wenn Präsidentin Evi Zwiebler (52) heute ihren großen Karnevalswagen besteigt, hat Ehemann Karl-Heinz seinen festen Platz - ein Stockwerk tiefer. "Er steht unten im Wagen und hilft, die Kamelle raufzuschleppen, die ich von oben werfe." Evi Zwiebler weiß mit Männern umzugehen: Sie leitet als Obermöhne und Präsidentin des Alten Beueler Damenkomitees seit mittlerweile sieben Jahren den Sturm auf eben jenes Rathaus, in dem die Wiege der Weiberfastnacht steht: Bonn-Beuel.

"Anfang des 19. Jahrhunderts war Beuel noch ein Wäscherdorf, in dem reiche Leute aus Köln ihre Kleider reinigen ließen", erzählt Evi Zwiebler. Damals waren die Frauen fürs Waschen zuständig, die Männer erledigten den Transport. 1823 schipperten die Beueler Herren mit der sauberen Wäsche über den Rhein Richtung Domstadt - und gerieten prompt in den ersten offiziell organisierten Karnevalsumzug.

Ein Jahr später, heute vor 182 Jahren, legten die Herren mit ihrer Lieferung wieder am Donnerstag ab, diesmal in der Hoffnung auf ein paar tolle Tage. "Die Frauen daheim dachten sich: Wenn die Männer in Köln feiern, können wir das auch in Beuel. Sie hörten auf zu arbeiten und versammelten sich. Heute würde man das wohl Kaffeeklatsch nennen", sagt Evi Zwiebler.

Aus dem harmlosen Karnevalskränzchen der Wäscherinnen entwickelte sich bald die erste echte Damensitzung. "In Sketchen und Schauspielen wurden die Männer auf die Schippe genommen - vor allem diejenigen, die fremdgegangen waren. Wer das war, sprach sich im Ort natürlich herum. So hatte das Ganze noch einen erzieherischen Charakter", meint Zwiebler. Doch auch die sozialen Sorgen der Frauen - die harte, körperliche Arbeit oder Probleme bei der Kindererziehung - wurden in den Sketchen thematisiert.

Im Frühjahr 1949 griffen die Beueler Wäscherinnen schließlich zu drastischeren Mitteln im Kampf um die Emanzipation des Karnevals. Bewaffnet mit Kochlöffeln und Waschknüppeln stürmten die Damen am Donnerstag das Rathaus. Der damalige Bürgermeister ergab sich schnell, als er die Meute sah.

"1958 erfanden die Beueler Frauen dann die Symbolfigur der Wäscherprinzessin. Man dachte, ein junges, hübsches Mädchen könne die Herren im Rathaus besser betören als die alten Möhnen", erzählt Evi Zwiebler. Fortan führten Mitarbeiterinnen der örtlichen Wäschereien gemeinsam mit der jeweiligen Obermöhne den Altweibersturm an.

In diesem Jahr steckt Melanie II. in dem traditionellen dunkelblau-weißen Reifrock und trägt das Wäscher-Häubchen auf den kurzen schwarzen Haaren. Die beiden Wäscherinnen Alexandra und Anna-Maria begleiten die Prinzessin mit dem Nasen-Piercing durch die Session. Die 23-jährige Arzthelferin Melanie Groll tanzt seit fast 18 Jahren im Damenkomitee "Nixen vom Märchensee" - nach einem Gewässer im Bonner Stadtteil Oberkassel. Ihr Motto für die aktuelle Prinzessinnen-Session lautet daher: "Soll Fastelovend wie em Märche sein, komm zo de Beueler Wiever hin!"

Traditionell ziehen Wäscherprinzessin Melanie II. und Obermöhne Evi Zwiebler - dem Motto gerecht als Zauberfee verkleidet - heute vor das Beueler Rathaus. Eigentlich hätten die Damen und ihr Gefolge dort leichtes Spiel: "Denn die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann stellt sich schnell auf die Seite der Prinzessinnen", erklärt Karnevalspräsidentin Zwiebler, eigentlich Leiterin des Einwohner- und Standesamtes. Bleiben aber noch drei Bonner Bürgermeister und ein Bezirksvorsteher, die den sanierungsbedürftigen Altbau verteidigen.

Evi Zwiebler allerdings kennt den Regieplan und damit auch den Ausgang des heutigen Altweibers im historischen Bonn-Beuel: Der Bezirksvorsteher wird in einem Froschkostüm stecken und kurzerhand in einen Prinzen verwandelt werden. Die drei Bürgermeister dürfen einen Blick in Zwieblers Kristallkugel - einen großen, transparenten Luftballon - werfen: Darin erscheinen die seit langem geplante, neue Rheinbrücke, das sanierte Rathaus und der ersehnte moderne Bahnhofsvorplatz. Und während die Herren Kommunalpolitiker vor Begeisterung das Rathaus verlassen, um genauer in die Zukunftskugel zu blicken, erobern die Damen den Balkon, prophezeit Evi Zwiebler. "Dann ist es wie immer: Die Männer stehen da wie die Deppen."

(Rheinische Post)
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