Computerspiele, Waffenrecht, Schulpsychologen Was hat sich seit dem Amoklauf von Erfurt geändert?

Berlin (RPO). Der Amoklauf in einer Realschule in Baden-Württemberg erinnert an das grausige Schulmassaker in Erfurt. Vor sieben Jahren erschoss dort ein 19-jähriger Ex-Gymnasiast 16 Menschen. Die Bluttat traf die Gesellschaft damals bis ins Mark. Der Aufschrei war groß, die Betroffenheit tief, Politiker verlangten einschneidende Konsequenzen. Doch was hat sich in Deutschland seitdem geändert?

Chronik des Amoklaufs von Winnenden im März 2009
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Chronik des Amoklaufs von Winnenden im März 2009

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Foto: ddp

Auf den ersten Blick wenig: Noch immer klagen Schulen über Lehrermangel und zu wenig Schulpsychologen. Noch immer stöhnen Jugendliche über Gewalt unter Schülern und wachsenden Leistungsdruck im Unterricht. Und noch immer stehen gewaltdominierte Computerspiele wie "Empire: Total War" oder "World of Warcraft" ganz oben in den Hitlisten.

Schnell ins Gespräch kamen 2002 unter anderem die Heraufsetzung der Volljährigkeit auf 21 Jahre, eine Verschärfung des Waffenrechts sowie das Verbot von Gewaltfilmen und blutrünstigen Computerspielen, denn letztere hatte auch der Erfurter Amokläufer Robert Steinhäuser konsumiert.

Einiges davon wurde umgesetzt. Wie schon zuvor Filme, werden nun auch Computerspiele nur gemäß ihres Alters freigegeben; Käufer von Ballerspielen müssen also mit Ausweiskontrollen rechnen. Ob dies im Zeitalter von CD-Brennern und Internet den Zugang wirksam begrenzt, erscheint indes zweifelhaft.

Der Bundestag verschärfte auch das Waffenrecht. Sportschützen - Steinhäuser war einer von ihnen - dürfen nun erst ab 21 Jahren Gewehre oder Pistolen besitzen. Für Jäger wurde die Altersgrenze für den Besitz von Schusswaffen von 16 auf 18 Jahre angehoben. Bei Personen unter 25 Jahren wird zudem ein Eignungstest zur Voraussetzung für den Waffenbesitz gemacht. Steinhäuser hatte vor sieben Jahren seine Pistole und die Pumpgun ordnungsgemäß im Laden gekauft.

Doch auch diese Maßnahmen stoßen bei Experten weiter auf Skepsis, denn die größere Gefahr im Alltag bilden die vielen illegalen Waffen. Laut Polizeistatistik sind Schuss-Tatwaffen in der Regel nur zu zehn Prozent legal im Besitz der Täter.

Weiter zu wenig Schulpsychologen

Schon zwei Tage nach den Todesschüssen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium sagte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily: "Ich bin der Meinung, dass jede Schule einen eigenen Schulpsychologen braucht." Doch ein Jahr später zog Bernd Jötten, Vorsitzender der Sektion Schulpsychologen im Berufsverband Deutscher Psychologen eine ernüchternde Bilanz: Die Unterversorgung mit staatlichen Schulpsychologen habe sich kaum verbessert. Zwar seien vereinzelt neue Stellen geschaffen worden, aber im Vergleich zu anderen Ländern sei das immer noch viel zu wenig.

In Thüringen gab es zudem eine schnelle Änderung des Schulgesetzes. Die Gymnasiasten dort können nun am Ende der 10. Klasse eine Prüfung ablegen und haben damit einen Realschulabschluss, falls sie später das Abitur nicht schaffen. Dies reagiert auf den Fall Steinhäusers, der ohne Abschluss dastand.

Journalisten und Politiker gieren nach zügigen Reaktionen

Viele Menschen erkannten nach "Erfurt" schon bald, dass neue Gesetze höchstens oberflächlich die Gier von Journalisten und Politikern nach zügigen Reaktionen befriedigen. Der damalige Bundespräsident Johannes Rau sprach vielen aus dem Herzen, als er während der bewegenden Trauerfeier sagte: "Wir sollten unsere Ratlosigkeit nicht zu überspielen versuchen mit scheinbar nahe liegenden Erklärungen. Wir sollten uns eingestehen: Wir verstehen diese Tat nicht."

Seine Analyse zielte tiefer und betraf das soziale Leben in der Gesellschaft: "Wir leben miteinander und kennen uns häufig nicht. Wir gehen miteinander zur Schule oder zur Arbeit, und wir kümmern uns oft nicht um den anderen." Alle müssten sich gegen eine Verrohung der Gesellschaft wehren - "und diesen Kampf muss jeder bei sich selber beginnen", mahnte Rau.

Seine Worte erscheinen brandaktuell.

Alle Berichte über den Amoklauf in Winnenden im Special

(AP)
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