Soziales Experiment "Diese Plätze sind für Deutsche reserviert"

Essen · "Sie sitzen auf einem Platz für Deutsche, setzen Sie sich gefälligst woanders hin." Wenn dieser Satz im Jahr 2015 in einem Bus fällt, sind schockierte Gesichter und empörte Kommentare die Folge. Glücklicherweise war die Situation, die sich in einer Buslinie in Essen abspielte, nur Teil eines gewagten, sozialen Experiments.

Der Bus der Linie 160 sieht auf den ersten Blick ganz gewöhnlich aus. Erst beim genaueren Hinschauen wird klar: Dieser Bus ist anders. Am Fenster ist über einigen Sitzplätzen ein Aufkleber angebracht, der die Passagiere wissen lässt: "Diese Plätze sind für Inhaber/innen eines gültigen deutschen Personalausweises reserviert." Das Schild sieht täuschend echt aus, im gelb-blauen Farbschema der Busbetreiberfirma Essener Verkehrs-AG EVAG.

Fahrgäste, die den Aufkleber bemerken, reagieren empört; es gehen zahlreiche Beschwerden bei der EVAG ein. Was nicht auf den ersten Blick erkennbar ist: Es handelt sich um ein soziales Experiment des WDR. Dieses wird noch verschärft, als ein vermeitlicher Kontrolleur ausländische Fahrgäste dazu auffordert, sich nach hinten zu setzen. Das lässt auch die anderen Fahrgäste aufmerksam werden, die sich bisher zurückgehalten haben.

Die Fahrgäste setzen sich daraufhin mit Aussagen wie "Hier setzt sich keiner weg" für die Leute ein. Eine ältere Dame kommentiert: "Ich habe die Nazi-Zeit erlebt. Das darf nie wieder sein!" Die Situation wird vom Kamerateam der Sendung "Quarks und Du" mit in Kaffeebechern versteckten Kameras gefilmt. Bevor es zur Eskalation kommt, geben sich die Filmer zu erkennen.

Das Team rund um Regisseur Dirk Gion ist begeistert vom Engagement der Fahrgäste. Viele Organisationen waren für das Experiment angefragt worden, doch die Supermärkte, Mensen und Verkehrsunternehmen fürchteten ein bleibendes, negatives Image, weswegen zunächst keiner zusagte. Das Verkehrsunternehmen EVAG willigte letztlich ein. Ihre Mitarbeiter kämen aus den unterschiedlichsten Nationen, weswegen das Unternehmen sehr geeignet dazu sei, zu zeigen, dass Rassismus nicht geduldet werden darf.

Auch Rassismusforscherin Madeleine Preuß war mit im Bus. Sie zeigte sich laut WDR positiv überrascht von der Reaktion der Fahrgäste. Es sei allerdings auch eine extreme Situation, in der eine Reaktion erwartet werden würde. Das heiße leider nicht, dass diese Menschen in anderen Situationen, in denen es um latenten Rassismus geht, solchen Einsatz zeigen würden. Dort sei es viel schwieriger einzugreifen. Beispiel dafür sei ein Experiment an der Mensa der Uni Münster vor mehr als 20 Jahren. Damals sollten Deutsche und Ausländer verschiedene Wege nutzen, was die meisten ohne zu klagen akzeptiert hatten.

Die vollständige Dokumentation des Experiments wird am 25. August um 21 Uhr im WDR-Fernsehen in der Sendung "Quarks und Du" ausgestrahlt.

(isw)
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