Reformationsjubiläum 2017 Mission Luther

Wittenberg · Das Reformationsjubiläum 2017 steht vor der Tür, die Vermarktungsmaschine läuft heiß. Luther ist überall. Was aber das Gedenken jenseits der Festivitäten bedeutet - da bleibt die Kirche vage. Die Antworten könnten unangenehm sein.

 Martin Luther.

Martin Luther.

Foto: Stiftung Luthergedenkstätten Sa

Fünf vor zwölf! Morgen in zwei Jahren, am 31. Oktober 2017, jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen gegen den Ablasshandel durch Martin Luther. Endspurt auf dem Weg zum Reformationsjubiläum. Nur nicht in Wittenberg, da sind sie schon fünf Minuten weiter. Seit Monaten zeigt die Turmuhr der Stadtkirche St. Marien am Markt Punkt zwölf, die Zeiger stehen wie festgenagelt. Die Uhr wird generalüberholt.

Im "Lutherland", wie sich das Kerngebiet der Reformation zwischen Elbe, Harz und Thüringer Wald gern nennt, ist man schon ganz im 2017er-Modus. Hier hat es sozusagen schon zwölf geschlagen. Die Schlosskirche, an deren Tür Luther seine Thesen genagelt haben soll, ist noch Baustelle, aber ansonsten luthert es heftig - nicht nur in Wittenberg. Sanierungen werden abgeschlossen, die ersten Ausstellungen an historischer Stätte wie dem Torgauer Schloss schließen bereits wieder. Vor allem läuft die Vermarktungsmaschine heiß. Es gibt Lutherbier, Lutherbrot, Lutherwein, einen Lutherwanderweg, Lutherlutscher, Luther-Kartenspiele, Luthersocken, ein Luther-Oratorium, Luther grüßt an der Autobahn und als Playmobil-Figur.

Das ist weniger evangelische Heiligenverehrung als hemmungsloses Merchandising. "Lutherland" nähert sich dem Jubiläum vor allem kulturell-touristisch. Wenn in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von "Klebeeffekten" die Rede ist, also von Erträgen über 2017 hinaus, dann geht es meist um Infrastruktur oder Hotelkapazitäten. Geistlich bleibt der Ausblick vage, selbst seitens der Institution, die ihre Existenz überhaupt erst den Ereignissen vor 500 Jahren verdankt.

2014 lenkte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit dem bemerkenswerten Grundlagentext "Rechtfertigung und Freiheit" den Blick wieder auf Reformatorisch-Grundsätzliches: Sünde, Schriftauslegung, Erlösung. Im profanen Alltag (Wittenberg hat noch elf Prozent Protestanten und vier Prozent Katholiken) dürften Grundsatzpapiere auf wenig Begeisterung treffen, aber auch die Übersetzung ins Konkrete vor Ort jenseits der Festivitäten bleibt nebulös. Margot Käßmann, die "Reformationsbotschafterin" der EKD, scheint sich vor allem um gute Stimmung zu bemühen. Wer sie fragt, welcher geistliche Impuls von 2017 ausgehen könne, der hört: Man möge "Gott neu wahrnehmen" und "wagen, den Glauben neu zu leben", mit dem "Mut, nach vorn zu schauen". Klingt wie in ihren Büchern: nett, richtig und ein bisschen banal.

Natürlich weiß man auch bei der EKD, dass nach 2017 keine Eintrittswelle der Neubekehrten zu erwarten ist. Aber auch eine Debatte um Konsequenzen der Entchristlichung findet höchstens am Rande statt. Im Vordergrund steht etwa bei Käßmann eindeutig der Kirchentag 2017 in Berlin, der teils in Wittenberg stattfinden wird, inklusive zehn Jugendcamps und "Weltausstellung Reformation".

Die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann, eine gebürtige Württembergerin, spricht immerhin vom Christsein als Provokation und davon, 2017 biete auch Raum für den Blick auf das "politische Interesse des Kampfs gegen Religion", sprich: die DDR. "Die in der Kultur der Verächtlichmachung aufgewachsen sind, sollen sehen: Da ist doch was dran", sagt Junkermann. Für evangelische Verhältnisse ist das schon fast ein Missionsaufruf. Damit aber hat man's bei den Protestanten nicht so. Schon beim Kirchentag 2011 in Dresden war Mission (oder moderner: Neuevangelisierung) kaum ein Thema.

Die wachsende Unduldsamkeit gegenüber kirchlich organisierter Religion mag einen weiteren Teil der geistlichen Zurückhaltung erklären. Öffentliche Kofinanzierung kirchlicher Großereignisse etwa ist nicht nur im Osten immer schwieriger zu vermitteln - die Stadt Münster hat es abgelehnt, den Katholikentag 2018 mit 1,2 Millionen Euro zu unterstützen. Die Werbung für das Reformationsjubiläum aber lässt sich der Staat Geld kosten: Die Geschäftsstelle "Luther 2017" wird von Bund und Ländern getragen.

Die Kirche wird zwar als Bildungsanbieterin und wegen ihres kulturellen Erbes geschätzt, aber nicht als Partnerin des Staates. Eine striktere Trennung, das zeigen Umfragen, erscheint vielen gerade im Osten zeitgemäßer. Im "Lutherland" fällt das umso mehr auf, als doch die Kirche maßgeblich am Zusammenbruch des DDR-Regimes beteiligt war. Aber erstens ist Dankbarkeit keine politische Kategorie, und zweitens, sagt Josef Freitag von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt: "Vielleicht war hier die Allianz zwischen Thron und Altar enger als anderswo. Wenn man dann vom einen enttäuscht ist, ist das andere gleich mit betroffen."

Das deutsche Religionsverfassungsrecht mit seinem Partnerschaftsverhältnis zwischen Kirche und Staat könnte deshalb sogar hinderlich sein, um Luther dem Volk wieder nahezubringen. Und eine klare Profilierung sehen unter diesen Prämissen selbst engagierte Christen skeptisch. Für Reiner Haseloff, katholisch, CDU-Mitglied, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ("Einen Sonntag ohne Gottesdienst würde ich nicht aushalten"), lautet die klare Konsequenz: "Kirchliche Großveranstaltungen müssten aus kirchlichen Mitteln dargestellt werden." Sechs Millionen Euro aus dem Landeshaushalt konterkarierten den Konsolidierungskurs - und: "Die Kirche provoziert damit Diskussionen. Wenn man ein Angebot staatlich subventionieren lässt, ist es politisch diskreditierbar."

500 Jahre nach dem Streiter Luther also schwammige Konfliktunlust als Preis des angenehmen Miteinanders? Kirchentagsbesuchern dürfte das bekannt vorkommen. In dieser Perspektive bekommt 2017 im "Lutherland" eine heikle Dimension. Bisher hat die Kirche die Debatte nicht entschieden angenommen. Margot Käßmann jedenfalls spricht lieber von Konkretem: "Ich werde den ganzen Sommer der Reformation über in Wittenberg stehen und jeden, der kommt, mit Handschlag begrüßen."

(fvo)
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