Radfahren im Winter Dieser Weg wird kein leichter sein

Düsseldorf · Auch im Winter fährt unser Autor täglich anderthalb Stunden mit dem Rad zur Arbeit und zurück. Kälte, Frost und Regen: neuerdings egal. Ist er verrückt?

 Unser Autor auf dem Weg nach Hause

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Foto: Christoph Reichwein (crei)

Ich könnte von den Dingen berichten, die Sie hören wollen. Das Wetter zum Beispiel. Die Leute reden sowieso ständig übers Wetter, dann erst Recht jemand, der jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fährt, sogar im Winter. Mönchengladbach, Düsseldorf, Mönchengladbach. 25 Kilometer hin, 25 Kilometer zurück. Kein Dach, kein Fenster, keine Heizung schützt mich vor der Welt.

Bloß ist das Wetter beinahe kein Thema mehr für mich. Regen ist wirklich nicht so schlimm. Im Rheinland schüttet es sowieso selten, eher nieselt es. Dagegen habe ich mir Regenjacke, Regenhose und Überzieher für die Schuhe gekauft. Seitdem hat Regen für mich aufgehört zu existieren. Kälte, auch in Form von Frost, ist so beherrschbar wie Regen. Mehrere dünne Schichten Kleidung, eine davon winddicht, Skiunterwäsche, Winterschuhe. Den Rest regelt die Körperwärme.

Okay, Schnee kann für ernsthafte Probleme sorgen. Einmal bin ich sogar umgekehrt und habe das Auto genommen. Aber wann schneit es hier schon mal? Falls doch, dann ist es nicht der frische, unberührte Schnee, der mir Sorgen macht. Durch den fahre ich wie durch Federn. Blöd ist, wenn andere vor mir dort waren. Dann wird aus Schnee Eis, und es hilft nur noch beten und nicht lenken und nicht bremsen. Das Problem ist nicht der Schnee, es sind die Menschen. Auch die, die den Schnee nicht wegräumen.

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Foto: dpa-tmn/Felix Kästle

Davon könnte ich Ihnen natürlich auch erzählen. Von der Ungleichbehandlung von Radweg und Straße in Deutschland. Die ist zwar ein Klischee, aber eines, das stimmt. Während Schnee bereits einen halben Tag später kein Thema mehr für Autofahrer ist, fahren Radfahrer noch tagelang in einer anderen Klimazone. Jeder schneeweiße Radweg ist ein langgezogenes „Du bist mir völlig egal, Drahteseldepp!“ Zuverlässig räumt bloß Tauwetter die Wege. Ich fuhr mal über einen Radweg, der zwei Tage so vereist war, dass ich mein Rad lieber schob. Zwei Meter weiter rasten die Autos an mir vorbei. Meine Wut wuchs ins Unendliche. Als ich den Fahrradständer auf dem Firmengelände erreichte, erwartete ich, dass die Kollegen mit Kuchen auf mich warteten und applaudierten.

Wenn der Schnee fort ist, ist der Radweg leider noch da. Ich weiß, immerhin ist da ein Radweg ab Kilometer zwei, aber da sind auch Baumwurzeln, die den Asphalt zu Gebirgen in die Höhe drücken, Risse, Löcher, Kanten an vermeintlich abgesenkten Bordsteinen. Es gibt Radwege, die sich am Rand auflösen, auf einem Stück wächst über die ganze Breite Gras. An einer Bundesstraße, die neulich ausgebessert wurde, warnt ein Schild seit Monaten vor Radwegschäden. Warum werden Radfahrer bestraft, als wären sie es, die die Luft vergiften?

Ich könnte auch vom größten Übel erzählen, darauf warten Sie doch die ganze Zeit. Dass ich endlich auf die anderen Verkehrsteilnehmer zu sprechen komme.

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Foto: dpa, loe

Ich kenne die Geschichten über Radfahrer, die sich wie die größten Idioten benehmen, aber an anderen Radfahrern stört mich am meisten, dass sie mir meine Einzigartigkeit nehmen. Fußgänger ignorieren die Existenz von Radwegen. Es wird den Kindern bloß beigebracht, an einer Straße nach links, rechts und noch mal links zu schauen. An Radwegen gilt das nicht. Sie gelten sowieso als linke Spur des Bürgersteigs. Klar, die Radwege sind rot gepflastert oder mit einem Schild versehen, scheinen die Leute zu denken, aber mein Gott, von so einem Zusammenstoß stirbt ja keiner!

Ich könnte, müsste von den Autofahrern erzählen. Autofahrer und Radfahrer, das ist wie Israel und Palästina. Waffenstillstand ist möglich, Frieden nicht. Autofahrer, so viel traue ich ihnen zu, wissen, wie ein Zusammenstoß enden kann. Doch auch sie vergessen regelmäßig, dass ich existiere. Ich habe Licht, es funktioniert, ich trage eine Warnweste, aber niemals sollte ich davon ausgehen, dass ein Rechtsabbieger mein Geradeausfahren beziehungsweise so ganz grundsätzlich mich zur Kenntnis nimmt. Einmal unterstellte ich einem Autofahrer sogar, seine eigene rote Ampel nicht zu sehen, und stoppte. Zu Recht. Er hätte mich sonst in dem Tempo mitgenommen, das man so drauf hat, wenn man gerade mal schnell abbiegen möchte. Einmal fuhr ein Autofahrer zunächst von der Straße auf den Radweg und zwang mich zu bremsen. Dann parkte er auf dem Fußgängerweg, öffnete die Fahrertür und versperrte mir damit erneut den Weg. Auf Verstöße grober Art reagiere ich mit der immergleichen rüden Geste. Ich bin ein gesetzestreuer Radfahrer, aber kein angenehmer. Die Härte der Straße hat mich zu eigener Härte gezwungen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Autofahrer auf dem Radweg parken, für fünf Minuten oder eine ganze Nacht, erzeugt in mir ein Gefühl, das mit Berserkerwut noch unzureichend beschrieben ist. Die Rechtslage ist eindeutig.

Doch wozu sollte ich davon erzählen? Warum immerzu über das Schlechte in der Welt schreiben? Denn ich fahre ja trotzdem, und da wird es interessant: Warum bitteschön? Obwohl alle äußeren Umstände rufen: Dreh um! Nimm das Auto! Geh von mir aus zu Fuß, aber nimm auf keinen Fall das Rad! Hörst du?

Gerne würde ich sagen, es ist wegen der Umwelt. Zwar gibt es mir ein gutes Gefühl, nicht zur Verschmutzung der Lüfte beizutragen – diese moralische Überlegenheit gegenüber dem Autofahrer ist eine der besten Überlegenheiten, die es gibt – aber niemals ist dieses Gefühl so stark, dass es mich jeden Tag aufs Rad treibt. Schon gar nicht morgens um sieben.

Gesund ist das Radfahren selbstverständlich auch, für den Kopf sowieso. Aber ich kann nicht mal behaupten, dass ich schlanker geworden bin. Gerade weil ich täglich fahre, fühle ich mich dazu berechtigt, alles in mich hineinzuschaufeln.

Wenn es nicht so geil wäre, würde ich es nicht machen. Keine Art der Fortbewegung gibt dem Menschen eine größere Freiheit als das Radfahren. So fing bei mir alles an vor anderthalb Jahren. Mein Auto war in der Werkstatt, wieder mal, Ursache unbekannt, wochenlang. Ich wusste, mit Bus und Bahn würde es auch mehr als eine Stunde dauern, da konnte ich ja gleich… Und dann nahm ich eben das Rad, das ich sowieso viel zu wenig fuhr, obwohl ich das Radfahren doch so mochte. Und als das Auto repariert war, ließ ich es stehen. Wie hatte ich geschworen, jedes Mal, wenn ich im Stau stand, dass ich nun aber wirklich aufs Rad wechselte. Nun tat ich es. Die große Freiheit.

Sogleich werden die Wanderer protestieren: Ja, aber… Liebe Wanderer, klar, ihr braucht nicht einmal ein Fahrrad, aber wofür ihr einen halben Tag braucht, das schaffe ich in einer Stunde. Die Freiheit der Reichweite ist euch fremd.

Sogleich werden auch die Motorradfahrer protestieren: Ja, aber… Liebe Motorradfahrer, klar, ihr schafft es an einem Tag ans Meer, aber ihr braucht dafür dieses teure Ding, regelmäßig eine Tankstelle, 10.000 Einzelteile warten darauf, nicht mehr zu funktionieren und euer Krafteinsatz besteht aus ein wenig Füße und Hände bewegen. Eure Freiheit stellt so viele Bedingungen, meine sagt: Es hängt bloß an dir allein. Nicht der Gegenwind entscheidet, ob ich absteige, sondern ich. Jeder Meter, den ich vorankomme, ist mein Meter. Und einen Plattfuß können selbst Kinder flicken. Das ist ja einer der Gründe, warum ich mich so aufrege, wenn ein Auto mir heute in die Quere kommt. Die Freiheit ist die Belohnung für die Anstrengung, so ist der Deal, und die soll mir niemand nehmen.

Mit euch, liebe Segelflieger, Bootsbesitzer, Reitenthusiasten und Cabriofahrer, diskutiere ich erst gar nicht.

Frühling kann jeder. Aber Winter? Ja, gerade Winter. Halb acht, und die Kälte peitscht mir die Müdigkeit aus dem Gesicht. Unter der Jacke ist alles warm, mein Tritt regelmäßig. Links von mir die Landstraße mit den im Blech eingesperrten Menschen, rechts die Felder. Ich blicke nach oben. Die Sonne ist kurz davor aufzugehen und der Himmel bereits end- und wolkenlos blau. Ich fahre gar nicht ins Büro, ich fahre in dieses Blau hinein. Kein Dach, kein Fenster, keine Heizung trennt mich von der Welt. Mein einziger Antrieb bin ich und solange der da ist, so lange ich jeden Morgen auf dieses Rad steige und mich gegen die Umstände behaupte, kann es doch alles so schlimm nicht sein. In diesen Momenten brauche ich sonst nichts, nichts und niemanden. Ich bin allein, aber es fühlt sich nicht so an.

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