Mädchen auf Rügen verschüttet Wird die Suche wieder aufgenommen?

Kap Ankona · 20 Stunden haben Retter am Dienstag nach einem zehnjährigen Mädchen gesucht, das an den Rügener Kreidefelsen unter 3000 Kubikmeter Geröll verschüttet wurde. Ursache für den Abrutsch der Gesteinsmassen ist vermutlich lang anhaltender Regen. Am Dienstag wurde sie Suche abgebrochen, nun hoffen die Retter auf besseres Wetter und wollen prüfen, ob die Suche wieder aufgenommen wird.

Chronologie der Steilküstenabbrüche auf Rügen
Infos

Chronologie der Steilküstenabbrüche auf Rügen

Infos
Foto: dapd, Jens Koehler

Für Freitag habe der Vize-Landrat von Vorpommern-Rügen, Lothar Großklaus (CDU), zu einer Beratung an der Unglückstelle eingeladen, sagte Putgartens Bürgermeister Ernst Heinemann am Mittwoch .

"Wir hoffen, dass mit dem Nordoststurm ein Großteil der Kreide vom Hochwasser weggespült wird und damit bessere Chancen für eine erneute Suche am Strand gegeben sein werden." Das Gelände an der Absturzstelle sei abgesperrt und werde von der Polizei bewacht. Für Samstag ist eine Sturmwanderung mit Gedenkminute geplant.

Unter Kalkstein begraben

Das Kind aus Nordbrandenburg liegt unter einer bis zu drei Meter hohen, betonharten Schicht aus Mergel und Kalkstein begraben. Hoffnungen, dass sich Hohlräume gebildet haben könnten, in denen das Kind den Felssturz vielleicht überlebt hätte, gibt es nach Ansicht von Experten nicht.

Am Dienstag um die Mittagszeit, muss der stellvertretende Landrat Großklaus (CDU) mitteilen: "Es wird nicht mehr gesucht. Die technischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft."

3000 Kubikmeter Gestein

Das Mädchen war mit seiner Mutter und seiner 14-jährigen Schwester zu einem Strandspaziergang am Kap Arkona im Norden der Insel aufgebrochen. Gegen 15.30 Uhr lösten sich in 30 Meter Höhe 3000 Kubikmeter Gestein und stürzten auf die Spaziergänger herab. Kurz danach wurde bei den Feuerwehrleuten in der Region Alarm ausgelöst. Als die Retter am Unglücksort eintrafen, fanden sie auf einem Uferfelsen die schwer verletzte und unter Schock stehende Mutter. Neben ihr stand, halb im Wasser, die weinende leicht verletzte 14-Jährige. Vermutlich hatten die Geröllmassen die beiden ins Meer gerissen. Mit einer Trage mussten die Frauen die mehr als 200 Stufen zum Insel-Plateau hinaufgetragen werden.

Die Suchaktion nach der vermissten Zehnjährigen war extrem schwierig, weil der Strandabschnitt von der Straße aus für schweres Räumgerät nicht zugänglich war. Notstrom-Aggregate, Scheinwerfer, Kabeltrommeln: Alles musste die Stufen zur Unglücksstelle hinuntergeschafft werden. Ein Amphibienfahrzeug mit Baggerschaufel konnte vom Wasser aus nur wenig gegen die Gesteinsmassen ausrichten. Auch der Einsatz eines Hubschraubers mit Wärmebildkamera und einer Hundestaffel ergab keinen Hinweis auf die Stelle, an der das Mädchen begraben worden sein könnte. Als schließlich in der Nähe der Abbruchstelle neue Risse in den weißen Felsen entdeckt wurden, zog Lothar Großklaus die 160 Helfer vom Unglücksort ab.

Eine richtige Entscheidung, findet Professor Matthias Meschede, Geologe an der Universität Greifswald. "Die Gefahr ist sehr groß, dass es dort zu weiteren Abbrüchen kommt", sagt der Experte, der die Kreidefelsen eingehend erforscht hat. Ursache für den Abrutsch der Gesteinsmassen sei vermutlich lang anhaltender Regen. Auf dem Wasser gerate das Gestein wie auf Schmierseife ins Rutschen. Das sei ein natürlicher Prozess, dem die Kreidefelsen ihre charakteristische Gestalt verdankten. "Vor etwa hundert Jahren hat man an einer Stelle versucht, den Abbruch mit einer Mauer zu stoppen. Dort gibt es jetzt keine Steilküste mehr."

Auch von Absperrungen hält der Wissenschaftler nichts: "Bei 600 000 Touristen pro Jahr und einem 15 Kilometer langen Küstenabschnitt wäre die Einhaltung eines solchen Verbots praktisch nicht durchzusetzen."

Fünf tödliche Unfälle

Innerhalb der vergangenen 110 Jahre habe es fünf tödliche Unfälle durch Felsabbrüche gegeben. Zuletzt war 2005 eine junge Berlinerin beim Muschelsuchen von herabstürzenden Felsen erschlagen worden. Im gleichen Jahr stürzten auch die mehr als 20 Meter hohen "Wissower Klinken" ein, die angeblich den romantischen Maler Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) zu seinem Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" inspiriert hatten.

Vor drei Jahren löste sich nur ein paar Hundert Meter vom aktuellen Unglücksort entfernt ein Küstenabschnitt am Wall vor Arkonas berühmter slawischer Tempelburg. Die Gemeindeverwaltung ließ darauf hin einen über die Klippen führenden Wanderweg um zehn Meter zurücklegen und Warnschilder am Strand aufstellen. Die wurden bald zu Souvenirs für Spaziergänger. Die Polizei hat das Gelände inzwischen komplett abgesperrt.

Gestern Morgen beschloss der kurzfristig einberufene Gemeinderat, das traditionelle Höhenfeuerwerk am Kap zum Silvesterabend abzusagen. Man könne so kurz nach diesem Unglück nicht einfach zum ausgelassenen Feiern übergehen, sagte Bürgermeister Ernst Heinemann (Bündnis für Rügen): "Wir müssen vielleicht ein anderes Verhältnis zur Natur gewinnen. Dazu gehört, dass die Steilküste eben nicht mehr zu jeder Jahreszeit betreten werden kann."

(RP/pst/chk/apd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort