„Reife Scheidung“ Warum die Zahl der Trennungen im fortgeschrittenen Alter steigt

Düsseldorf · Die Gottschalks lassen sich nach mehr als 40 Jahren Ehe scheiden. Das ist kein Einzelfall. Die Zahl später Trennungen steigt. Das hat mit längerer Lebenserwartung zu tun. Und mit neuen Ansprüchen an das Leben.

 Immer mehr Eheleute entscheiden nach vielen Ehejahren, getrennte Wege zu gehen.

Immer mehr Eheleute entscheiden nach vielen Ehejahren, getrennte Wege zu gehen.

Foto: dpa, ppl vfd lof

Da sind also der berühmte Show-Moderator mit dem ewigen Lausbubencharme und seine leicht resolut wirkende, modisch eigenwillige Frau. Mitten im eitlen Unterhaltungsgeschäft halten sie aneinander fest, sind ein vorbildliches Ehepaar, bleiben über 40 Jahre verheiratet – und verkünden nun doch, dass es zu Ende ist. Scheidung nach so langer Ehe? Immer mehr Paaren geht es wie den Gottschalks.

Die durchschnittliche Dauer von Ehen bei der Scheidung steigt seit Jahren. Knapp 18 Prozent aller Paare, die 2017 geschieden wurden, waren 25 Jahre oder länger verheiratet. Das sind etwa doppelt so viele Spätscheidungen wie noch vor 25 Jahren. Im Durchschnitt blickten die 2017 geschiedenen Paare auf 15 Jahre Ehedauer zurück. Vor 25 Jahren waren es im Schnitt nur etwas mehr als elf Jahre. Scheidungen nach der Goldhochzeit waren eine Seltenheit.

Natürlich hat das mit der gestiegenen Lebenserwartung zu tun. 60-Jährige haben heute noch ein Vierteljahrhundert Lebenszeit vor sich, das sie in der Regel bei guter Gesundheit auch gestalten können. Da sinkt die Bereitschaft, festgefahrene Verhältnisse einfach weiter zu erdulden. Außerdem sind Scheidungen gesellschaftlich nicht mehr geächtet, auch Menschen, die spät aus einer Partnerschaft ausbrechen, müssen nicht mehr mit Stigmatisierung leben wie in früheren Jahrzehnten. Meist sind es heute Frauen, die in einer gescheiterten Partnerschaft die Konsequenzen ziehen und eine Trennung vorantreiben. Auch das mag mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängen. Heute sind Frauen finanziell unabhängiger und weniger bereit, Glück und Selbstverwirklichung für die Familie zu opfern.

Es hat also mit dem hohen Stellenwert individualistischer Werte zu tun, dass Menschen sich auch im letzten Lebensdrittel für eine Scheidung entscheiden. Sie haben in jungen Jahren gelernt, selbst etwas aus ihrem Leben zu machen, und diese Eigenverantwortung ihren Kindern gepredigt. Nun wenden sie diese Maxime auch im eigenen Alter an.

Die Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello von der Universität Bern hat 1100 Spätgeschiedene in einer Langzeitstudie über viele Jahre hinweg immer wieder befragt. Dabei zeigte sich, dass das Hauptmotiv für späte Trennungen Entfremdung ist. Entweder hatten die Befragten das Gefühl, der Partner und sie hätten sich auseinander gelebt. Oder sie fühlten sich gefangen im ewigen Trott einer Ehe, die völlig festgefahren war. Daneben sind auch neue Liebesbeziehungen eines Ehepartners oder Krankheiten Gründe für späte Trennungen. „Heute gehört es dazu, dass Menschen in allen Altersphasen an biografischen Übergängen bilanzieren und sich fragen, wie sie ihr Leben weiter gestalten sollten“, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, „sich für den Partner oder die Familie aufzuopfern, ist heute kein Ideal mehr.“

Diese Politiker-Ehen sind gescheitert
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Karl-Heinz Silz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht in Goch, macht in seiner Praxis die Erfahrung, dass gemeinsame Kinder Paare zusammenhalten. „Wenn die Kinder erwachsen werden und die Familie verlassen, verschwindet ein Fixpunkt“, so Silz, „die Eltern müssen neue Strukturen finden und beginnen, sich wieder mehr mit sich selbst zu beschäftigen.“ Dann steht am Ende der Selbstbefragung manchmal die Sehnsucht nach einem Neuanfang – ohne den Partner. In der Beratung spielt für den Anwalt das Alter der Betroffenen keine große Rolle. Einziger Unterschied ist der Anspruch auf Unterhalt. Der kann, anders als bei jüngeren Paaren, nach 30 Ehejahren zeitlich nicht begrenzt werden. Der Ehepartner, der zahlen muss, muss sich also auf eine langfristige Belastung einstellen.

Wie Paare mit einer spät vollzogenen Trennung zurecht kommen, hängt von ihrer Persönlichkeit, ihrem sozialen Netzwerk und ihrer finanziellen Situation ab, auch das haben die Forschungen von Perrig-Chiello ergeben. „Wer an kulturellen Angeboten teilnehmen oder mal in Urlaub fahren kann, findet schneller in ein neues Leben“, sagt die Psychologin. Fast alle Spätgeschiedenen haben aber mit dem Thema Einsamkeit zu kämpfen. Dabei zeigten sich bei ihren Befragungen deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen pflegen oft ein breiteres soziales Netzwerk und enge Freundschaften. Nach der Trennung ringen sie mit depressiven Verstimmungen und Sinnlosigkeitsgefühlen, lernen aber, damit umzugehen. „Männer bewältigen Einsamkeit sehr schlecht“, sagt Perrig-Chiello, „sie versuchen eher, möglichst schnell eine neue Partnerin zu finden.“ Etwa ein Drittel aller Befragten ihrer Stichprobe erholte sich nach der Trennung sehr schnell. Bei der Hälfte der Befragten funktionierte das nur langsam. Im Schnitt benötigten sie sechs Jahre, um über die Trennungsschmerzen hinwegzukommen. 20 Prozent erholten sich gar nicht. Wobei die Studie nicht erhob, wie die Befragten vor der Scheidung mit Lebenskrisen zurecht gekommen sind.

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Für Perrig-Chiello ist das größte Beziehungsgift, wenn Paare sich nach langer Ehe in falscher Sicherheit wiegen. „Wir haben immer wieder gehört, dass die Trennung einen der Partner aus heiterem Himmel getroffen hat“, sagt Perrig-Chiello, „Menschen kennen einander seit 30, 40 Jahren, spüren aber nicht, was im anderen vorgeht.“ Die Psychologin mahnt daher, auch in langjährigen Ehen nichts für selbstverständlich zu halten. Das sorge für Achtsamkeit – gegenüber dem Partner und auch gegenüber den eigenen Empfindungen. „Man muss in Partnerschaften im Gespräch bleiben, sich selbst weiterentwickeln, sich aber auch als Paar neue Ziele setzen.“ Immer funktioniere das nicht im gleichen Tempo, darum seien Nachsicht und Vertrauen in Partnerschaften so wichtig.Gewachsene Gemeinsamkeiten genießen, an neuen arbeiten – ein Rat für jedes Beziehungsalter.

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